SERIOUS GAMES: Spielerische Familienplanung

First Person Shooter, auch Ego Shooter genannt, haben nicht den allerbesten Ruf. Bei dieser Art von digitalem Spiel bekämpft man andere Spieler oder computergesteuerte Gegner mit Schusswaffen, etwa Scharfschützengewehren. Der Konsum dieser „Killerspiele“, so der Verdacht, führt zu aggressivem bis gewalttätigem Verhalten im Alltag.

Eine als Videospiel konzipierte virtuelle Realität kann medizinische und technologische Anforderungen ergänzen. Auf dieser Basis wurde die Entwicklung des Spiels Gabarello initiiert.

Da mag es überraschen, dass Ego Shooter auch therapeutischen Zwecken dienen. Remission heißt ein Game, bei dem Spieler in die Rolle von weißen Blutkörperchen schlüpfen. Die Aufgabe: winzige Krebszellen abschießen, bevor sich diese weiter durch den Körper fressen können. „Remission“ wendet sich speziell an krebskranke Kinder und Jugendliche. Das Spiel soll ihnen die Angst vor Krankheit und Therapie nehmen. In der Rolle der Leukozyten lernen sie, was in ihrem Körper geschieht und wie der Krebs bekämpft werden kann.

Das Spiel gehört zur Gruppe der Serious Games. „Ernst“ bezieht sich hier nicht auf den Inhalt. Im Gegenteil, das Spielen soll Spaß machen. Die Spiele verfolgen jedoch einen ernsthaften Zweck. An der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) werden solche Games entwickelt. Gabarello ist der Titel eines therapeutischen Spiels für Kinder. Ein kleiner Raumfahrer spaziert über einen düsteren Planeten, sammelt Blumen und versucht, die versteinerte Welt um ihn herum zum Leben zu erwecken. Dafür gibt es Punkte.

Gabarello steht für Game Based Rehabilitation for Lokomat. Der Lokomat hilft Patienten, deren Lauf- und Gehvermögen wegen zerebraler Schäden gestört ist. Andauerndes Training soll neue Hirnregionen aktivieren, die dann die Bewegungssteuerung übernehmen. Die Therapie ist besonders für Kinder anstrengend, die schnell die Lust am Training verlieren. Das Spiel soll sie dazu bringen, weiterzumachen. Denn ihre Beinbewegungen beeinflussen die Fähigkeiten der Spielfigur. Der kleine Raumfahrer kann, wenn sich der Patient anstrengt, schneller laufen und weiter springen.

Wirkung von Reha-Spielen

Ulrich Götz, Leiter der Studienvertiefung Game Design: „In der motorischen Rehabilitation bei Kindern kommt die motivierende Eigenschaft von Games voll zum Tragen. Der eigentliche Sinn des Spiels ist es ja, den Therapeuten so zu unterstützen, dass er seine Patienten nicht mehr ständig animieren muss, aktiv an der Therapie teilzunehmen. Diese Aufgabe kann, wenn der Anreiz stark genug ist, zum großen Teil an das Spiel übergehen. Kinder und Jugendliche lassen sich auch gerne auf Games ein. Sie bringen meist eigene Erfahrungen mit und müssen nicht extra lernen, wie man ein Game steuert und um was es dabei geht.“

Die Studien zur Wirkung von Gabarello und ähnlicher Spiele, die in Zürich entwickelt werden, beginnen zwar demnächst erst. Der motivierende Charakter von Reha-Games ist aber schon jetzt offensichtlich, so Götz. Den Patienten sei anzusehen, dass sie Freude beim Trainieren haben. Zudem belegen diverse interdisziplinäre, internationale Studien den positiven Effekt von virtuellen Umgebungen in der Therapie, zum Beispiel der Schlaganfall-Rehabilitation.

Eine Forschergruppe der University of New Jersey testete die Wirkung von Reha-Spielen an 12 Schlaganfallpatienten. Acht Tage lang versuchten sie sich für mehrere Stunden an einem virtuellen Klavier oder folgten im Spiel der Flugbahn eines Kolibris. Dabei hatten sie einen Datenhandschuh übergezogen, der die Bewegungswerte aufzeichnete. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation. Danach verbesserten die Patienten ihre Bewegungen im Schnitt um 20 bis 22 Prozent. Sie konnten sogar wieder einzelne Finger kontrollieren.

