Jahr des Friedens und des Vertrauens: Alle rufen „Uno!“

Über dieses Internationale Jahr wird kaum geredet, es wirft aber viele Fragen auf: über Kriege, Souveränität, UNO-Prinzipien und westliche Werte.

In welchem der 193 souveränen Staaten soll ich landen? (Pixabay.com; finemayer)

Am 1. Januar hat das Jahr des Friedens und des Vertrauens begonnen. Wie, nichts davon bemerkt? Kein Wunder, denn die internationalen Beziehungen sind seit Jahresbeginn immer noch eher von Misstrauen und Feindschaft bestimmt als von harmonischer Koexistenz. Die gut gepflegte Wikipedia-Seite „List of ongoing armed conflicts“ zählt 55 Konflikte auf, mit über 100.000 Toten für 2020 und schon 150 in den ersten Tagen von 2021. In der Liste fehlen allerdings manche Staaten, die mit massiver Gewalt gegen politische oder ethnische Gruppen im eigenen Land vorgehen, an erster Stelle China. Allerdings werden viele Konflikte separat aufgeführt, die man als Teil des großen „Global War on Terror“ betrachten kann, sofern man auf Interpretationsmuster wie den „Kampf der Kulturen“ oder die weltweite Offensive des „Islamfaschismus“ zurückgreift. Wie viele Konflikte es auch sein mögen, die UNO hat nicht ohne Grund 2021 zum „Internationalen Jahr des Friedens und des Vertrauens“ erklärt.

Vertrauen mag in dieser Bezeichnung wie ein Anhängsel erscheinen – doch eigentlich stellt es die Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden dar. Auch in dieser Hinsicht fängt das Jahr schlecht an: Die internationalen Beziehungen wurden durch Donald Trumps draufgängerische Entscheidungen belastet: Aufkündigung des Iran-Abkommens, Konfrontationskurs mit China und Ausstieg aus den russisch-amerikanischen Abkommen zur Rüstungskontrolle. Wie weit der neue US-Präsident Joe Biden hier einen Kurswechsel vornimmt, ist unklar – Trumps Kurs war ja kein Alleingang, sondern wurde von manchen Lobbys in Washington durchaus unterstützt.

Gegen Atomkriege

Neuen Wind wird 2021 allerdings in die nukleare Abrüstungsdebatte bringen: Am 22. Januar wird der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) in Kraft treten (online-woxx: Offensive gegen Atomwaffen). Bisher haben sich die Nato-Staaten – also auch Luxemburg – an die Vorgabe der USA gehalten, den Vertrag zu boykottieren. Doch durch das Inkrafttreten könnten sie, wie die anderen Atommächte, bei der für August angesetzten Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags unter Druck geraten. Schließlich ist der AVV in etwa die atomare Version der Ottawa-Konvention zum Verbot von Landminen. Die aber wird von den meisten Ländern, inklusive der Nato-Mitglieder, hochgehalten – mit Ausnahme von ein paar „Schurkenstaaten“ wie Nord- und Südkorea, Russland, China und den USA. Der grüne Armeeminister François Bausch könnte in die Geschichte eingehen, wenn Luxemburg als erstes Nato-Land den AVV unterzeichnen würde, doch sein bisheriges Eintreten für Nato-Treue und Aufrüstung lassen dies unwahrscheinlich erscheinen.

Vertrauensbildung ist das Gegenmittel zur Blockbildung, die sich jetzt, 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs, als eine mögliche Entwicklung abzeichnet. Denkbar ist sowohl ein neuer Ost-West-Konflikt, diesmal mit China als Hauptgegner des Westens, als auch ein Zerfallen in kleinere Blöcke, die jeweils in ihrer Einflusssphäre frei schalten und walten. Statt langatmiger Verhandlungen und frustrierender Kompromisse im Rahmen der UNO würde dann, wie vor 1989, imperiale Politik betrieben – mit dem Risiko, zu einem großen Krieg zu eskalieren.

Sorgen bereitet aber nicht nur das Risiko eines großen, möglicherweise nuklearen Krieges. Die planetarischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wie neue Pandemien, Artensterben und Klimawandel sind ohne internationale Zusammenarbeit nicht zu bewältigen. Bilden sich Machtblöcke, die einander feindlich gegenüberstehen, so ist es wahrscheinlich, dass jeder Block kompromisslos den eigenen Vorteil sucht. Insbesondere das Festhalten an fossilen Brennstoffen könnte attraktiv erscheinen, ginge aber auf Kosten des Wohlergehens der Weltgemeinschaft.

Eine wertvolle Initiative also, dieses Jahr des Friedens und des Vertrauens? Ja, wessen Initiative eigentlich? Am 12. September 2019, also noch vor der Covid-Pandemie, nahm die UNO-Generalversammlung den Vorschlag Turkmenistans an, 2021 zum „International Year of Peace and Trust“ zu erklären. In der Resolution geht die Rede von „Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln“ und davon, wie Multilateralismus und Diplomatie die drei Säulen der UNO voranbringen könnten: nachhaltige Entwicklung, Friede und Sicherheit sowie Menschenrechte. Dass gerade Turkmenistan, mit seinem autoritären Regime, zahlreichen Verletzungen von Grundrechten und einer starken Abschottung nach außen, ein solches Jahr vorschlägt, ist befremdlich.

