GEMEINWOHL-ÖKONOMIE: Der Lohn des Guten

Unternehmen als Wegbereiter einer besseren Welt … Propaganda-Trash? Keineswegs, denn Christian Felbers Theorie der Gemeinwohl-Ökonomie setzt zwar auf die Freiheit, vergisst dabei aber nicht die Gleichheit und die Brüderlichkeit.

Wer knutscht den Elch? Mit der Kombination von Eigeninitiative und Kooperation kommt man am schnellsten ans Gemeinwohl-Ziel. (Foto: Doug Smith / PD)

„In der kapitalistischen Marktwirtschaft werden die Mächtigeren geradewegs dazu ermutigt, ihren Vorsprung, das Machtgefälle, auszunützen, denn daraus – aus dem Streben nach dem eigenen Vorteil und der daraus resultierenden Konkurrenz – ergibt sich erst die ganz besondere ‚Effizienz` des freien Marktes.“ Diese trockene Beschreibung des herrschenden Wirtschaftssystems stammt von dem politischen Autor Christian Felber. Genauso trocken formuliert er sein Urteil: „Ehrlicherweise sollte deshalb jede Marktwirtschaft, die auf Gewinnstreben und Konkurrenz beruht, in rücksichtslose, inhumane und letztlich illiberale, weil die Freiheit zerstörende Marktwirtschaft umbenannt werden.“

Wer mehr über die negativen Auswirkungen erfahren will, kann natürlich eines von Felbers Büchern lesen. Oder eines von zehntausend anderen Büchern, die in den vergangenen 15 Jahren im Fahrwasser der globalisierungskritischen Bewegungen geschrieben wurden. Dass gerade Felbers Bücher recht erfolgreich sind, liegt nicht nur daran, dass sie gut geschrieben sind. Über die Darstellung von dem, was ist, hinaus zeichnet der Autor ein Bild von dem, was sein könnte. Und anders als viele Gegenentwürfe schafft er es in seinem Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie“, Utopie und Praxis, Radikalität und Realismus miteinander zu verbinden.

Alternative Bosse?

Christian Felber ist Gründungsmitglied von Attac Österreich und hatte bereits 2004 das „Schwarzbuch Privatisierung“ in Luxemburg vorgestellt (woxx 738). Aufgrund des großen Interesses an dem 2010 erschienenen Gemeinwohl-Buch hielt er in den vergangenen Jahren zahlreiche Vorträge, so auch in Luxemburg (woxx 1265). Dem weltweiten Netzwerk für den Übergang zu einer Gemeinwohl-Ökonomie gehören mittlerweile etwa 6.000 Privatpersonen und über 1.700 Unternehmen an.

Dass Felber für radikale Systemkritik steht, wird spätestens auf Seite 9 klar: Er erklärt, die Gemeinwohl-Ökonomie wolle den Werte-Widerspruch zwischen der Wirtschaft und der Gesellschaft auflösen. Zu diesem Zweck müssten „in der Wirtschaft dieselben Verhalten und Werte belohnt und gefördert werden, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen: Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen“. Immer wieder betont er die Überlegenheit der Kooperation über das Konkurrenzprinzip: Der Autor verweist auf Studien, die belegen, dass miteinander zu wirtschaften effizienter ist als gegeneinander zu arbeiten. Solche Erkenntnisse würden aber nicht umgesetzt, weil das Festhalten am Konkurrenzprinzip den Mächtigen zupass komme: „Wenn wir Menschen nicht lernen, zu kooperieren und uns zu solidarisieren, werden wir die Machtverhältnisse nicht infrage stellen und mit vereinter Kraft verändern?, so Felber. Beim Versuch, „uns selbst mit Ellbogentechnik in den Bereich der Macht und in die gesellschaftlichen Eliten vorzukämpfen“ blieben die meisten Menschen auf der Strecke.