Doch Serious Games helfen nicht nur, wieder gesund zu werden, sie vermitteln auch Wissen. Eine ganz andere, schwierigere Herausforderung für Entwickler. Das Spiel muss schon für sich genommen ein gutes Spiel sein, um noch zusätzliche Inhalte aus dem Serious-Bereich transportieren zu können, betont Götz. Es gebe da kein allgemeines Erfolgsrezept; in jedem Fall müssten Unterhaltungswert und Wissensvermittlung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Um diese „Mixtur“ hinzubekommen, sei viel Umsicht im Konzept- und Gestaltungsprozess erforderlich.

Und manchmal auch ein sympathischer Hauptdarsteller. Einen wie Ludwig. In der Rolle des kleinen Forschungsroboters können Kinder ab elf Jahren physikalische Phänomene erlernen. Dabei soll Auswendiglernen vermieden werden. Es geht um die Anwendung von Wissen. Die Spieler verbrennen zum Beispiel im virtuellen Labor ein Holzstück und müssen dabei Brenndauer und Brenntemperatur korrekt erfassen. Auf diese Weise erlernen sie das Prinzip der Verbrennung. Kleine Erfolgserlebnisse gehören auch zum Konzept. Ludwig findet etwa im Wasser schwimmende Kisten. So wird den Spielern das Phänomen des Auftriebs näher gebracht.

Das mit Preisen bedachte und seit 2011 in österreichischen Klassenzimmern erprobte Physikspiel stammt von Ovos, einer Wiener Spieleschmiede. Beteiligt an dem Projekt waren Physik-Didaktiker und das Zentrum für angewandte Spieleforschung der Donauuniversität Krems.

Ovos hat sich auch SpermEx einfallen lassen. Hier geht es um Verhütung. Heranstürmende Spermien müssen aufgehalten werden, um eine ungeplante Schwangerschaft zu verhindern. Dafür steht ein Arsenal an Verhütungsmitteln bereit, vom Verhütungsring bis zur Kupferspirale. Das Game entstand im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung.

Spielen im Lehrplan

Auch der richtige Umgang mit Geld kann spielerisch erlernt werden. Cure Runners, ein seitlich über den Smartphone-Bildschirm laufendes Action-Game, soll Finanzkompetenz vermitteln, ohne zu langweilen. Auf einer Pazifikinsel fliegen giftige Pollen durch die Luft. Dagegen hilft nur eine heilende Substanz, Cure genannt. Sie muss gesammelt werden. Cure dient aber zugleich als Zahlungsmittel, also sollte man gut mit ihr haushalten. Die Spielentwickler informierten sich vorab bei Schuldnerberatern, welche Probleme junge Leute im Umgang mit Geld haben. Dem entsprechen die Aufgaben: das Budget im Griff haben und Konsumdruck widerstehen.

Auch an der RWTH Aachen wird gespielt – seit 2013 als Teil des Lehrplans der Bachelorstudiengänge des Wirtschaftsingenieurwesens und der Wirtschaftswissenschaften. „transAction? heißt das Game, in dem angehende Wirtschaftswissenschaftler eine Automobilfabrik leiten. Sie prüfen die Nachfrage, legen Produktionsmengen fest, beschaffen Material und Personal und starten schließlich die Produktion. Bis zu 15 Prozent der Endnote erhalten Studierende durch Teilnahme am Planspiel.

Wie geht die Spielbranche mit den Games um? Sieht sie auch die Chance, ein positiveres Image aufzubauen? Ulrich Götz meint dazu: „Serious Games sind kein Feigenblatt, das dazu eingesetzt werden müsste, ein Image zu korrigieren, sondern eine Sparte der Spielbranche, die sich inhaltlich und wirtschaftlich trägt. Es bleibt der regionalen oder nationalen Wirtschaft, der Kulturbranche, der Kulturpolitik und der Wissenschaft überlassen, ob sie Nutzen und Expansionsmöglichkeiten im Serious-Games-Bereich sehen.“

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Spielend Emissionen verringern
Emission Impossible stammt auch aus der Spieleschmiede der ZHdK und soll Landwirtschaftslehrlinge für den Klimaschutz sensibilisieren. Der Landwirt-Avatar bewirtschaftet einen simulierten Bauernhof und muss die Treibhausgasemissionen möglichst gering halten. Er muss aber zugleich auch ökonomisch handeln – sonst geht der Hof pleite. Das Projekt ist in einen klimapolitischen Zusammenhang eingebettet. In der Schweiz tragen Bauern momentan mit 10 Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei. Das Bundesamt für Landwirtschaft will die klimaschädlichen Gase bis 2050 um mindestens ein Drittel verringern.   


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