Als Schwul-Sein nicht cool war, sondern unanständig und strafbar: „Milk“ wirft einen historischen Blick auf den Kampf für das Recht auf freie Sexualität und setzt einen Kontrast zur heutigen Inszenierung einer schwulen Spassgesellschaft.
Der Film beginnt mit dem Ende. Harvey Milk sitzt zuhause am Küchentisch. Banales, etwas trostloses Dekor einer Küche der Siebzigerjahre. Während der Kassettenrecorder läuft, erzählt Milk seine Geschichte als Aktivist und erster gewählter Politiker der amerikanischen Schwulenszene.
Im Verlauf des Films kehrt die Kamera, zwischen Spielfilmsequenzen und eingestreuten Dokumentarszenen, zu dem einsamen Mann am Küchentisch zurück, der in sachlich ernstem Ton spricht. Diese Momente brechen die heitere, manchmal euphorische Darstellung des Entstehens der Homosexuellenbewegung in San Francisco. Und sie kontrastieren mit der Darstellung Harvey Milks als ihres witzigen und immer optimistischen Anführers.
Optimismus hat Milk allerdings nötig. Gus van Sant schildert nämlich in seinem Film auch das bedrückend konservative und homophobe Milieu, in dem Milk und seine Freunde sich vor fast 40 Jahren bewegten. Dem Regisseur gelingt es dabei nicht nur, ihren persönlichen Werdegang aufzuzeigen, sondern auch die Entwicklung einer sozialen Bewegung nachzuzeichnen. Dabei wird deutlich, dass Schwulen und Lesben in besonderer Weise die Courage abverlangt wurde, zu sich selbst zu stehen und für ihre Rechte zu kämpfen: Anders als Frauen oder Schwarze, denen das Anderssein auf den Leib geschrieben ist, sind Homos in einer ihnen feindlichen Gesellschaft mit der schwierigen Wahl zwischen dem offenen Bekenntnis zu ihrer Sexualität und heimlichem Ausleben bzw. Verzicht konfrontiert. Eindringlich schildert der Film das persönliche Leiden und nicht selten auch Zerbrechen von Schwulen an den Zwängen verordneter Heterosexualität ? ein Aspekt, der in den gängigen Tuntenkomödien meist überspielt wird.
Tuntig ist auch der Hauptdarsteller nicht. Sean Penn gelingt hier eine ? soweit das aus heterosexueller Perspektive zu beurteilen ist – nuancierte und einfühlsame Darstellung. Trotzdem lässt sich die Frage aufwerfen, wieso für diese Rolle ein bekennender Hetero ausgewählt wurde. Sean Penn zeigt jedenfalls, dass er nicht nur den Gangster oder den gebrochenen Antihelden geben kann, sondern auch als charmanter Politiker mit ironisierendem Witz zu brillieren vermag.
„Milk“ ist nicht nur ein biographischer Film; auch die Höhen und Tiefen der Bewegung, die klassischen Widersprüche zwischen politischem Engagement und Privatleben der Protagonisten oder zwischen radikalem Anspruch und politischem Opportunismus werden angedeutet. Gerade der letzte Punkt allerdings ist eher schwach ausgebildet: Der Film zeigt Harvey Milk, wie er sich nicht scheut, während der Wahlkampagne den Hundehaufen San Franciscos den Kampf anzusagen, bleibt aber bei dieser witzigen Pointe stehen. Die Auseinandersetzung innerhalb seiner Bewegung um Ziele und Strategien wird nur nebenbei behandelt. Ebenso ist zu kritisieren, dass auch die um dieselbe Zeit entstehende Lesbenbewegung nur in sehr marginaler Weise thematisiert wird. Es ist unklar, ob diese Behandlung den historischen Realitäten entspricht, oder ob van Sant so die auch in den Siebzigern übliche Fixierung auf die Schwulen reproduziert.
Natürlich bietet sich Milk für eine Verfilmung geradezu an: Er vereinigt in seiner Person nicht nur Militanz, Witz und Kreativität der sozialen Bewegung, sondern ist auch eine tragische Figur, deren Leben für eine Verfilmung wie geschaffen scheint. Wie Kennedy oder Martin Luther King verkörpert er den Anspruch auf Veränderung und Freiheit, der durch eine Pistolenkugel zumindest vermeintlich zunichte gemacht wird. Allerdings scheint der Mann, der, kurz bevor er erschossen wird, am Küchentisch sein Leben bilanziert, sich dieser Gefahr deutlicher bewusst zu sein, als es jene Schicksalsgenossen waren.
Dieser Kontrast zwischen dem mediatisierten Politikrummel, ohne den Milk nicht auskam, und seinem Selbstverständnis als Militanter, der sogar noch in der Vorahnung des gewaltsamen Endes seine Lebensgeschichte in den Dienst der politischen Aktion stellen wollte, macht aus ihm eine Symbolfigur der sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre. Und Gus van Sant gelingt es, nicht in die nostalgische Darstellung der Siebziger als der Ära der Schlaghosen und der freien Liebe abzugleiten, sondern die Darstellung der gesellschaftlichen Zustände von damals als Kontrastmittel für eine kritische Beleuchtung des Heute zu gebrauchen.
„Milk“, Vorpremiere und Eröffnungsfilm des Festival „Transculturelles gays et lesbiennes“ am Mittwoch im Utopia.