Elternschaft, Renten, Statistiken – Handlungsfelder, um sich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen, gibt es viele. Wie ambitioniert sind die Luxemburger Parteien diesbezüglich? Diese Woche hat die woxx sich die Programme der Oppositionsparteien angeschaut.
In der vergangenen Ausgabe hat die woxx die Wahlprogramme der Regierungsparteien unter die Lupe genommen. Auch diejenigen der parlamentarischen Oppostionsparteien wurden inzwischen veröffentlicht. Die woxx hat nachgelesen, wie sich CSV, ADR, Piratepartei und Déi Lénk darin zu einigen zentralen Gender-Problematiken äußern.
Nicht-binäre Menschen
Im Gegensatz zu den Regierungsparteien thematisiert keine der Oppositionsparteien den auf Binarität ausgerichteten Namen des Gleichstellungsministeriums. Nicht-binäre Menschen kommen dennoch zur Sprache. Die CSV schreibt, sich „für eine stärkere Akzeptanz nichtbinärer Geschlechts- identitäten“ einsetzen zu wollen. Im 21. Jahrhundert, heißt es weiter, dürfe Chancengleichheit nicht nur auf Frauen und Männer reduziert werden.
Die Piratepartei wird diesbezüglich konkreter und fordert „d’Optioun vum drëtte Geschlecht (anzeféieren) a laangfristeg d’Kategorie vum Geschlecht op ëffentleche Pabéieren „oofzeschafen“.
Déi Lénk erwähnen nicht-binäre Menschen in ihrem Kapitel über gynäkologische Gewalt (Details weiter unten). Darüber hinaus findet Nicht-Binarität in ihrem Programm keine Beachtung.
Die ADR hält wenig überraschend nicht viel davon, über Zweigeschlechtlichkeit sowie Heterosexualität hinauszugehen. „D’ADR suergt dofir, datt d’Notiounen „Papp” an „Mamm” nees am Code civil agefouert ginn an déi aktuell Notiounen „parent 1” an „parent 2” ersetzen“, schreibt sie etwa. Den Namen vom Gleichstellungsministerium will die ADR zwar nicht ändern: Sie will das Ministerium gleich ganz abschaffen, ebenso wie den Posten des Gleichstellungsbeauftragten in den Gemeinden und jede Organisation, die sich in irgendeiner Weise mit Gendergerechtigkeit befasst („Ofschafung vun alle gesellschaftspoliteschen Ëmerzéiungsprojeten an hire Strukturen (z.B. Genderpolitik)“).
Geschlechtsbasierte Gewalt
Der Piratepartei schwebt eine Anlaufstelle vor, bei welcher Gewaltopfer sowohl medizinische und juristische als auch psychologische Hilfe bekommen. Die Piratepartei nennt in diesem Kontext unter anderem Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt. Die ADR wünscht sich als einzige Partei auch „Foyeren fir Männer“.
Der potenziell weitreichendste Vorschlag in puncto Bekämpfung geschlechtsbasierter Gewalt kommt jedoch von der CSV: Sie wollen, so heißt es in ihrem Wahlprogramm, einen entsprechenden Aktionsplan ausarbeiten. Mehr Details gibt es zu dem Vorhaben allerdings nicht. Als einzige Oppositionspartei will sich die CSV für mehr Frauenhäuser einsetzen. Außerdem sollen Informationen rund um Gewalt gegen Frauen in die Ausbildung von Polizeibeamt*innen und Richter*innen integriert werden.
CSV und Déi Lénk sind unter Regierungs- wie Oppositionsparteien die einzigen, die Femizid als neuen Straftatbestand im Strafrecht verankern möchten. „Et ass wichteg d’Verbrieche mat fraefeindlechen a sexistesche Mierkmoler méi siichtbar ze maachen an d’Verwendung vun dësem Begrëff am Kader vun der Justiz ze stäerken. Generell ass et noutwenneg, d’Spezifizitéite vun der Gewalt géint Fraen an der Justiz méi ze berécksiichtegen“, schreiben Déi Lénk dazu in ihrem Programm.
Zu gynäkologischer Gewalt und Gewalt in der Geburtshilfe äußern sich sowohl die Piratepartei als auch Déi Lénk. Letztere wollen eine neutrale Schlichtungsstelle für Personen, die im Rahmen ihrer Schwangerschaft oder einer Geburt Opfer von Gewalt wurden, einsetzen. An anderer Stelle heißt es: „Mir brauchen onbedéngt präzis a reegelméisseg Donnéeën zu de VGO (violences gynécologiques et obstétriques)“. Die Schwierigkeit, solche Daten zu erheben liegt am Mangel an einer einheitlicher Definition solcher Gewaltformen. Dem wollen Déi Lénk entgegenwirken: „Am Virfeld wäerte mir mat de Patient·inn·en an dem concernéierte Gesondheetspersonal (Gynekologen, Hiewammen, Obstétricien·ne·s) eng Definitioun aféiere vun de VGO (violences gynécologiques et/ou obstétriques)“. Ihnen geht es dabei aber nicht nur um cis Frauen: „An de Etüden, Projeten a Mesurë fir géint d’VGO unzegoen, wäerte mir och op d’Besoine vun den Trans-, intersex an non-binäre Persounen agoen“, heißt es in ihrem Programm weiter.
