FREIHANDEL UND TTIP: Der Waffenlieferant

Eine Mogelpackung sind Raoul Marc Jennars Vorträge wahrlich nicht. Das Publikum bekam eher zu viel als zu wenig Informationen und war dankbar für die anschaulichen Beispiele.

„Es gibt Dinge, die mich wirklich empören.“ Nachdem er bereits über eine Stunde lang gegen Liberalisierung und Freihandel gewettert hatte, gab Raoul-Marc Jennar ein besonders krasses Beispiel: „Die Verhandlungen sollten darauf abzielen, (…) einen unbeschränkten und nachhaltigen Zugang zu Rohstoffen sicherzustellen.“ Das stehe im Artikel 37 des Verhandlungsmandats der EU-Kommission für das TTIP, das transatlantische Freihandelsabkommen (woxx 1258). Es bedeute nichts Geringeres als die Privatisierung der Bodenschätze und werde sogar zur Folge haben, dass eine Firma wie Chevron europäische Staaten zwingen könnte, ihr die Förderung von Schiefergas zu erlauben, so Jennar.

Mit anschaulichen Beispielen wie diesem versuchte der aus Belgien stammende französische Publizist am vergangenen Dienstag, dem Publikum im Obergeschoss des Bonneweger Casinos Munition im Kampf gegen das TTIP zu liefern. Überzeugen musste Jennar die über 100 Anwesenden, die den Vortrag zum Teil im Stehen verfolgten, kaum. Manche Beispiele waren allerdings etwas undifferenziert: Dass die Welthandelsorganisation die EU unter Druck setzt, die Einfuhr von Hormon-Rindfleisch aus den USA zuzulassen, führte er als Beweis dafür an, dass der Schutz der Gesundheit dem Prinzip des freien Wettbewerbs untergeordnet werde. Dabei argumentieren die USA in dieser Frage durchaus mit wissenschaftlichen Argumenten und nicht nur mit dem Konkurrenzrecht. Solche Ungenauigkeiten werfen die Frage auf, welche von Jennars Argumenten stichhaltig, und welche leicht böswillig sind.

Das berechtigte Gefühl, von den herrschenden Eliten an der Nase herumgeführt zu werden, mag viele Progressisten dazu bringen, es mit den vorgebrachten Argumenten nicht allzu genau zu nehmen. Jedenfalls gab es keine kritischen Fragen aus dem Publikum. Auch der Diskussionsbeitrag des russischen Botschafters am Ende der Veranstaltung, der den Kapitalismus kritisierte und vor einer einseitigen Sicht der Dinge warnte, wurde eifrig beklatscht … vielleicht, weil man die Feinde des Erzfeindes – den USA – automatisch als Freunde ansieht.

Wer ist der Feind?

Bemerkenswert war, wie Jennar die Zuschauer mit einem so trockenen Thema in seinen Bann ziehen konnte. Kaum jemand verließ den Saal, obwohl der Redner gegen halb zehn beiläufig erklärte, er komme nun zum Kern der Sache – und auch eine Stunde später noch kein Ende gefunden hatte. Raoul-Marc Jennar, ein kleiner Herr im Anzug mit roter Krawatte, versteht sich als eine Art Waffenlieferant für die gute Sache. „Ihr müsst in die Wohnviertel und Dörfer gehen und die Menschen informieren“, ermahnte er das Publikum. Und versprach, jedem Interessierten, eine Zusammenfassung des Vortrags, die Slides und noch weiteres Material per E-Mail zuzuschicken ? wofür die Adresse „leserlich und in Großbuchstaben“ in eine Liste einzutragen sei.

Bei der schieren Masse von Erklärungen und Argumenten könnte man leicht übersehen, wie pädagogisch manche Ausführungen waren, zum Beispiel die zur „indirekten Enteignung“ oder die zu den Auswirkungen der Meistbegünstigungsklausel auf die europäische Landwirtschaft. Beeindruckend war Jennars Warnung davor, die unternehmerische Freiheit zu vergrößern zu einer Zeit, da die Klimakrise eine stärkere Regulierung unabdingbar mache.

Unklar blieb allerdings, wer, im Zusammenhang mit dem TTIP, in Jennars Augen der eigentliche Feind ist. So plädierte er für ein „europäisches Europa“, das die Distanz zu den USA, mit denen es keinen Konsens über Grundwerte gebe, bewahrt. Diese Forderung untermalte er mit einer ganzen Serie von Beispielen, bei denen man sich allerdings fragte, ob sein ideales Europa etwa nur aus dem den südwesteuropäischen République- und Service-public-Archipel besteht. Andererseits verwahrte sich Jennar gegen „blödsinnigen“ Antiamerikanismus, und manche seiner Äußerungen lassen einen universellen Ansatz erkennen, wie sein Allende-Zitat von 1972: „Dies ist ein regelrechter Konflikt zwischen den multinationalen Konzernen und den Staaten. Die politischen, wirtschaftlichen und politischen Grundsatzentscheidungen der Staaten werden in der Tat von globalen Strukturen beeinflusst, welche an kein Land gebunden und deren Aktivitäten keinem Parlament Rechenschaft schuldig sind.“


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