Auf YouTube: Misdirection

In „Misdirection“ webt Regisseurin und Autorin Carly Usdin die Themen Queerness, psychische Krankheit und Magie nahtlos ineinander. Das Resultat ist so lustig wie herzerwärmend.

Jessie (l.) spielt nur mit Camila. (Quelle: Scheme Machine Studios)

Sich „Misdirection“ anzuschauen ist eine eher unbefriedigende Erfahrung: Der Film lässt einen mit einem derart schönen Gefühl zurück, dass es unfair wirkt, das Sehvergnügen schon nach nur 13 Minuten zu beenden. Bei „Misdirection“ handelt es sich nämlich um einen Kurzfilm.

Dass er so gelungen ist, ist vor allem Darstellerin Vico Ortiz zu verdanken, die die Protagonistin Camila durch ihr naturalistisches, energiegeladenes Spiel zum Leben erweckt. Drehbuch und technische Umsetzung tun ihr Übriges: Die Szenen, von denen jede unser Verständnis dieser Figur mit nur wenigen Einstellungen und Dialogzeilen erweitert, fließen mühelos ineinander über. Wie bei den Zaubertricks, die im Film vorgeführt werden, stellt sich bei den Zuschauer*innen eine gewisse Verblüffung ein: Wie ist Regisseurin Carly Usdin dieses kleine Wunderwerk gelungen?

Der Film beginnt mit Zählen. „One, two, three, one, two, three, one, two, three“. Wie die Zuschauer*innen etwas später erfahren, hat Camila eine zwangsneurotische Störung. Bis der Film zu seinem herzerwärmenden letzten Drittel gelangt, läuft es für Camila erst mal nicht so gut. Sie ist hoffnungslos in ihre heterosexuelle Mitbewohnerin Jessie (Kara Royster) verknallt und verursacht aufgrund ihrer Störung auf dem Heimweg von einer Party fast einen Autounfall. Ihre Therapeutin (Jasika Nicole) rät ihr daraufhin: „I think it would be very helpful for you to find something that can be big or small to help pull yourself out of the counting.“ Camila wäre es lieber, das Problem könne durch stärkere Medikamente gelöst werden. Das Zählen hilft ihr im Umgang mit Alltagsfrustrationen. Woher soll sie die Kraft nehmen, ohne es klarzukommen?

Die Zwangsneurose wurde nicht etwa eingesetzt, um Camila interessanter zu machen: Carly Usdin greift hier auf ihre persönlichen Erfahrungen mit dieser Krankheit zurück. Wie sie in einem Interview mit riannepictures.com erzählte, gab ihr das den Mut, Camilas Zwangsstörung nicht nur nuanciert, sondern auch mit Humor darzustellen. Ohne Zweifel hat das auch dazu beigetragen, dass die Krankheit so organisch in die Handlung eingebettet ist: Sie ist kein abgedrehter Charakterzug, sondern der rote Faden der Erzählung.

Die Zwangsstörung ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit, die Usdin mit ihrer Protagonistin hat: Davon abgesehen, dass sie queer ist, ist sie, wie auf imdb.com nachzulesen ist, Mitglied der Academy of Magical Arts in Los Angeles. Camila ihrerseits entdeckt das Zaubern in „Misdirection“ erstmals für sich. Der Titel des Films stammt denn auch aus dem Magie-Kontext: Es geht dabei darum, die Aufmerksamkeit des Publikums so zu steuern, dass es vom eigentlichen Trick abgelenkt wird. Der Titel spielt natürlich auch auf Camilas Versuche an, ihre Aufmerksamkeit mit diesem kleinen oder großen „something“, zu dem ihr ihre Therapeutin rät, umzulenken und so ihr Zwangsverhalten in den Griff zu bekommen.

2016 machte Usdin erstmals mit „Suicide Kale“ auf sich aufmerksam, für den sie auf dem Outfest mit dem Best First Feature-Preis ausgezeichnet wurde. Seitdem hat sie Comics verfasst und unter anderem die Serie „Threads“ produziert. Diejenigen, denen „Misdirection“ Lust auf mehr gemacht hat, dürfen sich jetzt schon freuen: Usdin ist nämlich dabei, ihren Kurzfilm als Streaming-Serie zu adaptieren.

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