Autofestival: Straßenkreuzer Potemkin

Das Autofestival lockt interessierte Käufer*innen mit vielen Sonderangeboten. Unter den neuen Modellen finden sich viele SUVs, die viel zu groß für unsere Straßen sind.

Statt dem „Ruf der Wildnis“ zu folgen werden SUVs meistens ganz banal dafür benutzt, Kinder und Einkäufe von A nach B zu transportieren. Dafür sind sie jedoch überdimensioniert. (Foto: Norbert Kundrak / Unsplash)

Steht Luxemburg dieser Tage wegen der Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports in etwas mehr als einem Jahr in den internationalen Schlagzeilen, so dreht sich in den nächsten zwei Wochen hierzulande doch alles um den motorisierten Individualverkehr, sprich den PKW. Das Autofestival bringt sozusagen alle zusammen: Die Verkäufer*innen, die interessierten potenziellen Käufer*innen und einen Teil der Presse, die zu diesem Anlass dicke Sonderhefte produzieren kann. In „AutoMoto“, der Auto-Beilage des Luxemburger Worts, finden sich „die wichtigsten Neuerscheinungen 2019“. 38 Modelle stellen die Kolleg*innen vor – davon sind 22, also über die Hälfte, SUVs oder sonstige Geländewagen.

Die Zeitung veranstaltet auch ein Gewinnspiel zum „Auto vum Joer“, wobei es neun Kategorien gibt. Drei davon sind für verschiedene Größenklassen von SUVs vorgesehen und auch in der Kategorie „Luxuswagen“ stehen einige SUVs zur Auswahl. Das Konkurrenzprodukt, die „Autorevue“, stellt ganze 110 Neuheiten vor, davon sind etwas weniger als die Hälfte SUVs oder Geländewagen. Der Trend zu großen Streitwägen, mit denen vorgeblich sowohl Wildnis als auch Großstadtdschungel bestritten werden können, ist ungebrochen. Das liegt auch an einem heimlichen Wettrüsten, das auf unseren Straßen stattgefunden hat.

Dieser Trend zeigt sich nicht nur in der Auswahl der Fachpresse, sondern auch in der Werbung. Ob Volkswagen, Audi, Skoda, Seat – so gut wie jeder Hersteller setzt nicht etwa Klein- oder Sportwagen in den Mittelpunkt, sondern SUVs. Ein Blick auf die Straßen, so subjektiv er zwangsläufig auch sein mag, bestätigt sie darin: Auf Luxemburgs Straßen sind viele SUVs anzutreffen. Wie viele von den 52.811 PKW, die 2018 im Großherzogtum neu immatrikuliert wurden, SUVs sind, lässt sich aus der Statistik leider nicht herauslesen. Weltweit sind SUVs das größte Segment des Automarktes, der knapp ein Drittel des PKW-Marktes einnimmt.

Super useless vehicle

Die Abkürzung SUV steht für „Sport utility vehicle“ und stammt aus dem US-Sprachgebrauch. Ursprünglich waren Chassis leichter Lastwagen die Grundlage der Fahrzeuge (Leiterrahmen-Bauweise), heute stellt dies aber die Ausnahme dar: Entweder werden SUVs von Grund auf als selbsttragende Konstruktionen neugestaltet oder als sogenannte „Crossover“ auf die Plattformen bestehender PKW angepasst. War Allradantrieb einst beinahe synonym mit SUV, so ist dies heute längst nicht mehr der Fall, auch wenn fast alle Modelle so aussehen.

