FLÜCHTLINGE: Schüchterne Bürgermeister

Wohin mit den AsylbewerberInnen? Von den Gemeinden wird mehr Verantwortung gefordert. Doch die halten sich bewusst zurück und verweisen auf die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung.

Eine positive Ausnahme: In Hesperingen wurde in Zusammenarbeit mit der Gemeinde ein Foyer errichtet. (Foto: Christian Mosar)

Nachts flogen die Fäuste. Was in der Gemeinde Wintger im Norden des Landes vor zwei Wochen als harmlose Tanzveranstaltung begonnen hatte, endete in einer Massenschlägerei. „Wie in einem weiteren Fall waren auch hier Jugoslawen beteiligt“, sagt die Bürgermeisterin von Wintger, Agny Durdu. Bei den „Jugoslawen“ handelte es sich um eine Gruppe von AsylbewerberInnen. Die Akzeptanz für Flüchtlinge sei, meint die DP-Abgeordnete, „an der Grenze angelangt“.

Dabei lebt in Wintger gerade mal ein Dutzend AsylbewerberInnen, das auf zwei Unterkünfte verteilt ist. Genug für eine kleine Gemeinde. Mit 3.500 EinwohnerInnen ist Wintger allerdings nicht so klein, dass es nicht mehr als zwölf Flüchtlinge verkraften könnte. In der 300-Seelen-Gemeinde Esch an der Sauer zum Beispiel leben nach den Angaben von Bürgermeister Claude Thilges zurzeit sage und schreibe 100 AsylbewerberInnen, die in zwei ehemaligen Hotels untergebracht sind. „Die Touristen bleiben weg“, befürchtet Thilges. Auch er weist auf den Unmut in der Bevölkerung hin. Deshalb müsse die Zahl der AsylbewerberInnen in der Ortschaft reduziert werden.

Den zunehmenden Druck auf die Gemeinden, in der Frage um die Unterbringung der Flüchtlinge mehr Verantwortung zu übernehmen, versteht Thilges nicht. Am Sonntag kündigte Familienministerin Marie-Josée Jacobs in einem Fernsehinterview einen Brief an die BürgermeisterInnen an. Und am Montag forderten die Grünen bei einer Pressekonferenz, die Gemeinden müssten entsprechend ihrer Einwohnerzahl Flüchtlinge aufnehmen. Luxemburg sei ans Ende seiner Aufnahmekapazitäten angelangt, hatte Premierminister Jean-Claude Juncker vor JournalistInnen unlängst geklagt und damit das Thema für den Wahlkampf lanciert. Der Regierungschef redete dabei unter anderem einem größeren Aufnahmezentrum das Wort und schlug den Bau einer Halle vor. Eine solche sei hilfreich, um die Asylprozedur zu verkürzen, sprang ihm der Justizminister bei. Unterdessen sprach sich der CSV-Politiker für schnellere Abwicklung der Asylprozeduren ab und vereinbarte mit Belgien und Niederlanden gemeinsame Abschiebeaktionen abgelehnter AsylbewerberInnen.

Pervertierter Wunsch

Ein Centre de premier accueil hatte der Luxemburger Flüchtlingsrat schon seit Jahren gefordert, „von der Regierung geführt und von den NGOs begleitet“, wie Caroline Theves von der Caritas sagt. Die Grünen befürchten jedoch, dass die Regierung eine geschlossene Anstalt plane. Und Serge Kollwelter, Präsident der Association du soutien aux travailleurs immigrés, meint: „Die Pläne der Regierung pervertieren den lange gehegten Wunsch der NGOs nach einer Sammelunterkunft.“ Denn unter einer solchen versteht der Flüchtlingsrat eine erste Station, von wo aus die AsylbewerberInnen dann aufs ganze Land verteilt werden – und kein Lager, das abgeschottet und bewacht wird.

Gegen ein „Zusammenpferchen“ der Flüchtlinge spricht sich auch André Hoffmann aus. „Die Betreuung muss gesichert sein“, betont der Schöffe aus Esch an der Alzette. Dass dies aber alles andere als gewährleistet ist, liegt größtenteils am Personalmangel im zuständigen Familienministerium. Nach dessen Informationen gibt es zurzeit 65 Heime und Pensionen, wo AsylbewerberInnen untergebracht sind. Doch in dem Ministerium sind nur vier Personen für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig. Dies hat zur Folge, dass die Flüchtlinge oft Jahre lang unter teilweise unzumutbaren Umständen leben müssen – auf engstem Raum und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen wie zum Beispiel in Esch (woxx Nr. 727).

„Sicher gibt es auch einige positive Beispiele von Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen wollen“, sagt Christine Martin, im Familienministerium für Ausländerfragen zuständig, und nennt unter anderem Diekirch, Schifflange und Tuntange, wo die Flüchtlingskinder sehr schnell in den Schulen integriert wurden. Letztendlich sei das Ministerium darauf angewiesen, dass die jeweilige Gemeinde für die Nutzung eines Gebäudes als Foyer die nötige Baugenehmigung erteilt.

