ISRAEL, IRAN, ATOMBOMBEN: Internationale Zwischentöne

Jenseits der Grass-Debatte gibt es auch eine Debatte über Sicherheitspolitik: Könnte Israel mit einem nuklearen Iran koexistieren, wann und wie sollen die USA einen Militärschlag durchführen ? mit solchen Fragen beschäftigt sich die Zeitschrift „Foreign Affairs“.

Musste es gesagt werden? Ist das, was Günther Grass veröffentlicht hat, falsch, gar antisemitisch? Oder einfach nur überflüssig? Bei der deutschen Debatte über Grass und die Atommacht Israel geht es – wie im Gedicht selber – darum, in welcher Form man sich mit dem Iran, Israel und der Bedrohung durch nukleare Waffen befassen soll, und weniger darum, was man dazu zu sagen hat. Anderenorts wird seit langem eine sachlichere, wenn auch nicht weniger kontroverse Diskussion geführt. Insbesondere die jenseits des Atlantiks vorgetragenen Expertenmeinungen bergen einige Überraschungen.

Eine der wichtigsten US-Zeitschriften in Sachen internationale Beziehungen, „Foreign Affairs“, veröffentlichte vor zwei Wochen einen Aufsehen erregenden Online-Beitrag des in Israel und den USA tätigen Konfliktforschers Dmitry Adamsky mit dem Titel „Why Israel should learn to stop worrying and love the bomb“. Dabei geht es nicht darum, die iranische Bombe, sondern die eigene, israelische, zu „lieben“. Adamsky bedauert, dass Israel beim Umgang mit dem iranischen Atomprogramm fast ausschließlich der „Begin-Doktrin“ folge, in der jedes feindliche Nuklearprogramm als existenzielle Bedrohung gelte, das unbedingt abzublocken sei. Im Gegensatz dazu spricht er sich für eine auf die „Samson-Option“ gestützte Strategie der Existenzsicherung aus: Im Extremfall könne das Land einen Nuklearangriff durchführen, der den Gegner mitvernichtet, so wie seinerzeit der gefangene Samson den Philistertempel zum Einsturz brachte.

Begin oder Samson?

Um nicht-nukleare Angriffe abzuwehren, benötigt Israel sowieso konventionelle Verteidigungskräfte, so Adamskys Überlegung. Weil das Land seine qualitative Überlegenheit in diesem Bereich erfolgreich aufrechterhalte, seien die israelischen Atomwaffen vor allem nützlich, um ein Gleichgewicht des Schreckens gegenüber anderen Atommächten herzustellen, entsprechend der während des Kalten Krieges praktizierten Doktrin der „Mutual Assured Destruction“ (MAD). Das Land solle aufhören, eine iranische Nuklearbewaffnung als „das Ende der Welt“ anzusehen. Den Mangel an Bereitschaft, eine auf MAD beruhende Stabilität als Möglichkeit zu erwägen, führt Adamsky auf die „Belagerungsmentalität“ zurück. Die verständliche jüdische und israelische Angst vor einem zweiten Holocaust führe dazu, absolute Sicherheit zu suchen statt eines stabilen Kräftegleichgewichts.

Eine iranische Bombe werde die „Begin-Doktrin“ diskreditieren, nicht aber die „Samson-Option“, so Adamsky. Um aber eine funktionierende Abschreckung und Stablität zu erreichen, müsse Israel seine Abschreckungsstrategie, die derzeit nur als schwammiger, stillschweigender Entwurf existiere, ausformulieren. Dass diese Schwammigkeit einen deutschen Dichter so verwirrt, dass er befürchtet, der Iran solle ausgelöscht werden, dürfte dem Konfliktforscher dabei weniger Sorgen bereiten als eventuelle Missverständnisse und Fehlkalkulationenen seitens eines iranischen Präsidenten.

Adamskys Analyse wird vielleicht nicht von der Mehrheit der israelischen Experten geteilt, doch unter US-Konfliktforschern wird allgemein ein iranischer Atomangriff gegen Israel als sehr unwahrscheinlich angesehen. Wenn aber das Szenario entfällt, das in der öffentlichen Meinung als wichtigster Grund angesehen wird, gegen Teherans Atomprogramm vorzugehen, wozu dann überhaupt die Sicherheitsratsbeschlüsse, Sanktionen und Kriegsspiele der vergangenen Monate und Jahre? Hierauf liefert die seit Januar in „Foreign Affairs“ ausgetragene Debatte einige Antworten.