Auch die Piratepartei äußert sich zu gynäkologischer Gewalt und Gewalt bei der Geburtshilfe, allerdings weitaus schwammiger: Sie wolle „Sensibiliéirungscampagnen fir d’Vermeidung vu Gewalt bei der Geburt“, so ihre knappe Ansage.
Gehälter und Renten
Um den Gender-Pay-Gap anzugehen, schweben Déi Lénk zwei spezifische Maßnahmen vor: Betriebe mit mehr als 250 Angestellten dazu verpflichten Gehälterunterschiede offenzulegen; Betriebe mit mehr als zehn Angestellten „dozou verflichten, d’Anhale vum Gläichheetsprinzip bei der Bezuelung zertifiéieren ze loossen“. Die CSV ihrerseits bleibt in ihren Aussagen puncto Gender-Pay-Gap weitaus schwammiger: „Wir werden gemeinsam mit den Sozialpartnern weitere Maßnahmen für faktische Lohngleichheit bei den Geschlechtern prüfen“.
Auch bezüglich Rentengerechtigkeit haben Déi Lénk konkrete Vorstellungen: Um unter anderem Alters- armut entgegenzuwirken, soll auch dann in die Rentenkasse eingezahlt werden, wenn keiner Lohnarbeit nachgegangen wird. „Mat der selwechter Zilsetzung soll bei enger bestuedener Koppel, deen ee Partner obligatoresch musse bei de Cotisatiounen vun deem anere Partner bäileeën, wann dësen seng Aarbecht opgëtt oder seng Aar- bechtszäit reduzéiert.“ Auch hier ist die CSV wieder unkonkreter: „Altersarmut ist nicht hinnehmbar. Deshalb wird die CSV eine strukturelle Verbesserung des Pensions-Minimums vornehmen“.
Von den Oppositionsparteien befürworten einzig Déi Lénk eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, und zwar auf 32 Stunden.
Schwangerschaftsabbruch
Déi Lénk sprechen sich in ihrem Programm als einzige Oppositions- partei dafür aus, einerseits das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung festzuschreiben, andererseits systematisch Statistiken zu der Thematik zu erheben. Außerdem wollen sie die Frist, innerhalb derer ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann, von 12 auf 14 Wochen erhöhen.
Keine der anderen Oppositionsparteien fordert ein Heraufsetzen dieser Frist. Abgesehen von der ADR spricht sich jedoch auch keine Partei explizit dagegen aus. Sie ist nicht nur dafür, die Frist bei 12 Wochen zu belassen, ihr ist eine auf Fristen basierte Herangehensweise insgesamt ein Dorn im Auge: „Mir sinn der Meenung, datt d’Gesetz keng Fristeléisung, mee eng Indikatiounsléisung sollt virgesinn“. Außerdem spricht sich die ADR entschieden gegen ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch aus.
Auch die Piratepartei äußert sich in ihrem Programm zum Thema Schwangerschaftsabbruch, setzt dabei jedoch einen anderen Fokus. Sie geben an, sich dafür einsetzen zu wollen, „dass den obligatoreschen Delai vun dräi Deeg, fir iwwert eng eventuell Ofdreiwung nozedenken, ofgeschaaft gëtt“.
Gender-Data-Gap
„Wir werden uns für eine solidere, nach Geschlecht aufgeschlüsselte Datenlage starkmachen. Nur so sind effiziente Entscheidungen, die allen Geschlechtern persönlich, schulisch, beruflich, politisch und familiär die gleichen Chancen bieten, möglich.“ So deutlich wie die CSV äußert sich keine andere der Oppositionsparteien zur Bekämpfung des Gender-Data-Gap. Déi Lénk geben an, sich für die systematische Datenerhebung in puncto gynäkologischer Gewalt und Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen zu wollen, gehen jedoch nicht darüber hinaus.
„Congé de naissance“ und „congé parental“
Die Piratepartei und Déi Lénk sprechen sich in ihren Wahlprogrammen als einzige der vier Oppositionsparteien dafür aus, den „congé de naissance“ von den aktuell zehn Tagen auf drei Monate zu erhöhen.
