(lm) – Bei Kriegsverbrechen sollen Soldaten mitmachen statt zu desertieren, so lautet die Botschaft, die der Europäische Gerichtshof in Luxemburg mit seinem jüngsten Urteil aussendet. Mitmachen, zumindest, wenn es sich bei der kriegsführenden Partei um einen Staat handelt, der Kriegsverbrechen ahndet und über dessen Einsatz es einen internationalen Konsens gibt. Das sind nämlich die Kriterien, an denen das Gericht in diesem Fall den Einsatz der USA im Irak misst und damit der deutschen Justiz, die das Verfahren angeregt hatte, eine rechtliche Handhabe gibt, dem Deserteur André Shepherd das politische Asyl zu verweigern. Die Enttäuschung bei dem Betroffenen und den ihn unterstützenden Menschenrechtsorganisationen ist groß, denn noch im vergangenen November ließ das Plaidoyer der Generalanwältin ein anderes Urteil erwarten (woxx 1293). Diese hatte die zweifelhaften Argumente der Prozessgegnern widerlegt, Shepherd sei „nur“ Hubschraubermechaniker gewesen und habe nicht sicher sein können, ob er künftig an Kriegsverbrechen beteiligt sein werde. Man müsse aber durchaus prüfen, ob Shepherd nicht andere Auswege als die Desertion zur Verfügung gestanden hätten. In dem am Donnerstag gefällten Urteil übernimmt das Gericht grundsätzlich die Idee, dass eine indirekte Beteiligung an Kriegsverbrechen und deren Eventualität durchaus ausreichen, um eine Asylgewährung zu rechtfertigen. Allerdings verweist es in seinem Urteil darauf, dass es bei Militärinterventionen unter UN-Mandat oder auf Basis eines „internationalen Konsens“ eine grundsätzliche Garantie gebe, dass es nicht zu Kriegsverbrechen kommt. Außerdem mache die effiziente Bekämpfung von Kriegsverbrechen durch „diese Staaten“ ihr Vorkommen unplausibel. Zusätzlich zu dieser realitätsfernen Einschätzung von westlichen Interventionen wie jener im Irak hat das Gericht auch das Kriterium eines „anderen Auswegs“ zurechtgebogen: Wenn Shepherd nicht den Kriegsdienst verweigert habe – er hatte sich ursprünglich freiwillig zur Armee gemeldet – dann habe er den Anspruch auf Asyl verwirkt. Wichtig war dieser Prozess, weil erstmalig eine in der EU-Kriegsverbrechens-Direktive enthaltene besondere Schutzklausel für Deserteure zur Anwendung kam. „Der Fall könnte Schule machen“, schrieben wir im November. Denn hätte er andere Soldaten aus westlichen Ländern zur Desertion ermutigt, wäre der Druck auf diese Staaten, Kriegsverbrechen zu vermeiden, stärker geworden. So aber ermutigt das Urteil Kriegsparteien, die den zweifelhaften Kriterien des EUGH genügen, weniger Rücksichten zu nehmen, da sie sozusagen über ein „Mein Krieg ist sauber“-Label verfügen. Und es zeigt ein weiteres Mal, wie in der EU hehre Prinzipien durch eine – politisch gewollte – tendenziöse Auslegung ausgehöhlt werden.
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