Muss nicht B sagen … Kein Begehren? Kein Problem! Der 6. April ist der internationale Tag der Asexualität. Asexuelle und aromantische Menschen kämpfen noch immer gegen Diskriminierung, Vorurteile und vor allem gegen eines: Unsichtbarkeit.

Familie, Freundschaften, Hobbies, Haustiere: aromantische und asexuelle Personen lieben auf viele Weisen – eben nur nicht romantisch oder sexuell. (Foto: Aung Soe Min/Unsplash)
Beáta Fülöp platziert am Anfang des Gesprächs einen kleinen Plüschteddy mit angenähtem Herz zwischen den kleinen Pranken vor sich auf den Tisch. „Ich musste ihn ein wenig überarbeiten, damit er zu mir passt“, sagt sie mit einem Lächeln. Auf das ehemals rote Herz hat sie grünen Stoff genäht und statt den Namen einer*s Geliebten, trägt der Teddy nun stolz die Botschaft „Aro-Pride“ vor sich her.
Aro – das steht für aromantisch und bezeichnet Menschen, die für andere keine romantische Zuneigung empfinden. Sie verlieben sich nicht, haben nie einen sogenannten „Crush“ oder eine feste Partnerschaft. Asexualität, die zusammen mit Aromatik auftreten kann, aber nicht muss, meint die nicht vorhandene sexuelle Anziehung zu einem anderen Menschen, egal welchen Geschlechts. Die beiden Gruppen nennen sich selbst Ace/Aro und bilden das „A“ im Akronym LGBTQIA+ (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer, Inter, Ace/Aro). Auf Beáta Fülöp trifft beides zu. Die 29-Jährige lebt aromantisch und asexuell, und das seit sie denken kann. Ebenso wie T.*, deren geschilderte Erfahrungen sie für das Interview in schriftlicher Form mitbringt.
„Ich war nie verliebt, habe nie eine romantische Beziehung gewollt und nie sexuelle Anziehung empfunden“, schreibt T. und fasst damit die Erfahrung vieler Ace/Aro-Personen zusammen. Nicht verliebt zu sein, heißt nicht, keine Liebe zu empfinden. Diese verortet sich einfach in einem anderen Bereich: Freundschaft, Familie, Hobbies. Nur eben die romantische Form der Liebe ist für aromantische Personen irrelevant. Auf die aus allosexueller (das bezeichnet Menschen, die sich zu anderen potenziell sexuell hingezogen fühlen) Sicht gestellte Frage, ob ihr etwas fehle, antwortet Fülöp mit einem Lachen. Diese Frage sei ihr in der Vergangenheit schon oft gestellt worden, verstehen würde sie sie bis heute nicht. „Es gibt so viele schöne Sachen, für die sich asexuelle Menschen begeistern, wieso sollte uns etwas fehlen?“, sagt sie.
Asexuell, aromantisch oder beides zu sein – das trifft auf rund ein bis drei Prozent der Bevölkerung zu. Eine britische Studie aus dem Jahr 2016, die zu sexueller Orientierung von Menschen im Autismus-Spektrum forschte, fand heraus, dass der Anteil asexueller Personen in der Studiengruppe im autistischen Spektrum etwa dreimal höher ausfiel als in der Kontrollgruppe. Wirklich aussagekräftig sind diese Zahlen jedoch bislang nicht. Dafür liegen viel zu wenig Studien zu Asexualität vor. Eine Gemeinsamkeit mit Neurodivergenz – also neurologischer Vielfalt etwa bei Autismus oder ADHS – zeigt sich im Hinblick auf menschliche Sexualität: Auch sie, inklusive Asexualität, findet auf einem Spektrum statt. So ist nicht jede asexuelle Person automatisch aromantisch, manche empfinden geringe sexuelle Anziehung, für andere ist Sex mit einer anderen Person gar kein Thema, sexuelle Lust allerdings schon. Diese wird dann autoerotisch, etwa als Masturbation, ausgelebt. Es ist ein vielfältiges Spektrum, das der Buchstabe „A“ im Akronym der Community abbildet und doch wird er am ehesten weggekürzt, im wörtlichen wie auch übertragenen Sinn. Es ist eine der sexuellen Orientierungen, die in der Öffentlichkeit am wenigsten präsent ist.