Auslöser der Debatte war ein „Time to attack Iran“ überschriebener Beitrag des sicherheitspolitischen Experten Matthew Kroenig. Seine betont rational begründete und sich von der Falken-Rhetorik abgrenzende These lautet: Ein sorgfältig durchgeführter, auf das Atomprogramm beschränkter Militärschlag gegen den Iran werde die Welt von einer Bedrohung befreien und die „national security“ verbessern. Interessant ist insbesondere, worin er die Hauptgefahr sieht: „Ein mit nuklearen Waffen ausgestatteter Iran würde umgehend die Handlungsfreiheit der USA im Mittleren Osten einschränken. (…) könnte der Iran jede politische oder militärische US-Initiative im Mittleren Osten mit einem Atomkrieg bedrohen.“ Was Israel angeht, so schließt Kroenig einen „vorsätzlichen selbstmörderischen nuklearen Krieg“ aus, fürchtet allerdings die Eskalation einer Krise zwischen beiden Ländern.

Der optimale Krieg

Ein dauerhaftes US-Militäraufgebot in der Krisenregion würde laut dem Experten ausreichen, den Iran zu blockieren, doch angesichts der Kosten sei ein Militärschlag vorzuziehen. Dabei müsse Washington mit Gegenschlägen rechnen und diese hinnehmen, um eine Eskalation zu vermeiden. Wichtig sei, der iranischen Führung zu verstehen zu geben, welche Gegenschläge nicht akzeptiert werden würden. Und vor allem: dass es nicht darum gehe, das Regime zu stürzen. „Die USA dürfen dem Ausgang der innenpolitischen Auseinandersetzungen im Iran nicht mehr Gewicht zumessen als ihren vitalen Sicherheitsinteressen.“

Das sehen zwei von Kroenigs Kollegen anders: Jamie M. Fly und Gary Schmitt sprechen sich in einem Antwortbeitrag für einen militärisch herbeigeführten „regime change“ im Iran aus, nach dem Motto „Go big, then go home“. Sie sagen voraus, dass auch ein begrenzter Militärschlag eine massive Reaktion der iranischen Führung hervorrufen werde. Deshalb könne man genausogut die Zielliste über die nuklearen Anlagen hinaus ausweiten und eine umfassendere Operation planen. Würde die Fähigkeit der Regierung, die iranische Bevölkerung zu kontrollieren, zerstört, so eröffne sich die Chance für einen oppositionellen Aufstand.

Ob dieses innenpolitische Kalkül realistisch ist, sei dahingestellt. Was Fly und Schmitt völlig ausblenden, ist das Problem der Konsequenzen einer solchen Vorgehensweise für die internationalen Beziehungen. Die USA wären vermutlich so isoliert wie 2003 beim unilateralen Angriff gegen den Irak, in der arabischen Welt wäre ein ungeheurer Aufruhr zu erwarten, und die UNO würde bedeutungsloser erscheinen denn je. Das wäre keine gute Basis für eine friedliche Regelung der weltweiten Ressourcen- und Umweltprobleme in den kommenden Jahrtzehnten.

In der Märznummer von „Foreign Affairs“ schließlich legte der Sicherheitsexperte Colin H. Kahl dar, warum es „not time to attack Iran“ sei. Zum Teil ähnelt seine Argumentation jener der „go big“-Apologeten: Der von
Kroenig befürwortete begrenzte Schlagabtausch sei eine Illusion, ein Krieg mit dem Iran laufe in jedem Fall auf eine chaotische und außerordentlich brutale Konfrontation hinaus. Doch Kahl plädiert dafür, abzuwarten, solange die iranische Führung sich nicht endgültig für eine Militarisierung des Uranprogramms entschieden hat: „Angesichts der hohen Kosten und inhärenten Ungewissheiten eines Schlags sollte die Vereinigten Staaten nicht überstürzt Gewalt anwenden, bevor alle anderen Option erschöpft sind.“ Diese gemäßigte Haltung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kahl keinen Radikalpazifismus vertritt, sondern, wie alle anderen US-Autoren, reine Interessenpolitik. Und auch wenn sich die Titel der Beiträge von Kroenig und Kahl zu widersprechen scheinen, so sind sie sich darin einig, dass ein nuklearer Iran unbedingt verhindert werden müsse, und im Fall der Fälle – zum Beispiel, wenn eine neue geheime Anreicherungsanlage entdeckt werden sollte – nur ein Militärschlag in Frage komme.

Unter www.foreignaffairs.com/features/collections/the-iran-debate-to-strike-or-not-to-strike findet man mehrere Beiträge zur Iran-Frage, die meisten davon derzeit frei zugänglich.


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