Diese harsche Kritik an den Grundlagen unseres Wirtschaftssystems hat Felber den Vorwurf eingetragen, Kommunist zu sein. Doch KommunistInnen dürften Ausschlag bekommen, wenn sie sein Buch lesen: Im Zentrum der Veränderung stehen nicht etwa die Arbeiterklasse und die Planwirtschaft, sondern die Privatunternehmen und die Marktwirtschaft. Die Rahmenbedignungen sollen sich dabei allerdings drastisch ändern: „Die Gemeinwohl-Ökonomie schafft weder die Finanzbilanz ab, noch verbietet sie privaten Unternehmen, Gewinne zu erzielen. Der Unterschied zum Kapitalismus ist, dass Finanzgewinn nicht länger der Zweck des unternehmerischen Strebens ist, sondern zum Mittel für den eigentlichen Zweck wird: einen größtmöglichen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.“ Ein Zweck, der manchen Wirtschaftstreibenden nicht fremd ist, so Felber, der seine Bewegung aus der Attac-Unternehmergruppe heraus lanciert hat. Aber: „Die rechtliche Wirtschaftsordnung unterstützt nicht diese Weltanschauung, sondern Profitmaximierung, grenzenloses Wachstum und gegenseitiges Fressen.“

Damit das anders wird, soll neben der Finanzbilanz die viel wichtigere Gemeinwohlbilanz obligatorisch werden. Aus dieser soll zu erkennen sein, was ein Unternehmen für die Gesellschaft wirklich leistet, ob es also zum Beispiel sinnvolle und nachhaltige Produkte herstellt und ob es seine MitarbeiterInnen gut behandelt. In den vergangenen Jahren haben Dutzende von ExpertInnen an einer Matrix für ein solches Gemeinwohl-Audit gearbeitet und sich dabei mit der Frage, was Gemeinwohl eigentlich ist, auseinandergesetzt. Auf freiwilliger Basis lassen mittlerweile Betriebe verschiedenster Art solche Bilanzen erstellen, bei denen anhand von 18 Indikatoren eine Note zwischen 0 und 1.000 errechnet wird. Pionier in Luxemburg ist die Oikopolis-Gruppe, die im vor kurzem veröffentlichten Audit 633 Punkte erreicht hat – ein Experiment, auf das wir in der nächsten Nummer zurückkommen werden.

Gemeinwohl in Luxemburg

Die Oikopolis-Gemeinwohlbilanz hat auch den Anstoß zur Gründung eines luxemburgischen Ablegers der Gemeinwohl-Bewegung gegeben. Durch die Newsletter habe er erfahren, dass sich auch in Luxemburg eine Firma für das Thema interessiert, erzählt Gregor Waltersdorfer, ein österreichischer Student, der gegenwärtig in Luxemburg an einer Doktorarbeit über sinnvolle Produktentwicklung arbeitet. Er habe darauf Clemens Lageder, Projektleiter der Oikopolis-Gemeinwohl-Gruppe, kennengelernt sowie den Unternehmensberater Jean-Luc Karleskind. „Wir haben dann beschlossen, eine Unterstützungsgruppe zu gründen.“

Der Vortrag von Christian Felber im Mai dieses Jahres bot die Gelegenheit, weitere Personen für die Idee zu gewinnen. Die Gruppe – etwa zehn Personen – trifft sich alle zwei bis drei Wochen und ist derzeit noch dabei, sich in die Feinheiten der Felberschen Theorie einzuarbeiten. Daneben informiert man sich über alles, was es an alternativen wirtschaftlichen Projekten in Luxemburg bereits gibt – zum Beispiel stand vor kurzem eine Besichtigung der Gemeinde Beckerich im Beisein von Camille Gira auf dem Programm. „Die Gemeinwohl-Ökonomie geht von bestehenden Strukturen aus, nicht von einer Utopie“, unterstreicht Waltersdorfer. Deshalb sei sie recht breit angelegt und könne andere Bewegungen miteinbeziehen.

Zu diesem Pragmatismus passen auch die wirtschaftsliberalen Elemente der Theorie: „Es ist richtig, dass die Gemeinwohl-Ökonomie die unternehmerische Freiheit bejaht – in gewissen Grenzen“, sagt Waltersdorfer. Ebenso wichtig seien die von Felber vorgesehenen Umverteilungsmechanismen von Geld und Macht. Die Gruppe will sich derzeit noch weiter vernetzen, bei der Kommunikation der Gemeinwohl-Bilanz von Oikopolis mithelfen und dann im nächsten Jahr an die Öffentlichkeit treten.

Gewiss, der Handlungsdruck ist groß, doch eigentlich arbeitet die Zeit für solche Initiativen. „Die kapitalistische Marktwirtschaft ist am Auslaufen“, beschreibt Felber die derzeitige Systemkrise. Mit einem Augenzwinkern hat er sein Buch Margaret Thatcher und Angela Merkel gewidmet, und den Spruch „Es gibt immer eine Alternative“ dazu gesetzt. Die Bereitschaft, tiefgreifende Veränderungen am Wirtschaftssystem vorzunehmen wird größer, je länger die Krise dauert und je klarer wird, dass die klassischen liberalen Rezepte Mensch, Gesellschaft und Umwelt in immer größere Not bringen.

