KREBSFORSCHUNG: Hoffen auf einen Durchbruch

Manchmal passieren wundersame Dinge. Ein 15-jähriger Schüler aus den USA entwickelt einen Krebserkennungstest, der 168-mal schneller, 26.667-mal günstiger und bis zu 400-mal treffsicherer ist, als herkömmliche Verfahren. Ist so eine revolutionäre Entwicklung auch in der Therapie in Sicht?

Wie lässt sich das Wachstum von Krebszellen verhindern?

Salmonellen mögen nicht nur Eierspeisen, sondern offensichtlich auch Tumorgewebe. Forscher am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig wollen den Krebs daher mit dem berüchtigten Krankheitserreger bekämpfen. Die Versuchstiere – Mäuse mit einem Tumor in der Bauchhaut – bekamen Bakterien der Art Salmonella Typhimurium injiziert. Eineinhalb Stunden nach der Infektion versammelten sie sich vor allem in Milz und Leber, während im Tumor nur einzelne Bakterien hängen blieben. Nach 24 Stunden hatten sich die Salmonellen dann aber umverteilt: Nun fanden sich im Tumor größere Mengen als in Leber und Milz. Scheinbar hatten sich die Bakterien auf den Tumor gestürzt.

Das Eindringen in den Tumor ist weniger Absicht, als vielmehr ein biologischer Zufall, erklärt Sara Leschner von der Abteilung für Molekulare Immunologie. Die weißen Blutkörperchen in der Maus schütten – als Reaktion auf die Salmonelleninfektion – einen Botenstoff aus. Der heißt TNF-a (tumor necrosis factor alpha) und lockt einen bestimmten Typ von Immunzellen, die neutrophilen Granulozyten, an den Ort der Infektion, wo die Salmonellen dann bekämpft werden. Gleichzeitig macht der Botenstoff aber auch die Blutgefäße im Tumor durchlässig – eine Eintrittskarte für die Salmonellen. Sie lassen sich mit dem Blut in den Tumor hineinschwemmen.

Forschung am Anfang

Die Forscher schauten sich an, was im Krebs passiert, wenn die Salmonellen hereingeflutet kommen. Sie entnahmen das Bauchgeschwür, schnitten es in hauchdünne Scheiben und legten es unter das Fluoreszenzmikroskop. Dort war ein großes, schwarzes Loch zu sehen, dass in der Mitte des Tumors klaffte. Die Salmonellen hatten hauptsächlich diesen zentralen Bereich kolonisiert und vermutlich den Inhalt von toten Zellen gefressen.

Die Salmonellen finden im Tumor zwar Nahrung, sie zerstören ihn aber nicht, sagt Leschner. Vielmehr unterstützen sie das Immunsystem bei dessen Abstoßung. Denn die Infektion hat einen Effekt: Plötzlich werden im Tumor größere Mengen von Tumor-antigenen freigesetzt. Diese veranlassen eine gegen den Tumor gerichtete Immunreaktion, indem sie den Immunzellen zeigen, wer der Gegner ist. Leschner: „Die Bakterien wirken vermutlich als Wirkverstärker, wie er auch bei Impfungen eingesetzt wird.“

Die Salmonellen lassen den Tumor langsamer wachsen oder sogar ganz verschwinden – theoretisch könnten sie auch krebskranken Menschen helfen. Aber die Forschung steht erst am Anfang, meint Siegfried Weiß, der die Studien leitet: „Wir würden den Patienten umbringen, wenn wir ihm normale Salmonellen injizieren. Die Bakterien müssen abgeschwächt werden, aber aggressiv genug bleiben, damit sie in den Tumor eindringen können.“

Bei Versuchen am National Cancer Institute in den USA ist dieser bakterielle Drahtseilakt misslungen. Die Forscher hatten den Salmonellenstamm genetisch verändert und seine „Angriffslust“ zu weit abgeschwächt. Er verlor die Fähigkeit, den Tumor zu besiedeln. Der Vorteil der Salmonellen: Sie lassen sich leicht manipulieren. Dennoch werde es noch lange dauern, sagt Weiß, bis sie gegen Krebs eingesetzt werden können, denn es gebe hohe Auflagen, weil es sich um einen Krankheitserreger handle. Zudem forschen nur wenige Institute an Salmonellen.