Unsichtbarkeit und mangelnde Repräsentation
Das ist auch der Grund, weshalb Beáta Fülöp und Osmin Didier Schneider, Direktor des Centre LGBTIQ+ CIGALE (Cigale), die nationale Anlauf- und Beratungsstelle für queere Personen in Luxemburg, anlässlich des internationalen Tags der Asexualität an die Öffentlichkeit gegangen sind. „In unserer Gesellschaft dreht sich alles um Liebe und Sex. Besonders junge Menschen sind dadurch einem enormen Druck ausgesetzt“, sagt Schneider, der sich selbst auch erst durch Fülöp von der Notwendigkeit einer Ace/Aro Gruppe innerhalb des Angebots des Cigale überzeugen ließ. Jetzt kämpft er mit Herz für die Sichtbarkeit und die Bedürfnisse einer sexuellen Orientierung, die für viele Menschen noch eine große Unbekannte darstellt. Das Problem dabei: Durch die überpräsente Darstellung von Liebe und Sex als gesellschaftliche Normalität und Ideal, finden viele Menschen im asexuellen und aromantischen Spektrum erst spät zu sich selbst. „Wie viele Menschen in Luxemburg wissen nicht einmal, dass sie queer sind?“ gibt Fülöp zu Bedenken.
In der Gesellschaft gelten Liebe, Partnerschaft und auch Sex als eine Art Initiationsritus, der den Übergang in die Erwachsenenwelt signalisiert. Wem sexuelles Interesse oder romantische Paarbeziehung fremd bleiben, der gilt schnell als unreif, verklemmt oder unvollständig. Auch wenn Asexualität seit 2013 im Diagnostikmanual für psychische Störungen (DSM) explizit nicht als Störung genannt wird, haben Beáta Fülöp und andere asexuelle Personen die Erfahrung gemacht, dass ein Gespräch mit einer psychologischen oder ärztlichen Fachkraft zu Problemen führen kann. „Es besteht ein hohes Risiko, dass sie nicht daran denken, dass man queer sein könnte, sondern denken, dass man krank ist“, berichtet sie. Nicht vorhandenes sexuelles Interesse kann zwar tatsächlich Ausdruck einer körperlichen oder psychischen Erkrankung sein, etwa infolge eines hormonellen Ungleichgewichts oder einer Traumatisierung. Es kann aber ebenso gut Ausdruck einer legitimen sexuellen Identität sein, die für sich genommen keinen Leidensdruck verursacht, wäre da nicht die damit verbundene gesellschaftliche Ausgrenzung.
Auch familiär stoßen Betroffene häufig auf Unverständnis. „Wenn ich von neuen Erfahrungen erzählen will, kommt immer wieder dieselbe Frage – ‚Hast du jetzt endlich einen Freund?‘“, schreibt T. Eine quälende Frage, die eine gesellschaftliche Erwartungshaltung ausdrückt, wie sie nicht nur asexuelle und aromantische Menschen, sondern Singles weltweit kennen. Es entsteht der Eindruck, dass sich der gesellschaftliche Wert einer Person an ihrem Paarstatus bemesse. Das begegnet einem dann auf allen Ebenen wieder: Wohnen, Steuern, Elternschaft: „Unsere Gesellschaft ist nicht für Singles gemacht“, sagt Fülöp. Gerade in Luxemburg, wo der Wohnungsmarkt äußerst umkämpft ist, hat dies gravierende Auswirkungen. „Ich arbeite Vollzeit, aber kann mir allein keine Wohnung leisten“, schreibt T., die für sich den Kompromiss gewählt hat, in einer WG zu wohnen.
Formen der Diskriminierung
„Asexuelle stehen mit diesen Problemen nicht alleine da, es ist das Problem der meisten Alleinstehenden. Es geht um die Rechte von jedem“, so Fülöp über die horrenden Mietpreise hier im Land. Auch beim Thema Adoption stoßen Alleinstehende weiterhin auf große Hürden.
Überdies sagt sexuelles oder romantisches Interesse beziehungsweise deren Abwesenheit nichts über den Wunsch nach einer eigenen Familie aus. Viele wünschen sich Kinder oder eine Familie in einem alternativen Lebenskonzept. Ein Modell ist das der queerplatonischen Partnerschaft: Zwei Menschen entscheiden sich, ihr Leben zu teilen – ohne sexuellen oder romantischen Aspekt. Im Gegensatz zur Freundschaft ist diese Form des Zusammenlebens oft deutlich verbindlicher, alltagsprägender und zentraler für die eigene Lebensgestaltung.