Das Aussehen der Fahrzeuge und das damit verbundene Image erklärt aber vielleicht, warum sich die Vorstadtpanzer so gut verkaufen. Die Umweltsoziologin Fiona McLean hat für den Sammelband „Car Troubles“ die Werbeanzeigen für SUVs untersucht und festgestellt, dass es zwei Themen gibt, mit denen die Fahrzeuge verkauft werden: Der „Ruf der Wildnis“ und der Großstadtdschungel. Natur wird in der SUV-Werbung als gefährlich, wild, unbeherrscht gezeigt: menschenleere Wüsten, verschneite Landschaften oder nackte Felsen in den Bergen dominieren die Bildsprache, oft mit dunklen, bedrohlichen Wolken im Hintergrund. Das Auto dient in der Werbewelt einerseits als Instrument, um die Wildnis zu dominieren, bietet andererseits aber auch jeden erdenklichen Komfort.

Im Großstadtdschungel, der laut McLean in Anzeigen für SUVs erstaunlich oft ohne Verkehr gezeigt wird, wird das SUV zur Schutzburg gegen den Stress auf der Straße und zum Mittel für die Flucht in die scheinbar unberührte Natur. Teilweise sind die Fahrzeuge in den Anzeigen auch militaristisch dargestellt – als wäre die Fahrt zum Einkaufszentrum am Wochenende ein Feldzug. Die Werbewelten, in denen SUVs herumfahren, sind natürlich potemkinsche Dörfer: Statt zum Offroad-Abenteuertrip wird das Auto viel häufiger dazu benutzt, Einkäufe zu erledigen, Kinder zur Schule zu bringen oder halt zur Arbeit zu fahren.

Subjektives Sicherheitsgefühl

Dennoch scheint das, was in der Werbung versprochen wird, das zu sein, was die Käufer*innen von SUVs sich von ihrem Fahrzeug wünschen: Komfort im Inneren, Sicherheit gegenüber dem Draußen. Eine Studie der deutschen Gesellschaft für innovative Marktforschung bestätigt, dass emotionale Beweggründe wie das Freiheitsversprechen, das Prestige und das auffallende Design die Käufer*innen anzieht. Gerechtfertigt wird der Kauf eines dann doch nicht unbedingt sparsamen Fahrzeugs jedoch mit rationalen Argumenten: Die erhöhte Sitzposition und das damit verbundene Sicherheitsgefühl wird immer wieder als Grund für den Kauf angegeben.

Für die Insass*innen von SUVs stimmt dies sogar. Je größer das SUV, umso geringer die Gefahr, bei einem Unfall getötet zu werden. Umgekehrt sieht es jedoch anders aus: Wer in einem „normalen“ PKW sitzt, der mit einem SUV kollidiert, hat ein höheres Risiko auf schwere Verletzungen. Wie der Verband der deutschen Versicherungen feststellte, tragen bei SUV-PKW-Kollisionen 20 Prozent der PKW-Fahrer*innen lebensgefährliche Verletzungen davon, jedoch nur 5 Prozent der SUV-Fahrer*innen.

Foto: Wikimedia/Guisval/CC BY-SA 3.0

Die Sicherheit erhöht sich lediglich für die Insass*innen, nicht für den gesamten Straßenverkehr. Auch für Fußgänger*innen, die in Unfälle mit SUVs verwickelt werden, besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr für Beine und Becken, weil die Front der Boliden oft steiler und höher ist. Der ADAC gibt an, dass durch weichere Materialien die Sicherheit erhöht worden sei, aber: „trotz dieser Verbesserungen bleiben SUVs allein aufgrund ihrer Größe und Geometrie problematisch beim Fußgängerschutz. Passanten prallen bei Unfällen immer noch gegen harte Strukturen“. Besonders „kleinere Personen“ könnten dabei verletzt werden – damit sind natürlich auch Kinder gemeint, denn der Verkehrsclub rät SUV-Fahrer*innen auch, „in Wohngebieten und an Schulen und Kindergärten besonders vorsichtig“ zu fahren.

