STAATSFINANZEN: Steuerkolonialismus

Das Staatsdefizit wird wesentlich geringer ausfallen als erwartet. Eine Wohltat, die zu falschen Schlüssen führt.

Eigentlich ist es eine gute Nachricht, die Finanzminister Luc Frieden da zu verkündigen hat: Bis zum 31. Dezember letzten Jahres hatte der Fiskus 11,68 Milliarden Steuern eingenommen, was nicht nur eine satte Milliarde mehr war als im Vorjahr, sondern auch den im Budgetentwurf für 2011 vorgesehenen Betrag um gut 550 Millionen übertraf. Da auf der anderen Seite die Ausgaben voraussichtlich ungefähr so hoch ausfallen werden wie geplant, wird sich das Gesamtdefizit für 2011 etwa um eine halbe Milliarde verringern und vielleicht nicht einmal mehr sechsstellig sein.

Die Nachricht kommt allerdings zur Unzeit: Die Regierung ist dabei wesentliche Elemente einer Austeritätspolitik in Kraft zu setzen und wird nicht müde, deren Notwendigkeit mit dem schlechten Zustand der Staatsfinanzen zu belegen. Gerade die symbolisch so wichtige „Modulation“ des Einkommens-Index in dieser Woche wurde ja nicht zuletzt mit diesem Argument zum absoluten „Must“ erklärt.

Nun ist das, was wir in Luxemburg unter Austerität verstehen, sicherlich (noch) kein Programm, das die Mehrheit der Menschen schlagartig ärmer macht. Aber es nagt doch merklich am Fundament des „Luxemburger Modells“ – und ob der Schaden nicht am Ende größer sein wird als der Nutzen, kann niemand so genau sagen.

Zwar mahnt der Finanzminister, diese ermutigenden Zahlen mit Vorsicht zu betrachten, denn viele der positiv abschließenden Einnahmeposten sind extrem flüchtig. Dass es über die in Luxemburg angesiedelten E-Commerce-Firmen eine Zunahme bei den Mehrwertsteuereinahmen geben würde, war zwar bekannt. Dass es aber gleich ein Plus von 130 Millionen, also mehr als ein Drittel des Betrags vom Vorjahr, sein würde, wer hätte das voraussagen können?

Genau wie beim internationalen Fondsgeschäft, das über die „taxe d’abonnement“ 2011 620 Millionen Euro in die Staatskasse gespült und ihr damit ein Plus von 20 Millionen beschert hat, sind es eben diese stark vom Ausland abhängigen Geschäfte, die dieses gute Ergebnis ermöglicht haben. Von so mancher Nische ist jedoch klar, dass sie nicht auf ewig Bestand haben wird. Das Internet-Geschäft zum Beispiel wird nach 2015 unvermeidlich einbrechen, da ab dann die Mehrwertsteuer nicht mehr im Land der Internetfirma, sondern im Bestellland abzuführen ist.

Niedrige Steuern, die aber dafür auch jenseits der Landesgrenzen erhoben werden, sind bislang ein Garant für gesunde Staatsfinanzen. Doch bei Benzin, Tabak und Alkohol geht der Trend zur Angleichung. Einschlägige Internetseiten rechnen den Bewohnern der Nachbarländer centgenau vor, wie lang die Fahrstrecke nach Luxemburg höchstens sein darf, damit sich die Tanktour dorthin überhaupt noch lohnt. Diese Distanz wird bei jeder Anpassung der Akzisen kleiner. Friedens selbstvergebener Auftrag ist es, in diesen Fragen Standvermögen zu beweisen und die Hinhaltetaktik bis aufs Letzte auszureizen.

Der Finanzplatz mit all seinen Nebenerscheinungen mache etwa 43 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus, rechnen uns die Statistiker vor. Der Anteil der durch diesen Sektor anfallenden direkten und indirekten Steuern dürfte noch höher liegen und weiterhin ansteigen. Wollte uns die CSV nicht vor Jahren schon auf den „séchere Wee“ in Richtung einer größeren Vielfalt der Luxemburger Wirtschaft bringen?

Unser Staat ist nicht nur hochgradig abhängig von dem, was in und um Europa passiert, er hat auch aufgehört, als Umverteiler innerhalb der Gesellschaft zu fungieren. Die direkten Lohnsteuern im Lande sind niedrig. Unser dennoch großzügiger Sozialstaat finanziert sich sehr wesentlich eben auch aus den wenig nachhaltigen Nischeneinnahmen.

Steuererhöhungen sind aber auch weiterhin ein Tabu, auch wenn sich der Staat durch sie neue Handlungsmöglichkeiten schaffen würde, sollten die externen Quellen einmal nicht mehr sprudeln. Aber der politische Mainstream setzt weiter voll auf den Finanzplatz, und deshalb passt Frieden die gute Nachricht im Ganzen doch in den Kram: Steuererhöhungen, vor allem durch eine wieder deutlich nach oben gestreckte Progression, fordern zur Zeit sogar die Gewerkschaften nur hinter vorgehaltener Hand.


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