THEATER: Keine Restauration an der Ruhr

Frank Hoffmanns Ernennung zum Interimsleiter der Ruhrfestspiele in Recklinghausen sorgte für Rascheln im Blätterwald. Der Theatermacher soll das Festival wieder auf Vordermann bringen.

Die Ruhrfestspiele wurden im Sommer 1946 gegründet, als sich eine Hamburger Theatertruppe im Ruhrpott bei den Bergleuten der Schachtanlage König-Ludwig bedanken wollte, die ihnen im Winter mit Kohle ausgeholfen hatten. Nach dieser Initialzündung brachten

Warum glauben Sie, fiel die Wahl auf Sie?

F.H.: . Da gibt es mehrere Gründe. Zum einen wurde ich als Regisseur gewählt. Man kannte meine Inszenierungen. Dann liegt es wohl daran, dass ich Europäer bin oder daran, dass ich Management-Erfahrung vorweisen kann. Darüber hinaus kenne ich die Region. Sie erinnert mich an das Minett. Ich bin zwar nicht aus dem Minett, aber ich glaube, dass ich einen Draht zu der Bevölkerung habe. Wie man mir gegenüber sagte, hat Castorf wohl nicht so sehr mit den Leuten an der Ruhr geredet.

Apropos Castorf. Der als unbequem, aber künstlerisch wegweisend geltende Theatermacher konnte in der vergangenen Saison nur 22.000 Zuschauer mobilisieren. Das sind halb so viele wie im Vorjahr. Wie erklären Sie sich diesen Rückgang?

F.H.: Ich muss nach vorne schauen, und ich weiß, dass es schwer ist, die Menschen ins Theater zu bringen, ohne Kompromisse zu machen. Es muss dennoch immer wieder versucht werden. Die Frage, die sich stellt: Was ist eigentlich modernes Theater? Avantgarde ist schon Tradition geworden. Jedes Provinztheater inszeniert heute gegen den Strich. Ich glaube, dass es möglich ist, künstlerischen Anspruch und Publikumserfolg zu kombinieren. Gutes Theater ist nicht elitär. Im übrigen möchte ich über Castorfs Spielzeit nicht so viel sagen, weil ich sie nicht genau verfolgt habe.

Was möchten Sie anders machen?

F.H.: Für genaue Angaben ist es noch zu früh. Aber ein virtuelles Programm steht bereits. In der letzten Woche wurden viele Kontakte geknüpft. Es wird mehr Tanztheater geben, eine Mischung aus verschiedenen Genres, aber in erster Linie bleibt Recklinghausen ein Schauspielfestival. Wir planen z.B. einige Uraufführungen, auch wenn man damit allein keine großen Säle füllt. Um es salopp zu sagen: Die Vision ist in Arbeit.

Was sagen Sie zu vereinzelten Vorwürfen, die vor allem in der deutschen Presse laut wurden, dass Ihre Ernennung eine Rückkehr zu einem künstlerisch weniger anspruchsvollen Programm bedeutet, so wie das Festival es zuletzt unter Hansgünther Heyme bot?

F.H.: Nach Castorf kommt keine Restauration. Recklinghausen wird unter meiner Intendanz auf jeden Fall ein kreativer Ort sein. Ich versuche zu analysieren, was unter Heyme gut war und was unter Castorf gut war.

Für Ihre Arbeit steht Ihnen in diesem Jahr ein stark beschnittener Etat zur Verfügung. Wie kommen Sie damit zurecht?

F.H.: Die Luxemburger sind sozusagen Weltmeister darin, mit wenigen Mitteln etwas auf die Beine zu stellen. Ich bin für die Saison 2005-2006 sowohl als künstlerischer Leiter als auch als Intendant zuständig, das heißt, dass ich zwei Funktionen vereine, die bis vor kurzem noch getrennt waren. Was die Verwaltung angeht, so habe ich gute Mitarbeiter. Ich kann mich in erster Linie auf die künstlerische Arbeit konzentrieren. Allerdings bin ich als Geschäftsführer allein für die finanziellen Entscheidungen verantwortlich.

Glauben Sie, dass die schwindenden Zuschauerzahlen ein Anzeichen dafür sind, dass die Leute in der Region sich einfach nicht mehr für das Theater interessieren?

F.H.: Die Leute wollen das Festival. Bei einer Umfrage, die letzten Samstag veröffentlicht wurde, erklärten 78% der Befragten, dass die Festspiele ihnen wichtig bis sehr wichtig sind. Und das quer durch alle Bildungsschichten und in einer Umgebung, wo Kultur sicher nicht zu einer der Prioritäten gehört.

Aber bei Castorf blieben die BesucherInnen trotzdem aus …

F.H.: Es ist schwierig, eine Erklärung dafür zu finden, warum bei Castorf die Säle leer blieben. Sogar Luc Bondys Inszenierung von „Cruel and Tender“ hatte eine ganz kleine Auslastung, obwohl er damit sonst überall in Europa Erfolge feierte.

Was sagen Sie zu den unter anderem von Daniel Haas im Spiegel aufgeführten Vorwürfen an den DGB, dass er das Festival unter Castorf bewusst boykottiert habe, indem er für seine Mitglieder weniger Karten als sonst zurücklegen ließ?

F.H.: Diese Mutmaßung halte ich für unwahrscheinlich. Welches Interesse hätte der DGB ein Festival zu boykottieren, das er selbst trägt? Die Menschen entscheiden im übrigen immer noch selbst, ob sie ins Theater gehen oder nicht. Daher muss einfach ein Stimmungsumschwung stattfinden.

Wen muss man denn ändern, das Publikum oder das Theater?

F.H.: Die Leute kann man nur bewegen, nicht ändern. Naja, vielleicht ein wenig.

Große Chancen räumt Ihnen die deutsche Presse angesichts der schweren Aufgabe ja nicht ein Ù

F.H.: Vielleicht ist das ja die große ChanceÙ Eins ist sicher.


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