Beim Machtkampf um das Pressegesetz gibt es einen großen Verlierer: den Journalistenverband. Seine Glaubwürdigkeit und seine Unabhängigkeit sind zerstört.
Luxemburgs Presse hat ihren Skandal. Doch statt als Berichterstatterin die bloßen Fakten zu übermitteln, steckt sie selbst mitten drin. Es geht um Manipulation und Machtmissbrauch. Und um ein Menschenrecht: die Freiheit und die Unabhängigkeit der Presse.
Am vergangenen Freitag haben rund 100 JournalistInnen einen neuen Vorstand für ihren Journalistenverband (ALJ) gewahlt. Fünf Vertreter der Verlagsgruppe Editpress gewannen die Wahl: Patrick Théry vom Quotidien, Lucien Montebrusco vom Tageblatt, René Hoffmann vom Jeudi, Roger Infalt vom Tageblatt und Jean-Marie Backes, ebenfalls Tageblatt.
Alles ganz demokratisch, wäre da nicht die Vorgeschichte gewesen. Schon seit Wochen hatten ALJ und Editpress über den Entwurf zum neuen Pressegesetz gestritten. Vor allem Editpress-Direktor Alvin Sold fand kurz vor Toresschluss – die Diskussionen um das Gesetzesprojekt in der Medienkommission waren so gut wie abgeschlossen – allerhand zu kritisieren. Das Gesetz regelt zu viel, so ein zentraler Vorwurf. Eine Einschätzung, die grundsätzlich auch von anderen MedienvertreterInnen (u.a. der woxx) geteilt wurde.
Tatsächlich kann man dem Gesetzentwurf vorwerfen, die Grenze zwischen Pressegesetz und Pressekodex zu verwischen. Gut wäre gewesen, in einigen übersichtlichen Artikeln die fundamentalen Rechte und Pflichten der Presse zu bestimmen – etwa der Demokratieauftrag, die Meinungsfreiheit, das Zensurverbot. Alles Weitere bliebe dann einem Pressekodex überlassen, der von einem unabhängigen Presserat bestimmt und überwacht wird.
Die Kommission hat es stattdessen vorgezogen, praktisch jeden Fall juristisch zu klären. Bis ins Detail wird die Sorgfaltspflicht geregelt, und sogar der journalistischen Pflicht, Kommentar und Nachricht für die Leserschaft kenntlich zu machen, wird ein eigener Absatz gewidmet (Art. 6). Dafür fehlt aber ein elementares Presserecht: das Recht auf Information, das Behörden dazu verpflichtet, Informationen der Presse zur Verfügung zu stellen (siehe woxx Nr. 728 und 732). Verständlich, dass bei so viel Regulierungseifer auf der einen, und einer so wichtigen Lücke auf der anderen Seite einige JournalistInnen Unbehagen verspüren.
Allerdings: Die Medienkommission und auch die Regierung hätten mit einer schlankeren Version durchaus leben können. Es waren die JournalistInnen und VerlegerInnen vom Conseil de Presse selbst, die im Herbst vergangenen Jahres zum wiederholten Mal die Aufforderung der Regierung ablehnten, einen „code de déontologie“ für ihren Berufsstand festzulegen. Die Begründung laut Kommunikationsminister François Biltgen: „tout le monde connaî t tout le monde au Luxembourg“. Daher sei es für den Presserat nicht möglich, eine neutrale Überwachungsfunktion zu übernehmen. Die Chance auf selbstbestimmte Verhaltensregeln war damit vertan.
Doch während nun die einen die Rechte der JournalistInnen stärken wollen, möchten andere diese wieder beschneiden. Bis kurz vor Schluss, auf der offiziellen Begegnung von Presserat und Medienkommission Anfang Februar und beim informellen Treffen des Conseil de Presse am Montag, beharrten die Editpress-Vertreter auf ihrer Liste der Änderungswünsche. Und die knabbern ausgerechnet großzügige Regelungen für die JournalistInnen an, etwa das Autorenrecht (Art. 9): In der geplanten Fassung behält der/die JournalistIn alle Rechte am eigenen Werk. Nur mit seinem Einverständnis dürfen seine Texte vervielfältigt und verbreitet werden. Der Chef des Verlagshauses Saint Paul, Charel Ruppert, unterstützt diese Version. Sold hingegen bevorzugt eigentlich das angelsächsische Copyright. Danach hätte der Auftraggeber – in den meisten Fällen zugleich der Arbeitgeber – sämtliche Rechte am Text.
Ebenso wenig mag sich Sold mit der „clause de conscience“ (Art. 5) anfreunden. Sie erlaubt, dem Journalisten zu kündigen, wenn sich die „ligne éditoriale“, also die ideologische Ausrichtung des Mediums, entscheidend ändert.
Agitation für die eigene Sache
Um den späten Feldzug gegen das ungeliebte Presserecht doch noch zu gewinnen, ist der Editpress-Führung offenbar fast jedes Mittel recht. Vor und hinter den Kulissen wurde eifrig debattiert und agitiert. Nicht nur, dass in großformatigen Artikeln im Tageblatt der Chef persönlich die Öffentlichkeit über die Nachteile des Entwurfs informierte. Sold und seiner Truppe gelang es zudem, fast alle im Conseil de Presse vertretenen Verleger (außer Wort und woxx) zu überzeugen, einen Brief an die Medienkommission zu unterschreiben. Darin befürworteten die UnterzeichnerInnen eine „réouverture de la discussion“ und stellten fest: „la réforme, bien que nécessaire, n’est pas urgente au point de devoir être faite à tout prix en cette fin de législature“.
