Beim Studientag zur „Wahrnehmung des Anderen in den europäischen Einwanderungsländern“ war auch der Historiker Gérard Noiriel zugegen.
Rassismus funktioniert über Projektionen. Der oder die ?schöne Schwarze‘ ist interessant und eine Bereicherung, bleibt aber dennoch oft das Gegenstück zum als ?weiß‘ gedachten europäischen Kollektiv. Klischees und Rassismus – da waren sich alle ReferentInnen an diesem Studientag selbstverständlich einig – müssen vermieden werden. Warum das Cover der begleitenden Broschüre dennoch mit einem dunkelhäutigen Mann im Stile der Benetton-Kampagnen für die Konferenz warb, kann daher wohl nur die beauftragte Agentur erklären. Oder ist dies ein Beleg für den häufig unbewussten Rassismus?
Früher sprach man von ?den Ausländern‘ oder ?Fremden‘, angeregt durch die Kulturtheorie ist heute vom ?Anderen‘ die Rede, ohne sich über damit verbundene inhaltliche Festlegungen wirklich klar zu werden. So lässt sich ein weiter Bogen spannen, zusammengehalten allein von einer Grundannahme: Große Gruppen von Menschen geben sich Identitäten, indem sie sich von anderen abgrenzen. Dass in Europa gerade dunkelhäutige Einwanderer leicht ausgegrenzt werden, liegt so scheinbar auf der Hand.
Die Tagung vereinte unterschiedlichste Vorträge. Antoinette Reuter, eine der Mitbegründerinnen des Dokumentationszentrums für Migration in Dudelingen, berichtete über die Schwierigkeiten, das Zentrum aufzubauen.
Jan Werquet, Kurator der Ausstellung „Bilder von den ‚Anderen‘ in Deutschland und Frankreich seit 1871“, stellte die jeweiligen Konzepte des Deutschen Historischen Museums und der Cité nationale de l’histoire de l’immigration ? Paris vor. Leider deutete er die mit dem französisch-deutschen Kooperationsprojekt verbundenen Probleme nur an. Wenig Überraschung bot die Einsicht, dass die jeweils spezifisch deutsche und französische Sichtweise auf ein sich grundlegend widersprechendes Nationenverständnis zurückzuführen ist.
Rainer Ohlinger vom Netzwerk Migration in Berlin hatte den Filmbeitrag „Migrants moving history“ mitgebracht, in dem verschiedene Einwanderer, wie der russische, in Berlin lebende Schriftsteller Wladimir Kaminer, ihre persönliche Erfolgsstory der Integration präsentieren.
Profil gewann die Tagung erst mit dem Auftritt des französischen Historikers Gérard Noiriel, Verfasser des Standardwerks „État, nation et immigration“. „Es muss keine Zustimmung zur Einwanderung erteilt werden“, begann Noiriel seinen Vortrag und warnte davor, die Begriffe „Migration“ und „Einwanderung“ zu vermischen. Am französischen Beispiel werde klar, dass es nie die MigrantInnen selbst waren, die die Debatte begonnen haben, sondern von je her die Fremdenfeindlichen. Das Wort „Immigration“ sei daher zumindest in Frankreich problematisch. Deshalb müsse man den Begriff ständig hinterfragen und seinen Gebrauch in den politischen Kontext einordnen, zumal er auch ein Nationalbewusstsein als selbstverständlich voraussetze. „Es gibt eine Soziologie der Wahrnehmung“, beharrte Noiriel auf einer kritischen Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsmustern und Projektionen auf andere. Er stellte in diesem Zusammenhang auch eine Frage, die gerade seine deutschen Vorredner brüskiert haben dürfte, da ihre Herangehensweise dadurch grundsätzlich in Zweifel gezogen wurde: „Sollte man nicht die Bilder, die faktisch Propaganda schaffen, bewusst nicht weiter reproduzieren?“
Erfrischend wirkte im Kontext des Studientags auch sein Plädoyer „die Kulturwaffen zu nutzen“ und er warb darum, auch außerhalb des akademischen Umfelds Wege zu finden, Wissen an Menschen weiterzugeben. So gründete Noiriel 2004 einen Verband zur Erinnerung an die Immigration in Frankreich und jüngst ein Theaterprojekt: „Chocolat“. „Wenn sie Fragen wie Rassismus frontal angehen, kommen sie nicht weiter. Sofern sie etwas bewirken wollen, müssen sie anders vorgehen, man muss Umwege gehen, um die Menschen dazu zu bringen, sich irgendwann selbst infrage zu stellen.“ Orientiert an Brechts Epischem Theater bezieht Noiriel das Publikum mit ein, rüttelte es wach. Und der Historiker hob hervor, dass man Rassisten nie anhand logischer Argumente von ihren Einstellungen abbringen könne. „Die Effizienz rassistischer Propaganda hängt damit zusammen, dass sie nicht rational ist, sondern auf effizientem Story-Telling beruht.“