LITERATUR: „Arg geheimatet“

Ein Elefant will er sein in der deutschen Literaturszene. Unerwartet und doch zielstrebig kommt der luxemburgische Autor Guy Helminger so zum Erfolg.

Auf dem Weg nach vorn: Guy Helminger blickt optimistisch
in die Zukunft.

Das Interview sollte stattfinden in einem Haus, das nicht seins ist, in einem etwas abgelegenen luxemburgischen Dorf, in dem der Autor eigentlich nicht wohnt. Vor der angegebenen Adresse kehrt ein älterer Mann Laub vom Bürgersteig. Hier gäbe es keinen Guy Helminger und es kommt einem vor, als sei man zum Nordpol gereist, nur um dort zu hören, der Weihnachtsmann sei eben verzogen. Es fängt an zu regnen, der Kies färbt sich schwarz. Plötzlich, inmitten der Ratlosigkeit, ein Ziehen am Ärmel. Ein Kind steht da und sagt: „Ich zeige euch den Weg!“

Er sitzt also auf der Veranda, die nicht seine ist, und trinkt Kaffee. Ein kurze Verschnaufpause bevor das große Ringen anfängt. Guy Helminger ist für den „Ingeborg-Bachmann-Preis“ nominiert, der alljährlich in Klagenfurt verliehen wird, und allein die Nominierung ist bereits eine Art Ritterschlag. Unterstützt wurde seine Kandidatur von Iris Radisch. In Klagenfurt hat er maximal dreißig Minuten Zeit, um Jury und Publikum von sich zu überzeugen. Es ist ein literarischer Schaukampf mit Autoren statt Gladiatoren, die sich in aller Öffentlichkeit Texte um die Ohren schlagen und sich später dem Urteil der Kritiker stellen müssen. Beurteilt wird nicht das Gesamtwerk, sondern allein der vorgetragene Text. Der Gewinner darf immerhin 22.500 Euro mit nach Hause nehmen, aber wichtiger als das Preisgeld ist der Karriereschub, den ein solcher Auftritt mit sich bringt. Die Lesungen werden von 3-Sat übertragen, es ist ein literarischer Rummelplatz, auf dem die sonst eher diskrete Kunst des Schreibens ins Schaufenster gestellt wird.

Angst hat der 41-Jährige keine, es sieht eher aus, als krempele er schon mal die Ärmel hoch. „Ich möchte massiv Präsenz zeigen.“ Und dann sagt er den denkwürdigen Satz: „So ein Wettbewerb ist kein Porzellanladen. Dort darf ich Elefant sein.“ Eine Formulierung, die den Vorwurf von falscher Bescheidenheit gar nicht erst aufkommen lässt. Aber wieso auch, denn Guy Helminger weiß was er kann und wo er hin will. Zuerst einmal in die Feuilletons der großen deutschen Zeitungen und dann irgendwann vom Schreiben leben, wie es sich die meisten Autoren wünschen. Davon leben kann er eigentlich auch heute schon, aber um eine Familie zu ernähren, reicht es nicht. Er kann sich nicht einfach darauf verlassen, dass das nächste Hörspiel sich verkaufen lässt.

Sein Entschluss Schriftsteller zu werden, führte dazu, dass er von Anfang an gar nicht erst in seinem erlernten Beruf arbeiten wollte. Der gebürtige Escher jobbte in einer Kölner Punkdisko, wo nach der Sperrstunde auch mal die Flaschen flogen. Oder im Postamt, allerdings nicht lange, weil ihm das Sortieren am Band dann doch nicht gefiel. Asphalt hat er auch schon verlegt. Und daneben Theater gespielt. Das tut er heute noch, wenn er bei seinen Lesungen das Pult zur Bühne macht und seine Texte inszeniert, anstatt sie lediglich nüchtern vorzutragen. Er erscheint als Grenzgänger, als einer der furchtlos aus dem engen Luxemburg geflohen ist, um über den Tellerrand der Gesellschaft zu blicken. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Immerhin studierte er Germanistik und Philosophie, aus Leidenschaft zwar, aber auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, notfalls als Lehrer in die Heimat zurückzukehren. So weit ist es dann nicht gekommen.