Doch würde eine Therapie mit den Krankheitserregern den Durchbruch bringen? Das ist schwer vorherzusagen, sagt Weiß, denn Tumore lernen, ein Immunsystem zu umgehen. Bei der Salmonellen-Maus zog sich der Tumor zwar zurück, kam dann aber wieder, weil er nicht restlos abgestoßen war.

Krebsforscher setzen ihre Hoffnungen auch auf Blindmäuse. Die seltsam aussehenden Nager leben unter der Erde, in totaler Dunkelheit, mit vielen Krankheitserregern und wenig Nahrung. Dieses Leben ist stressig, sagt Eviatar Nevo von der University of Haifa in Israel, der Blindmäuse schon seit über vierzig Jahren erforscht. Er traut den Nagern eine „dramatische medizinische Revolution“ zu.

Diese Revolution versucht Vera Gorbunova von der University of Rochester in Gang zu setzen. Mithilfe von zwei Blindmausarten, Spalax judaei und Spalax golani, die in Israel unter der Erde leben. Gorbunova stimulierte deren Haut- und Lungenzellen mit so genannten Wachstumsfaktoren, also Proteinen, die Zellen – wie bei einer Krebserkrankung – zum Wuchern bringen. „Wir haben das Serum von Kälberföten genommen“, berichtet Gorbunova. Zuerst war im Reagenzglas nichts Außergewöhnliches zu beobachten. Die Zellen teilten sich munter, bis zu 20 Zyklen lang. Dann startete die Blindmaus ihren Anti-Krebs-Mechanismus. Gorbunova: „Die wuchernden Zellen begannen Interferon-beta abzusondern. Dieses Protein löste einen massiven nekrotischen Zelltod aus.“

Bakterieller Drahtseilakt

Drei Tage brauchten die Zellen, um sich selbst zu zerstören. Gorbunova will diesen Schutzmechanismus auf Menschen übertragen. Die bekämpfen Tumore zwar auch mit Interferon-beta, im Rahmen der Apop-tose, des programmierten Zelltods, aber eben nur in begrenztem Umfang. Raffaella Santoro von der Universität Zürich arbeitet an einem relativ neuen wissenschaftlichen Ansatz. Die Molekularbiologin vergleicht die DNA mit einem Kochbuch. Es enthält Rezepte in Form von Genen, die den Zellen sagen, wie sie funktionieren sollen. Aber jede Zelle kocht auch ihr eigenes Menü. Der Grund: Menschen haben nicht nur einen genetischen Code, sondern auch einen zweiten, den epigenetischen. Dieser verändert die Erbsubstanz, indem er entscheidet, ob ein Gen an- oder abgeschaltet ist.

Epigenetische Veränderungen entstehen auf zwei Wegen. Einmal durch DNA-Methylierung, bei der spezielle Moleküle, Methylgruppen genannt, an die DNA andocken. Sie lassen das Gen verstummen, es kann dann kein Protein mehr herstellen. Die Aufgabe, die dieses Protein hätte erfüllen sollen, bleibt unerledigt.

Ein zweiter Auslöser ist die Modifikation der Histone, des Verpackungsmaterials der Erbsubstanz, um das sich die DNA herumwickelt. Ohne diese Histone würde der zwei Meter lange DNA-Strang nie und nimmer in den winzigen Zellkern passen.

Der Verpackungsinhalt muss allerdings aufgelockert sein, damit die Informationen in den Genen abgelesen werden können. Dafür brauchen die Histone verschiedene kleine Moleküle, zum Beispiel die Acetylgruppen. Sind zu wenige davon da, ist die Erbsubstanz zu dicht verpackt. Die genetische Information wird dann nicht abgelesen – das Gen produziert auch in diesem Fall kein Protein.