Standort Müllhalde

Dass sich die Gemeinden zieren, kann nicht am finanziellen Aufwand liegen. Der ist nämlich gleich Null. Ein Gesetz von 1979 sieht vor, dass der Bau und Umbau von Wohnungen für FremdarbeiterInnen oder Flüchtlinge zu 100 Prozent vom Staat bezuschusst wird. Im Auftrag der Regierung hat der Fonds de Logement, der normalerweise Sozialwohnungen baut, seit Anfang der 90er Jahre versucht, auch Standorte für Flüchtlingswohnheime zu finden – ohne großen Erfolg. „Wo wir auch anklopfen, keine Gemeinde will Genehmigungen erteilen“, berichtet Fonds-Direktor Daniel Miltgen und fügt hinzu: „Im Verlauf der Diskussionen wurde uns sogar eine Müllhalde als Standort vorgeschlagen. Das haben wir natürlich abgelehnt.“

In all den Jahren wurde nach Miltgens Worten ein einziges Projekt in Zusammenarbeit mit einer Gemeinde verwirklicht, und zwar mit Hesperingen. „Die Anwohner stehen ja häufig schon auf den Barrikaden, wenn es um normalen sozialen Wohnungsbau geht.“ Flüchtlinge unterzubringen sei noch schwieriger, so Miltgen. Da müsse man tricksen. Der Fonds achtet deshalb darauf, dass er keine Genehmigung von der Gemeinde braucht, zum Beispiel indem er bereits bestehenden Wohnraum für Flüchtlinge nutzt.

„Auch in Zukunft will sich die Stadt Luxemburg nicht der allgemeinen Verpflichtung verschließen“, sagt derweil Hauptstadt-Bürgermeister Paul Helminger. Auf dem Territorium der Stadt Luxemburg konzentrierten sich jedoch mittlerweile die Problemfälle: Obdachlose, Drogenabhängige und eben AsylbewerberInnen. Dies ergebe ein „explosives Gemisch“ und sei auf Dauer unzumutbar. Die Flüchtlingsfrage sei eine „nationale Angelegenheit“ und Sache der Regierung, erklärt Helminger.

Dabei genügt ein Blick über die Grenze, um zu sehen, dass dies auch auf kommunaler Ebene besser funktionieren kann. „Die belgischen Städte Arlon und Virton fördern aktiv gemeinsame Aktivitäten von Asylbewerbern und Einwohnern“, stellt Serge Kollwelter fest und fügt hinzu: „Und das Betreuungspersonal ist extra ausgebildet.“ Unterdessen ist es in Deutschland Aufgabe der Kommunen, die AsylbewerberInnen unterzubringen und zu betreuen. Zudem tragen sie die Kosten. Entsprechend der Landesaufnahmegesetze der jeweiligen Bundesländer bekommen die Städte und Gemeinden je nach Einwohnerzahl ein bestimmtes Kontingent zugeteilt. Das Luxemburger Familienministerium bringt hingegen die Betroffenen da unter, wo gerade etwas frei ist. Zur Not müssen auch Zelte oder Wohnwagen auf Campingplätzen aushelfen. „In Deutschland ist uns dieses Verfahren nicht bekannt“, wundert sich Michael Kalkmann von Pro Asyl in Bonn.

Würde man in Luxemburg einen ähnlichen Einwohnerquotienten einführen, dann käme zum Beispiel die zweitgrößte Stadt Esch an der Alzette, wo sechs Prozent der luxemburgischen Bevölkerung leben, auf ein Kontingent von 138 AsylbewerberInnen – doppelt so viele wie zurzeit in den beiden Foyers der Minettemetropole untergebracht sind. Zugleich würde das kleine Esch an der Sauer bestimmt nicht mehr 100 Betroffene beherbergen. Bürgermeister Thilges dürfte dann zufrieden sein.

Camille Gira, Déi-Gréng-Abgeordneter und Bürgermeister von Beckerich, wehrt sich dagegen, dass den Gemeinden die Schuld an den Schwierigkeiten gegeben wird: „Jeder Flüchtling hier im Lande lebt schließlich in einer der 118 Gemeinden.“ Es sei das Familienministerium, das die Gemeinden im Stich lasse, nicht umgekehrt. Er nennt das Beispiel Redingen. Die Gemeinde hatte vorgeschlagen, Flüchtlinge im Croix-Rouge-Home unterzubringen, wollte aber darüber informiert werden. Doch von einem Tag auf den anderen, ohne Vorwarnung, seien 50 Personen aufgetaucht. Das rufe natürlich Unmut hervor. Auch bei der Integration der Kinder in der Schule würden die Gemeinden nicht ordentlich unterstützt.

Pfarrer „besetzt“ Haus

Gira kann nicht genau sagen, wie viele Flüchtlinge in Beckerich wohnen. Er nennt das ehemalige Pfarrhaus in Elvingen, das er der Caritas vermittelt hat. Dort leben zwei oder drei Familien. Es war auch vorgesehen, das leer stehende Pfarrhaus in der Ortschaft Beckerich zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Doch nun wolle der neue Gemeindepfarrer dort wohnen, obwohl er bereits ein Haus in der Stadt Luxemburg habe. „Ich finde es skandalös von Seiten der Kirche, in Zeiten der Wohnungsnot diese Pfarrhäuser nicht zur Verfügung zu stellen“, erregt sich Camille Gira.

Auch in Beckerich gebe es sicherlich Bürger, die gegen die Aufnahme von Flüchtlingen seien, meint Gira. „Ich habe ‚beim Patt‘ öfter Dinge klarstellen müssen, zum Beispiel, dass die Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, weil sie keine Arbeitserlaubnis bekommen.“ Aber die positiven Reaktionen würden überwiegen. Wenn die Aufnahme gut organisiert sei, verlaufe die Integration unproblematisch, insbesondere bei Familien mit Kindern.

Ob er sich vorstellen könne, ein zusätzliches Flüchtlingsheim, nicht nur für Familien, einzurichten? In Beckerich verfüge er über kein leer stehendes Haus, sagt der Bürgermeister. „Aber wenn das Ministerium den Pfarrer überzeugt, auf das Pfarrhaus zu verzichten, und wenn die Aufnahme mit der Gemeinde abgesprochen wird, dann gehe ich bereitwillig voran, um für Akzeptanz in der Bevölkerung zu werben.“


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