Auf Guy Helmingers Webseite gibt es eine Rubrik, die „Entwicklung“ heißt. Auf zahlreichen Passbildern sieht der Besucher hier, wie aus dem pummeligen kleinen Jungen zunächst ein langmähniger Teenager, dann ein weniger üppig behaarter Familienvater wird. Eines fällt auf: Auf allen Bildern hat er das gleiche verschmitzte Grinsen auf den Lippen, so als freue er sich darüber, dass alles genau so gekommen ist, wie er es geplant hat. Dabei war eigentlich gar nichts geplant. Guy Helminger hat die klassische Seiteneinsteiger-Karriere gemacht. Im Gymnasium interessierte er sich nicht für Literatur. Er ging lieber aus und wollte sich vor allem amüsieren. Mit 17 hatte er sich dann zur Genüge ausgetobt und entdeckte, dass ihm Lyrik „einen ästhetischen Kick“ gab. Umbruch nennt er das. Eine Schulpsychologin sprach ihm damals das Talent zum Umgang mit der Sprache ab. Doch Guy Helminger ließ sich davon nicht beirren.

In seinem Roman „Die Ruhe der Schlammkröte“ (1994) verarbeitete der Luxemburger seine Zeit in der Punkszene. Die Punk-Ästhetik mit einer gewissen literarischen Ästhetik zu vermischen, das war und ist noch immer sein Anliegen. „In dieser Welt kann ich Bilder finden, die literarisch relevant sind“, sagt Helminger. Nicht nur in Lyrik und Prosa zeigt er seine Affinität zu den Kreisen, mit denen er sich verwandt fühlt, sondern auch im Theater. Im Frühjahr wurde sein Theaterstück „Venezuela“ im Théâtre national du Luxembourg aufgeführt. Es handelt von Trainsurfern, von Jugendlichen, die auf der Jagd nach dem Extremen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Das Stück hat Guy Helminger schon vor längerer Zeit geschrieben, in einer Hörspielfassung heimste es bereits Preise ein. Heute ist
das Thema Trainsurfing aus den Medien weitgehend verschwunden. Damit die Form zeitlos bleibt, erdachte Helminger deshalb eine künstliche bruchstückhafte Umgangssprache, einen fiktiven Slang, der weder in einem Wörterbuch steht, noch in einer Epoche verwurzelt ist. Und doch ist er für das Publikum unmittelbar verständlich. „Eigentlich bin ich Lyriker“, erklärte Helminger, als er 2002 den Servais-Preis für seine Kurzgeschichtensammlung „Rost“ erhielt. Fragmentarisch aus Überzeugung, ein Wortkünstler, der die Sprache auseinander nimmt, um mit ihr surrealistisch-bizarre Gegenwelten aufzubauen.

Deutsch ist die Sprache, in der sich der Schriftsteller zu Hause fühlt, genauso wie in seiner Wahlheimat Köln. „Zum Schreiben brauche ich die Großstadt“, betont Guy Helminger. Was nicht heißen will, dass er gar nicht mehr nach Luxemburg kommt. Schließlich sitzt er nun hier, auf dieser Veranda, die seine nicht ist. Über das kleine Großherzogtum schreibt er auch manchmal in seinen Gedichten, es taucht in Versatzstücken auf. Er ist froh, gelegentlich auf Besuch vorbeischauen zu können, zurück nach Deutschland fährt er dann „arg geheimatet“, wie er in dem Gedicht „Besuchung“ schreibt. Der Bruder Nico Helminger, auch Schriftsteller, hat sich nach einem längeren Auslandaufenthalt wieder in Luxemburg niedergelassen. Doch während andere Eltern oft mit Sorge reagieren, wenn sich ihre Kinder der als brotlos verschrieenen Kunst zuwenden, war das bei den Helmingers nicht der Fall. „Meine Eltern haben mir nie Stress gemacht. Ich würde mir noch einmal die gleichen wünschen“, erinnert sich der Autor.

Jetzt wartet er noch auf den Fotografen. Der soll ihn am Herd knipsen, für ein Kochbuchprojekt. Es gibt Spaghetti Roter Platz. „Eklig“ seien die, sagt Guy Helminger. „mit lauter scharfem Zeug“.
In einer seiner Kurzgeschichten landet ein Russe mit dem Kopf in eben diesem Nudelgericht.

Draußen kommt Wind auf und bläst die Gläser vom Tisch. Guy Helminger geht in Deckung. Er fügt sich den Umständen, aber Angst hat er keine. Wie gesagt, er ist ein Mann mit Erfahrung in Sachen fliegende Flaschen. Wenn ihn die Kritiker verreißen, dann soll es eben so sein. Elefanten haben schließlich eine dicke Haut. Für Guy Helminger führt der Weg nur nach vorn: „Ech hun hei net vill verluer, aber ich suche immer wieder.“

Für weitere Informationen über Guy Helminger. www.guyhelminger.de

Die offizielle Seite des Ingeborg Bachmann Preises ist http://bachmannpreis.orf.at Dort finden sich auch Angaben über die genauen Termine der Lesungen, die noch bis zum 27. Juni stattfinden.


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