Turkmenistan vertrauen

Die Resolution wurde von zwei Dutzend weiteren Ländern getragen, die meisten aus der Bewegung der blockfreien Staaten, aber auch Russland, Kanada und Norwegen. Dazu passt, dass in der Resolution neben vielen frommen Wünschen darauf hingewiesen wird, dass Frieden und Vertrauen auch voraussetzen, dass man Unterschiede akzeptiert und die anderen anerkennt und respektiert. Wie schon während des Kalten Krieges sind die meisten dieser Länder besorgt, dass die Großmächte sie an sich binden und ihnen ihren Willen aufzwingen wollen.

Die Grundprinzipien der UNO versprechen da Abhilfe: Frieden und Vertrauen im Rahmen der Vereinten Nationen sollen nicht zwischen den Menschen hergestellt werden, sondern zwischen gleichberechtigten Staaten. Das ist insofern sinnvoll, als Kriege traditionell zwischenstaatliche Angelegenheiten sind. Doch indem sich die UNO an den Staaten als Akteure der globalen „Governance“ orientiert, zementiert sie auch eine menschliche Organisationsform, als deren Geburtsstunde der Westfälische Friede von 1648 gilt, die aber den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts nicht mehr entspricht. Hinzu kommt, dass das Souveränitätsprinzip, auf dem die UNO gründet, jedem Land, und also dessen Regierung, seine und ihre Freiheit garantiert. Dazu gehört eine weitgehende Freiheit, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken, ihre eigenen „kulturellen“ und juristischen Standards zu setzen sowie ihre eigene Politik zu bestimmen, vom Klimaschutz bis zum Vorgehen gegen internationale Steuerflucht.

Zweischneidige Souveränität

Die so verstandene Souveränität ist also eine Freiheit der Staaten, die nach innen wie nach außen Probleme schafft. Doch das Pochen vieler Staaten auf den Respekt und die Anerkennung ihrer Souveränität entspricht nicht nur dem Wunsch, ungestört Oppositionelle zu unterdrücken und sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Sie ist auch die Reaktion auf zwei als bedrohlich empfundene Trends in der Organisation der globalen „Governance“.

Die UNO hat sich auf dem World Summit 2005 zum Prinzip der „Responsability to Protect“ (R2P, Schutzverantwortung) bekannt. Hierdurch soll vermieden werden, dass bei massiven Verbrechen wie dem Völkermord in Ruanda 1994 die Welt einfach wegschaut und auf die Souveränität verweist. Theoretisch steht auch hier das Vertrauen in die souveränen Staaten und die Wahrung des Friedens an erster Stelle: „Die internationale Gemeinschaft sollte gegebenenfalls die Staaten ermutigen und ihnen dabei behilflich sein, diese Verantwortung wahrzunehmen“, heißt es in der Erklärung von 2005, und militärische Mittel sollen nur im Extremfall zum Einsatz kommen.

Die bisherige Bilanz der R2P ist alles andere als erbaulich: In einer Reihe von schweren inneren Konflikten ist der Sicherheitsrat untätig geblieben, in anderen Fällen wurde das Prinzip für westliche Interessen instrumentalisiert, insbesondere für den „Regime Change“ 2011 in Libyen. Staatsoberhäupter, die wie Muammar al-Gaddafi autoritär und beim Westen unbeliebt sind, empfinden dies als eine Bedrohung. Doch nicht nur sie, wie die Umsturzversuche gegen linke Regierungen in den vergangenen Jahren, zum Beispiel in Honduras und in Bolivien, belegen. Wie während des Kalten Krieges könnten die USA und ihre Verbündeten militärisch intervenieren und sich dabei auf die R2P berufen, um missliebige fortschrittliche Politiker*innen aus dem Weg zu räumen.

Der Westen als Beschützer

Wo die R2P die Souveränität zwar schwächt, aber als Organisationsprinzip der Weltgemeinschaft anerkennt, geht ein anderer Trend dahin, diesen lästigen Schutz für autokratische, uneinsichtige Regimes auszuhebeln. Die „westlichen demokratischen Werte“, auf die sich Politiker*innen von François Bausch bis Joe Biden berufen, dienen als Rechtfertigung, einen „Frieden ohne Vertrauen“ anzustreben. Denn wenn „die anderen“ „unsere“ Werte nicht respektieren, dann gebührt ihnen auch kein Respekt und keine Anerkennung, so die Argumentation. Gehen die Verhandlungen nicht schnell genug voran, greift man auf das Recht des Stärkeren zurück – notfalls auch ohne UNO-Mandat, wie 1999 im Kosovo.

Dieser Ansatz, Demokratie oder Menschenrechte durchzusetzen, gefährdet aber die Glaubwürdigkeit dieser Werte, die Handlungsfähigkeit internationaler Institutionen und am Ende auch den Weltfrieden. Zum einen ist der Westen in puncto Werte alles andere als nur vorbildlich, man denke nur an den Abschiebeknast am Findel oder an das Foltergefängnis in Guantanamo. Zum anderen drängt ein solches Vorgehen die UNO an den Rand – was vielleicht den realen heutigen Machtverhältnissen entspricht, damit aber den Ansatz einer künftigen, anderen „Governance“ zerstört. Und schließlich ist es eine Illusion zu glauben, ein solches westliches Wertediktat könne von Dauer sein, wo es doch nur Widerstand und Hass nähren würde.

Kriege beenden oder Misstrauen abbauen wird das Jahr des Friedens und des Vertrauens nicht ohne Weiteres. Doch vielleicht trägt es wenigstens dazu bei, die Diskussion über die hier angerissenen Fragen anzustoßen.


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