Asexuelle Personen erfahren, anders als unfreiwillig Alleinstehende, nicht nur strukturell, sondern auch auf anderen Ebenen, Diskriminierung und regelrechte Hasswellen. Eine solche traf die Ace/Aro Community 2014 besonders schwer. Durch Plattformen wie Tumblr und Reddit erlangte diese sexuelle Orientierung besonders im englischsprachigen Raum zum ersten Mal mehr Sichtbarkeit im Netz. Prompt folgten Beleidigungen, Hass und auch konkrete Drohungen. Ein Phänomen, das bis heute anhält. „Insbesondere im Internet begegnen asexuelle Menschen immer wieder gezielten Angriffen – bis hin zu sexualisierter Gewaltandrohung in Form ,korrektiver Vergewaltigung‘“, sagt Didier Schneider und Fülöp ergänzt: „Die ‚Argumente‘ für den Hass sind dabei immer die gleichen, wie sie zuvor und jetzt auch wieder die trans-Personen erfahren.“ Der gesellschaftliche Rechtsruck in vielen Ländern wirkt sich besonders drastisch und als erstes auf marginalisierte Gruppen und Frauen aus. Das bekommt auch Cigale zu spüren. Ein Ort der sich gerade deshalb dafür einsetzt, dass betroffene Personen einen sicheren Raum für positive Erfahrungen haben.
Schneider erinnert sich an eine Situation, als ein verzweifelter Jugendlicher zum ersten Mal an einem Gruppentreffen der Ace/Aro Community teilnahm, die sich jeden zweiten Dienstag unter der Leitung der Koordinatorin Beáta Fülöp in den Räumen des Cigale trifft. „Diesem Jungen ging es schlecht, weil er sich in seiner Umgebung so isoliert gefühlt hat. Aber nach einem langen Gespräch mit Beáta hat er erleichtert gesagt: ‚Ich bin doch nicht alleine.‘ Da habe ich gemerkt: Ja, dieses Thema gehört in die Community.“ Damit Momente wie diese möglich sind, setzen sich die beiden für eine erhöhte Sichtbarkeit des „A“s innerhalb und außerhalb der LGBTQIA+-Community ein – auch jenseits von internationalen Aktionstagen wie dem zu Asexualität am 6. April.
Mehr Sichbarkeit
Zumindest in der medialen Welt ist seit einigen Jahren ein Wandel spürbar. Die britische Serie Heartstopper etwa hat mit Isaac eine Figur eingeführt, die sich als asexuell outet – eine Premiere für viele junge Zuschauer*innen. Was außerhalb der Community kaum jemand weiß: Die Autorin Alice Oseman, die die Vorlage als Webcomic und Graphic Novel geschrieben und gezeichnet hat, lebt selbst asexuell und aromantisch. In ihrem 2022 erschienenen Roman Loveless rückt sie eine ace/aro-Hauptfigur in den Mittelpunkt. „Es gibt zum Glück immer mehr Darstellungen von asexuellen Menschen in den Medien. Das meiste davon stammt jedoch von unbekannten Künstlerinnen“, sagt Fülöp. Sie empfiehlt neben dem japanischen Fernsehdrama Koisenu Futari – auf Deutsch etwa: Zwei, die sich nicht verlieben – auch deutschsprachige Literatur wie die queere Kurzgeschichtensammlung Beweisstück A des Projekts „100 % Mensch“ sowie die beiden englischsprachigen Fantasy- und SciFi-Romane In the Lives of Puppets von TJ Klune und Space Cadets von Robin Banks.
Diese Beispiele zeigen: Asexualität und Aromantik haben in den letzten Jahren an Sichtbarkeit gewonnen – vor allem in digitalen Räumen, innerhalb bestimmter Communitys, im Austausch unter Gleichgesinnten. In der breiten Öffentlichkeit dagegen ist die Realität asexueller und aromantischer Menschen noch kaum angekommen. Die meisten Stereotype, Fragen und Missverständnisse sind geblieben. Umso wichtiger sind Tage wie der 6. April – als Erinnerung daran, dass das „A“ im Kürzel LGBTQIA+ für mehr steht als für ein bloßes Anhängsel. Oder wie Beáta Fülöp es am Ende des Gesprächs auf den Punkt bringt: „Es ist Zeit, dass die Gesellschaft uns mehr wahrnimmt.“
Anlaufstelle & Austausch
Das Centre LGBTIQ+ Cigale ist die nationale Anlauf- und Beratungsstelle für queere Menschen in Luxemburg. Neben psychosozialer Unterstützung, Einzelberatung und Bildungsarbeit bietet das Cigale auch regelmäßige Gruppentreffen an – darunter eine eigene Gruppe für asexuelle und aromantische Personen. Die Ace/Aro-Gruppe trifft sich alle zwei Wochen freitags in den Räumlichkeiten des Cigale in Luxemburg-Stadt in der Nähe der Gëlle Fra. Der Austausch wird von Beáta Fülöp koordiniert und richtet sich an alle Menschen, die sich auf dem asexuellen oder aromantischen Spektrum verorten – egal ob offen, unsicher oder noch auf der Suche.