GRATISPRESSE: Töten um zu überleben

Eine kürzlich erschienene CEPS/Instead-Studie beschäftigt sich mit dem in Luxemburg relativ jungen Phänomen der Gratispresse.

Als im Oktober 2007 die Editpress in einer joint venture mit der Schweizer Tamedia-Gruppe die erste Luxemburger Gratis-Tageszeitung lancierte, fackelte der große Bruder Saint-Paul nicht lange und startete nur anderthalb Monate später den Point24.

Doch mit den Gratis-Tageszeitungen ergab sich nicht nur über Nacht eine überall sichtbare Veränderung des urbanen Lebensraumes – keine Straßenecke, wo es keinen Zeitungskasten eines oder auch mehrerer dieser Blätter gibt – sondern es erschien auch eine neue Medienform in der luxemburgischen Öffentlichkeit, die von den KollegInnen der klassischen Verkaufszeitungen wohl nicht ganz zu Unrecht mit Argwohn betrachtet wird.

Die CEPS/Instead-Studie, die sich auf 2009 und die ersten Monate von 2010 bezieht und somit nicht mehr ganz taufrisch ist, versucht die Leserschaft und deren Gewohnheiten aufzuschlüsseln. Zur Leserschaft gehören wohlgemerkt nur in Luxemburg lebende Personen: Die GrenzgängerInnen, die laut eigenen Erhebungen von L’Essentiel mehr als ein Drittel der LeserInnen ausmachen, wurden nicht in die Umfrage mit einbezogen.

Ihre Absicht, neue Leserschichten zu erschließen, haben die Inauguratoren der Gratis-Zeitungen verwirklicht. Das gilt in starkem Maße für die 15 bis 24-jährigen. 73,5 Prozent der Befragten dieser Gruppe geben an, die Gratisblätter mindestens zweimal pro Woche zu lesen. Fast umgekehrt ist das Verhältnis bei den mehr als 65-jährigen: Von ihnen nehmen 66,6% die Blätter nicht zur Kenntnis.

Die Gratispresse erreicht vor allem auch die populären Schichten. Je niedriger Einkommen, Bildungsgrad und berufliche Einstufung, desto ausgeprägter die Bevorzugung der Gratisblätter. Von den Geringverdienern geben 60,2 Prozent an, eine der Gratiszeitungen zu lesen, während dies bei den hohen Einkommensgruppen lediglich 39,7 Prozent sind. Werden nur die Personen berücksichtigt, die ausschließlich die Gratispresse lesen, verschärft sich das Profil sogar noch: Es ist noch jünger, noch einkommensschwächer und vor allem in noch stärkerem Maße nicht-luxemburgisch.

Geht der Erfolg der Gratisblätter zu Lasten der traditionellen Printmedien? Die Studie will in dieser Hinsicht beruhigen, indem sie feststellt, dass es, mit 35 Prozent, mehr LeserInnen gibt, die sich vor allem auf klassische Zeitungen verlassen, als solche, die nur die Gratisblätter konsultieren (21 Prozent). Und 29 Prozent nutzen beide Formen der täglichen Printinformation.

Das Wesen der Gratisblätter besteht darin die größtmögliche Zahl an LeserInnen zu erreichen, um so die Anzeigentarife anheben und die wirtschaftliche Basis verbessern zu können, darf insbesondere die Lancierung von L’Essentiel als gelungen gelten: Das Blatt überflügelte 2011 (TNS Ilres Plurimedia) mit 30 Prozent Reichweite nicht nur den Konkurrenten Point24 (17,1), sondern sogar das hauseigenen (Bezahl-)Flaggschiff Tageblatt (13,3) um ein Mehrfaches.

Doch die größte Gefahr für die klassischen Zeitungen dürfte weniger vom Schwund der LeserInnenzahlen ausgehen als von dem des Anzeigenaufkommens. Besonders in Krisenzeiten wandern die Anzeigenkunden zu den Gratisblättern ab, die für das gleiche Geld eine höhere Reichweite versprechen. Am Ende fehlen so den Bezahlblättern die Mittel, Qualitätsjournalismus zu betreiben. Für die Verlagshäuser könnte sich damit der kommerzielle Erfolg doch noch als zweischneidige Angelegenheit erweisen.

Vielleicht gelingt es Jacques Drescher, Mitherausgeber des Satireblattes „Den neie Feierkrop“, ja, anlässlich des heutigen „Roten Freitag“ die Interpretationslücken der CEPS/Instead- Studie zu schließen. Neben den Umwälzungen, die in den letzten Jahren die Medien und vor allem die gedruckte Presse durchgemacht haben, widmet sich der langjährige Journalist ab 19 Uhr im dqliq unter dem Thema „Die (Un)abhängigkeit der Medien in Luxemburg“ der „angeblichen“ Gleichschaltung der Medien, den finanziellen Zwängen und auch dem Aufkommen der Gratis- und Internetzeitungen, die – laut Einladungstext – aus den LeserInnen „Piraten“ machen.


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