Parallel dazu wurde auf Ebene der ALJ mobilisiert. Deren damaliger Vorstand um Präsident Jean-Claude Wolff begrüßte den Entwurf ausdrücklich. Auffällig viele der neuen ALJ-Mitglieder von Anfang des Jahres stammen jedoch – aus dem Hause Editpress. Auch Alvin Sold gehört dazu. Denn anders als in vielen anderen, europäischen Ländern unterscheiden die Statuten des luxemburgischen Journalistenverbandes nicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, so dass ChefredakteurInnen und sogar Verleger über die Belange ihrer Angestellten mitentscheiden können. „Das ist aus Tradition so“, rechtfertigt Danièle Fonck die ungewöhnliche Gleichbehandlung.
Mit Neuzugängen zum Wahlsieg
Wie wichtig die Stimmen der Neuzugänge im Machtkampf der Editpress-Oberen sind, zeigte zudem eine bemerkenswerte Szene auf der Generalversammlung des Journalistenverbandes im Februar: Danièle Fonck, Journalistin, Chefredakteurin und Arbeitgeberin in einer Person, erklärte sich bereit, die Beiträge der Editpress-Neuzugänge per Kreditkarte zu bezahlen.
Nicht nur diese Geste veranlasste einige ALJ-Mitgliedern dazu, das gewerkschaftsnahe Verlagshaus (der OGBL ist der Hauptanteilseigner von Editpress) der Einflussnahme zu verdächtigen. Vor der entscheidenden Generalversammlung vom vergangenen Freitag zog zudem ein ALJ-Vorstandsmitglied vom Tageblatt, erklärter Befürworter des Pressegesetzes, seine Kandidatur zurück. Gerüchte über offen und verdeckt ausgeübten „Gesinnungsdruck“ beim Tageblatt machten die Runde. Sie bleiben unbestätigt. Nicht-konforme Haus-JournalistInnen wollen nichts erzählen – sie befürchten Nachteile.
Nachdem ein erster Versuch im März fehlschlug, geschah, was viele befürchteten und was angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse im Journalistenverband passieren musste: Der alte Vorstand der BefürworterInnen des Entwurfs wurde am 23. April entmachtet, die Skeptiker aus dem Hause Editpress übernahmen das Steuer. Zwei frisch gebackene Vorstandsmitglieder versuchten noch, den Schaden zu lindern und verzichteten kurzerhand auf ihre Mandate. Allein, es fand sich kein Ersatz. „Bei dem Spiel machen wir nicht mit“, begründeten die Nächstgewählten Jean-Claude Wolff, Anne Heniqui, Frank Kuffer und Max Theis ihre Ablehnung. Die Beteuerungen der Tageblatt-Journalisten, die Plätze dem Pluralismus zuliebe zu räumen, fand offensichtlich keinen Glauben.
Tageblatt-Journalist Roger Infalt setzte sogar noch eins drauf. In einem zweiseitigen Artikel vom Mittwoch, der sich vor allem gegen den ehemaligen ALJ-Präsidenten Jean-Claude Wolff richtet, schildert Infalt den „wirklichen“ Hintergrund des Wahlmanövers. Auch wenn er die Ursache für die Machtablösung korrekt benennt – die Divergenzen über den Gesetzentwurf – Infalt verschweigt andere, wichtige Fakten. So behauptet er, „die Zahl derer, die Änderungen an dem Gesetzentwurf wünschen,“ sei unentwegt gestiegen und beruft sich dabei auf den von 22 Mitgliedern des Conseil de presse unterzeichneten Brief.
Doch bereits am Montag war das Kräfteverhältnis im Presserat wieder gekippt – zu Ungunsten von Editpress. Zwei Unterzeichner hatten nach den Ereignissen auf der ALJ-Generalversammlung am Freitag zuvor ihre Unterschrift wieder zurückgezogen. Sie sagten sogar aus, über den Inhalt des Briefes nicht richtig informiert worden zu sein. Land-Chefredakteur Mario Hirsch zeigte sich „entsetzt und ungehalten“ über die Vorkommnisse in der ALJ, ebenso Rob Roemen vom Journal.
Und auch wenn sie einige der Kritikpunkte am Gesetzestext beibehielt – die überwältigende Mehrheit der anwesenden Presseratsmitglieder (mit sechs Gegenstimmen von der Editpress) befürwortete nun eine Verabschiedung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode und grenzte sich mit deutlichen Worten von den Machenschaften der Editpress-Group ab.
Und die Moral von der Geschichte? Das Pressegesetz wird höchstwahrscheinlich doch kommen. Selbst die LSAP, deren Abgeordnete Alex Bodry und Jeannot Krecké vor wenigen Tagen überraschend ebenfalls auf die Bedenken von Verlegerseite hinwiesen, wird „nicht die Bremserin sein“, so Bodry gegenüber der woxx.
Der voraussichtlichen Niederlage der Editpress-Akteure steht aber noch eine viel größere gegenüber: Der Traditionsverband ALJ, der im nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hätte, ist schwer angeschlagen. Nicht nur, dass mit der Editpress-Machtübernahme von Pluralismus und Unabhängigkeit der Presse keine Rede mehr sein kann. JournalistInnen von RTL, 100,7, Land und woxx verlassen reihenweise aus Protest den Verband – und riskieren damit, ohne Sprachrohr und ohne gewerkschaftlichen Schutz zu sein. „Ich möchte doch nicht Mitglied einer Hausgewerkschaft sein“, begründen viele ihren Austritt.
Noch bedenklicher aber ist die Situation all derer, die sich für diese Ergebnis instrumentalisieren ließen: Wer nicht zu unterscheiden weiß zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen, dem ist nicht zu helfen. Erst recht nicht mit einer Hausgewerkschaft.