Die Haltung der Piratepartei zum „congé parental“ ist zwar positiv, ihre Forderungen allerdings eher schwamming formuliert: „(Mir) ënnerstëtzen den aktuelle Congé parental a wäerten eis dofir asetzen, fir den aktuelle System auszebauen an ze verbesseren, andeems, d’Eltere méi Congésdeeg kréien an och méi Urechter, fir de Congé an Deelzäit kënnen ze huelen“.
Was die Elternkarenz angeht, sind Déi Lénk die einzigen die angeben, Väter verstärkt zu diesem Schritt motivieren zu wollen. Wie sie dies zu tun gedenken, schreiben sie allerdings nicht. Es müsse weiterhin „op e Mentalitéitswiessel an de Familljen an an de Entreprisen higewierkt ginn“ heißt es lediglich.
Gendern
Als einzige der Oppositionsparteien spricht sich die Piratepartei in ihrem Wahlprogramm für „fest an eenheetlech Normen fir eng genderneutral Sprooch“ aus. Die ADR ist die einzige Partei, die sich ausdrücklich gegen geschlechtergerechte Sprache ausspricht. „Aktivitéiten ewéi z.B. d’Promotioun vun der Genderideologie an déi entspriechend Sproochreegelunge gi komplett gestoppt an onnéideg Servicer ofgeschaaft.“
Welche Partei setzt sich am meisten für Gendergerechtigkeit ein?
Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Das liegt daran, dass die Ideen, die sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien in puncto Gendergerechtigkeit äußern, zwar immer wieder Überschneidungen aufweisen, sich zum Teil jedoch stark voneinander unterscheiden.
So haben die LSAP und Déi Lénk zwar ungefähr gleich viele Vorschläge, bei nur etwa der Hälfte stimmen diese allerdings miteinander überein. Das heißt natürlich nicht, dass sie sich im Falle von Koalitionsverhandlungen nicht einigen könnten. Was nämlich auffällig ist: Auch wenn sich die Parteien nicht explizit für eine bestimmte Maßnahme aussprechen, so sind sie selten explizit dagegen. Mit dem Ergebnis, dass bei einer Vielzahl von Themen die Position der Partei nicht ersichtlich wird. Wie steht die Piratepartei dazu, Schulmaterialen systematisch auf sexistische Inhalte hin zu überprüfen? Oder zu den Problematiken Gender-Pay-Gap und Gender-Pension-Gap? Ist die LSAP einer Erhöhung des „congé de naissance“ gegenüber prinzipiell aufgeschlossen? Wie steht die CSV dazu, das Recht auf Schwangerschaftabbruch in der Verfassung zu verankern? Würden sich Déi Lénk innerhalb einer Regierungskoalition für die Erhebung genderspezifischer Daten und somit der Bekämpfung des Gender-Data-Gap stark machen? Befürworten sie die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie auf offiziellen Dokumenten?
Die sich stark unterscheidenden Schwerpunkte mögen es einigen Wähler*innen leichter machen, sich für eine bestimmte Partei zu entscheiden. Worauf sich die Parteien innerhalb von Koalitionsverhandlungen einigen könnten, ist allerdings unmöglich einzuschätzen.
Anders verhält es sich bei der Frage, welche Problematiken in der nächsten Legislaturperiode aller Wahrscheinlichkeit nach keine Priorität haben werden. Für Genderbudgeting, für Jungen- und Männerarbeit oder auch noch für die Anerkennung von Endometriose als chronischer Krankheit bricht keine einzige der sieben analysierten Parteien eine Lanze.
Umgekehrt gibt es aber auch zwei Themen, die allen Parteien wichtig zu sein scheinen: Die Bekämpfung von Armut bei Alleinerziehenden und verbesserte Rahmenbedingen bei der Kinderversorgung, egal ob durch Dritte oder innerhalb der Familie.
Was man bei den vielen unterschiedlichen Maßnahmen nicht aus den Augen verlieren sollte: Über ein übergreifendes, kohärentes Konzept, um Gendergerechtigkeit zu erreichen, verfügt keine der Regierungs- und Oppositionsparteien.
In den folgenden Wochen wird die woxx die Wahlprogramme hinsichtlich LGBTIQA-Politiken untersuchen. In diesem Kontext werden die jeweiligen Haltungen bezüglich trans, intersex und queeren Menschen unter die Lupe genommen.
Auffälligkeiten:
Keine der Oppositionsparteien spricht sich dafür aus, an der Uni Luxemburg einen Lehrstuhl für Genderstudies wiedereinzuführen.
Keine der Oppositionsparteien spricht sich in ihrem Programm für ein Verbot von Jungfräulichkeitszertifikaten aus.
Keine der Oppositionsparteien hat spezifische Vorschläge, wie Geschlechter- parität in der Politik angestrebt werden kann.