Bislang ist nicht klar, wie viel Einfluss die Umwelt auf den epigenetischen Code hat. Aber dass sich etwa die Ernährung direkt auf die DNA auswirkt, steht außer Zweifel. Schlechtes Essen kann ein Gen verstummen lassen. Was ein großes Risiko birgt, sozusagen ein angegessenes. Denn epigenetische Veränderungen können auch Tumorsuppressorgene verstummen lassen. Diese leiten den programmierten Tod von beschädigten Zellen ein, die Apoptose. Wenn sie nicht funktionieren, hat ein Tumor freie Bahn. Santoro: „Viele Krebsarten entstehen dadurch, dass die Gene für Reparaturenzyme oder Schutzmechanismen ausgeschaltet werden.“

Zum Glück ist eine epigenetische Veränderung – im Gegensatz zur Gen-Mutation – rückgängig zu machen. Ein stummes Tumorsuppressorgen kann wieder „zum Sprechen“ gebracht werden. Dafür werden so genannte Inhibitoren eingesetzt. Diese Hemmstoffe blockieren die Enzyme, die zum Beispiel das Anhaften der Methylgruppen an der DNA veranlassen. Santoro erklärt das Prinzip der epigenetischen Therapie: „Krebszellen wollen nicht sterben, auch wenn sie stark beschädigte DNA haben. Aber sie können zum Sterben gezwungen werden ? durch Reaktivierung des Tumorsuppressorgens.“

DNA als Kochbuch

Auch die Nebenwirkungen ließen sich stark reduzieren. Denn durch epigenetische Therapie kann die Krebszelle gezielt angegriffen werden, erklärt Santoro. Im Gegensatz zur Chemotherapie. Die soll kranke Zellen am Wachstum hindern oder zum Absterben bringen, schädigt allerdings auch die gesunden Zellen von Knochenmark, Schleimhaut und Haarwurzeln. Die Folgen: Blutarmut, Haarausfall und Zahnfleischentzündungen.

Im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts EpiGeneSys wird der epigenetische Code entschlüsselt. Die Therapie ist aber nur ein Teil des epigenetischen Plans zur Krebsbekämpfung. Darüber hinaus arbeiten die Forscher an neuen, präziseren Diagnoseverfahren. Das komplette Epigenom eines Patienten soll sequenziert und nach „falschen“ Methylierungen durchsucht werden, also solchen, die etwa ein Tumorsuppressorgen stumm machen. Die Pläne brauchen aber noch viel Zeit, sagt Santoro. Zuerst muss klar sein, wie eine falsche epigenetische Markierung überhaupt gesetzt wird.

Bei rund 60 Prozent aller Krebserkrankungen ist ein Protein namens p53 defekt, ein Tumorsuppressorgen. Drohen Zellen zu Krebszellen zu entarten, bringt dieser „Zellpolizist“ sie dazu, sich umzubringen. Dabei erhöht sich die Anzahl der p53-Moleküle vorübergehend – muss aber auch wieder herunterreguliert werden, sobald das Wachstum kranker Zellen gestoppt ist.

Ein spezieller Molekül-Komplex – Mdm2/mdmx – soll die überschüssigen p53-Proteine deaktivieren. Werden allerdings zu viele von den Molekülen produziert, legen sie p53 molekulare Fesseln an. Dann breiten sich bösartige Zellen ungehindert aus.

Dieses Problem kann gelöst werden. Forscher haben eine Reihe von Wirkstoffen hergestellt, die den Mdm2/Mdmx-Komplex in Krebszellen ausschalten. Zwar existierten vorher schon ähnliche Substanzen, aber diese hemmten nur einen Teil des Molekül-Komplexes, nämlich Mdm2. Ein Wirkstoff, der beide Moleküle lahmlegt, war bis jetzt noch nicht bekannt. Er würde die Heilungschancen vergrößern.


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