Wie soll die Berücksichtigung des Gemeinwohls durch Unternehmen das System verändern? Erklärtes Ziel ist es, die Erstellung von Gemeinwohlbilanzen so verbindlich zu machen wie die einer Finanzbilanz. „Die KonsumentInnen hätten damit auf einen Blick eine kompakte Information über die Gemeinwohl-Performance des Unternehmens, desen Produkt sie für den Einkauf in Erwägung ziehen“, so Felber, der hier auf die „unsichtbare Hand“ der KonsumentInnen setzt. Aber nicht nur das, denn Unternehmen mit einer besseren Bilanz würden überdies auch in den Genuss von geldwerten Vorteilen kommen, zum Beispiel ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz oder günstigere Kreditbedingungen. Felber geht davon aus, „dass ethische, fair erzeugte und gehandelte, nachhaltige und regionale Produkte billiger würden als unethische, unfair erzeugte und gehandelte und kurzlebige Wegwerfartikel“. Dieser Vorteil werde dann ausreichen, die höheren Kosten zu decken.“

Kapitalismus ade!

Auch bei der Frage der Finanzierung von Investitionen verlässt sich Felber nicht auf eine unsichtbare Hand. Um den Finanzkapitalismus auszuhebeln, will er die Ausschüttung von Gewinnen an KapitalgeberInnen, die nicht im Unternehmen arbeiten, einfach verbieten. „Der Kern des Kapitalismus besteht darin, dass sich die einen – KapitalbesitzerInnen, Mächtigeren – den Mehrwert der Arbeit von anderen – NichtbesitzerInnen von Kapital, Ohnmächtigen – legal aneignen“, so seine an Marx angelehnte Analyse. Felber hofft, dass damit die Sinnhaftigkeit eines Unternehmens statt seiner Rentabilität zum Kriterium für potenzielle InvestorInnen wird.

Durch die Abschaffung von Dividenden würde auch Felbers Ziel realisiert, Arbeit zur einzigen Quelle von Einkommen zu machen. Dabei kann die Einsatzbereitschaft von UnternehmensgründerInnen durchaus weiterhin honoriert werden – nur eben in Form eines als Lohn ausbezahlten Verdienstes. Auch hier soll für Felber das Gleichheitsprinzip der Freiheit Grenzen setzen: Die Gesellschaft soll demokratisch einen Höchstlohn beschließen, zum Beispiel das Zehnfache des Mindestlohns, statt, wie heute, das Tausendfache und mehr. Im gleichen Sinne schwebt Felber vor, das Erbrecht drastisch einzuschränken, um – im Sinne eines ernst gemeinten Liberalismus – sicherzustellen, dass alle BürgerInnen über ähnliche Startchancen verfügen.

Felbers Theorien sind im „Zoo der Alternativen“ nicht so ohne weiteres einzuordnen. Die unternehmensfreundlichen Elemente seiner Theorie machen ihn zu einem Gemäßigten, die weitreichenden sozialen Forderungen zu einem Radikalen. In Sachen Nachhaltigkeit klingt manches eher nach realo-grünen Win-win-Versprechen als nach den apokalyptisch geprägten Anders-Leben-Experimenten der Transition-Town-Bewegung. Eine Stärke seines Modells ist aber, dass es evolutionsfähig konzipiert ist.

„Im Herzen des Gemeinwohls ist die Demokratie, weil sie die Mitbestimmung aller Menschen ermöglicht und damit den gleichen Wert aller Menschen, die Menschenwürde, zum Ausdruck bringt“, schreibt der Autor. Zu vielen seiner Vorschläge gehören demokratische Mechanismen wie regionale Wirtschaftsparlamente dazu. Insbesondere in den Unternehmen soll – ab einer Größe von 250 Beschäftigten – eine gewisse Mitbestimmung herrschen, ab 1.000 Beschäftigten erhalten diese eine Zweidrittel-Mehrheit und ab 5.000 werden auch „KundInnen, Gender-Beauftragte und Umwelt-AnwältInnen“ eingebunden. Dabei sind Felber zwei Dinge wichtig: dass die Menschen mitreden können und dass sie es auch tun. Die große Veränderung wird von Anfang an unten diskutiert, etwa so: „Wir gehen einfach los. Wir machen einen Schritt nach dem anderen. Wir werden sehen, wohin die Reise geht.“


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