Das Gefühl, in einem großen, schweren Auto beinahe unverwundbar zu sein, sorgt jedoch auch für größeres Risikoverhalten. In einer Befragung der Unfallforschung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft gaben SUV-Fahrer*innen an, „entspannter“ und „etwas weniger vorschriftsmäßig“ als PKW-Fahrer*innen unterwegs zu sein. Eine Studie, die in dem Fachjournal Wiener klinische Wochenschrift veröffentlicht wurde, nennt dies den „SUV-Effekt“: Die Fahrer*innen verhalten sich insgesamt risikobereiter. Untersucht wurde dabei, wie häufig Fehlverhalten wie Telefonieren am Handy ohne Freisprecheinrichtung, Fahren ohne Gurt und Missachten von roten Ampeln vorgekommen sind. Bei Frauen in SUVs wurde eine untypisch hohe Risikobereitschaft festgestellt, sie waren ungewöhnlich häufig unangeschnallt unterwegs.

Und so könnte man zu dem zynischen Gedanken kommen, dass es angesichts der steigenden Zahl von SUVs vielleicht schon nötig wird, an dem Wettrüsten teilzunehmen, um im Falle eines Unfalls nicht komplett den Kürzeren gegen einen Straßenpanzer zu ziehen. Neben der gefühlt höheren Sicherheit spielen beim Autokauf jede Menge psychologische Faktoren eine Rolle, darunter im staugeplagten Luxemburg sicherlich auch der Wunsch nach einem fahrenden Rückzugsort, der einen über die restlichen Fahrer*innen erhebt und in der Wildnis des Feierabendverkehrs Ruhe und Behaglichkeit verspricht. Die (gefühlt) steigende Komplexität der Welt, die unruhige Weltpolitik und die zahlreichen Krisen und Katastrophen tragen sicherlich ebenfalls dazu bei, dass auch beim Autokauf mehr Menschen nach „Sicherheit“ dürsten und glauben, sie mit einem SUV zu bekommen.

Hungrig nach Benzin und Platz

Als größere, meist schwere Autos verbrauchen SUVs natürlich auch mehr Treibstoff und stoßen damit auch mehr CO2 aus als konventionelle PKW. Natürlich ist nicht jeder SUV ein „leichter Lastwagen“, aber auch die „kompakten“ Modelle verbrauchen mehr als vergleichbare PKW, etwa Limousinen oder Stufenhecks. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg hat in einer Studie festgestellt, dass der durchschnittliche SUV ungefähr ein Fünftel mehr CO2 ausstößt als der durchschnittliche PKW.

Allerdings gibt es mittlerweile auch Elektro-SUVs. Was zuerst ironisch klingt, weil SUVs eher einen Ruf als Dreckschleudern haben, macht aber vielleicht trotzdem Sinn: Im großen SUV gibt es genug Platz, um Batterien zu verstecken und dennoch genügend Stauraum für all die Abenteuer in der Wildnis des suburbanen Lebens zu bieten. Das, was vermeintlich nicht zusammenpasst – umweltschonender Elektroantrieb und bulliger SUV – zeigt das größte Problem des elektrisierten Individualverkehrs: Auch Elektroautos sind Autos.

Und als solche verbrauchen sie Platz. Das tun SUVs nicht nur auf der Straße, sondern auch auf Parkplätzen. Spätestens, wenn die Normen für PKW-Stellplätze angepasst werden müssen, weil die überlangen und überbreiten SUVs sonst nicht mehr drauf passen, wird klar: Der sogenannte „ruhende Verkehr“ wird mit SUVs sicherlich nicht weniger und der vermeintliche Parkplatzmangel noch größer. Dabei könnte der öffentliche Raum wesentlich effizienter – und angenehmer – genutzt werden als zum Parken von Autos.

Wenn die Regierung, wie es Energieminister Turmes im Interview bei RTL betonte, kein Dieselverbot und wohl auch kein Phase-Out beim Verbrennungsmotor will (so wie das Schweden, Norwegen und Dänemark beschlossen haben), sollte sie eventuell darüber nachdenken, ein Phase-Out oder zumindest eine (sozial gerechte) Steuer für besonders raumeinnehmende Straßenkreuzer einzuführen.


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