FUKUSHIMA: Im Osten nichts Neues

Wie konnte man „vergessen“, dass Atomkraft nicht mit anderen Technologien vergleichbar ist? Die Katastrophe in Japan erinnert uns an wichtige technische und politische Zusammenhänge.

Wie schnell sich die Dinge ändern. Vor einer Woche war Atomenergie für viele eine vielleicht unerfreuliche, aber doch plausible Antwort auf Ölkrise und Klimawandel, und Cattenom bedeutete kaum mehr als ein paar weithin sichtbare weiße Rauchsäulen. Jetzt aber wachen Menschen mitten in der Nacht auf und denken an das, was in Japan passiert. Auch ist die Laufzeitverlängerung für das 25 Kilometer von der Stadt Luxemburg enfernte AKW auf einmal zum Gesprächsthema geworden.

Doch eigentlich lehrt uns die Katastrophe von Fukushima nichts Neues. Dass infolge eines Erdbebens jeder noch so starke Sicherheitsbehälter gesprengt werden kann, war bekannt. Und dass eine Kernschmelze keine bloß theoretische Möglichkeit ist, weiß man seit Three Mile Island und Tschernobyl. Mit der Problematik des radioaktiven Abfalls schließlich – dem wohl größten strukturellen Problem der Atomkraft – hat der sich anbahnende GAU nichts zu tun. Nichtsdes-toweniger sind diese Ereignisse geeignet, das Wissen der Menschheit über ein paar Grundtatsachen der Atomstromerzeugung aufzufrischen.

Ja, die Nuklearindustrie nimmt Risiken in Kauf. Das Kraftwerk in Japan war nicht so konstruiert, dass es einem Erdbeben dieser Stärke hätte standhalten können, erst recht nicht einem Tsunami. Beide Unglücksfälle mögen den Verantwortlichen seinerzeit als sehr unwahrscheinlich erschienen sein … dass sie dennoch möglich sind, hat das Land nun schmerzlich erfahren. Auch Cattenom ist lediglich für eine Erdbebenstärke von 5,4 ausgelegt, und mehrere AKWs im Südwesten Deutschands liegen sogar in Erdbebengebieten – und würden angeblich noch stärkeren Beben standhalten. Forscher bezweifeln aber mittlerweile, das das Erdbebenrisiko korrekt eingeschätzt wurde. Es sind allerdings nicht nur Physiker, die über die Normen entscheiden, sondern auch Buchhalter – denn die Kraftwerke sollen Profit einfahren. Und gerade bei den teuren Sicherheitsnormen lässt sich sparen, wenn man die Risiken herunterspielt.

Wenn das Unwahrscheinliche dann doch passiert, lehrt uns Fukushima weiter, ist die nukleare Technologie weit schwieriger zu kontrollieren als jede andere. Was genau in einem funktionierenden Reaktor bei hoher Temperatur vor sich geht, weiß niemand, wie die mysteriösen Beschädigungen an Brennstäben in Cattenom vor zehn Jahren gezeigt haben. Steigen bei einem Unfall die Temperaturen noch weiter an und fällt ein Teil der Messgeräte aus, dann können die Experten nur mehr Vermutungen über Kernschmelze und Wasserstoff-Explosionen anstellen.

Schließlich, das bringen uns die Bilder in den Abendnachrichten zu Bewusstsein, ist der Ablauf eines Atomunfalls nicht nur schwieriger zu fassen als beispielsweise der eines Chemieunfalls, sondern auch seine Folgen sind potenziell verheerender. Sperrung von Hunderten Quadratkilometern, Evakuierung von Millionen Menschen, gesundheitliche Folgen für Jahrzehnte … die Schwere der Konsequenzen ist Grunds genug, eine Senkung des Risikos auf viele Stellen hinter dem Komma zu verlangen.

Darüber hinaus lehrt uns Fukushima auch etwas über politische Dynamik: Gehandelt wird erst, wenn’s knallt. Der Vorwurf der Kurzsichtigkeit richtet sich an erster Stelle an die Atom-Befürworter. Doch auch eine Partei wie die SPD muss sich fragen lassen, warum sie seinerzeit einen sanften Atomausstieg gegen den grünen Koalitionspartner hat durchsetzen wollen. Diese wiederum waren „pragmatisch“ genug, auf einen schnellen Ausstieg zu verzichten – für bereits stillgelegte AKWs aber hätte die jetzige deutsche Regierung keine Laufzeitverlängerungen vorschlagen können … Sogar die meisten NGOs haben der Atomindustrie weitergeholfen, indem sie die EU-Stromliberalisierung befürworteten, in der naiven Hoffnung, den erneuerbarer Energien neue Möglichkeiten zu eröffnen – de facto wurden dadurch die Konzerne gestärkt und eine politisch entschiedene Begrenzung des Atomstromanteils unmöglich gemacht.

Völlig unbelehrbar aber erscheinen die politischen Eliten in China und Frankreich. Damit dort Zweifel an der Sicherkeit der AKWs aufkommen, muss es wohl erst im eigenen Land knallen – wenn`s geht, nicht gerade in Cattenom!


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