EU-ASYLRECHT: Sicher, am sichersten – supersicher!

Vier Jahre lang diskutierten die Justizminister über ein EU-weites Asylrecht. Nun einigten sie sich in Luxemburg auf den kleinsten gemeinsamen Nenner – Flüchtlinge könnten noch effektiver abgewehrt werden.

Am Donnerstag, den 29. April, fiel in Luxemburg der Hammer. Die EU-Justiz- und Innenminister einigten sich nach vier Jahren zäher Verhandlungen auf eine Direktive für eine gemeinsame europäische Asylprozedur. Gerade noch rechtzeitig konnte sich die Runde der 15 MinisterInnen zu diesem Last-Minute-Deal durchringen: Nach dem 1. Mai hätten auch die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten mitreden dürfen.

Dies hätte die Einführung eines einheitlichen Asylrechts mit Sicherheit verzögert. Ob sich ein Warten letztendlich nicht gelohnt hätte, ist jedoch fraglich. Zwar hatten sich die Flüchtlingshilforganisationen stets für die Einführung gemeinsamer Richtlinien ausgesprochen. „Unsere schlimmsten Erwartungen wurden übertroffen“, erklärte der Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen (UNHCR) am vergangenen Donnerstag in einem Pressekommuniqué.

Der gute Ausgangstext der Kommission sei in den Ministerrunden Stück für Stück verschlechtert worden.

Herauskam ein Regelwerk, indem die Länder freie Hand haben, weiterhin ihre restriktivsten Asylpraktiken durchzuziehen. Beim einheitlichen Asylrecht gilt der kleinste gemeinsame Nenner. „Die Mitgliedstaaten müssen sich nicht verpflichten, zufriedenstellende Standards für die Prozeduren einzuhalten“, so das UNHCR.

„Das Niveau der Ambitionen ist jetzt niedriger als im ursprünglich vorgelegten Text“, gibt auch der zuständige EU-Kommissar Antonio Vittorino zu. Dennoch begrüße die Kommission die nun vorliegende Direktive – mehr sei im Moment nicht drin, so der nüchterne Kommentar. Eine Haltung, die insbesondere der Europäische Flüchtlingsrat (Ecre), Amnesty International und Human Rights Watch zutiefst enttäuschte. Die Organisationen hatten noch im April an die Ministerrunde appelliert, den Entwurf für die Direktive zurückzuziehen.

Besonders umstritten ist die Einführung einer Liste mit „sicheren Drittstaaten“. Flüchtlinge, die aus solchen Staaten in die EU fliehen, hätten prinzipiell kein Recht auf Asyl. Da sich die 15 EU-Staaten nicht auf eine solche Liste einigen konnten, wurde in diesem Punkt schlichtweg auf eine einheitliche Lösung verzichtet: Fortan bleibt es jedem Land überlassen, ob es eine solche Liste anwenden will oder nicht.

Doch damit nicht genug. Zur umstrittenen Kategorie der „sicheren“ Drittstaaten soll eine weitere Gruppe hinzukommen, die so etwas wie „supersichere“ Staaten umfasst. Wer auf seiner Flucht nach Europa durch einen solchen supersicheren Staat reist, kann von den Einreisebehörden des EU-Staates zurück in dieses Land abgeschoben werden. Zudem können AsylbewerberInnen, die einen Widerspruch gegen ihren abgelehnten Antrag einlegen, ausgewiesen werden, bevor sie eine Antwort darauf bekommen haben. Laut UNHCR werden in manchen Ländern 30 bis 60 Prozent der Anträge erst in der Berufung angenommen.

Ein einheitliches Asylrecht hätte die Rechtslage der Flüchtlinge in manchen Ländern der EU verbessern können. Nun aber könnte das Gegenteil eintreffen: Besonders restriktive Regelungen, die bislang nur in einzelnen Mitgliedstaaaten angewendet werden, könnten von anderen kopiert werden. So etwa die bislang nur in Deutschland geltende Residenzpflicht, die festlegt, dass Flüchtlinge bestimmte Stadt- oder Landbezirken nicht verlassen dürfen.

Ecre und UNHCR drängen nun darauf, dass bei der Umsetzung der Direktive in nationales Recht nicht die Mindest-, sondern höchsten Standards angenommen werden. Das Verhalten der Luxemburger Regierung während des Ringens um einheitliche Asylregeln lässt hier nichts Gutes ahnen. Immerhin verbuchte Luxemburg zusammen mit Großbritannien einen „Erfolg“ in den Verhandlungen: Beide Länder setzten durch, dass künftig auch bestimmte Teilregionen eines Landes zur „sicheren Region“ oder ein ganzes Land für bestimmte Bevölkerungsgruppen zu einem sicheren Drittstaat erklärt werden können.


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