Automatisiertes Fahren: Die Robotaxi-Illusion

von | 30.10.2025

Mit der Strategie „Automatiséiert Fueren 2028“ verspricht die Regierung Innovation und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft. In Wirklichkeit geht es weniger um Mobilität als darum, die Wirtschaft anzukurbeln.

Bei einer Reise nach Kalifornien bewunderte Wirtschaftsminister Lex Delles die selbstfahrenden Autos von „Pony.ai“. Wenige Monate nach dem Besuch ließ sich das Unternehmen in Luxemburg nieder. (Foto: MAE)

2028 soll das automatisierte Fahren in Luxemburg „implementiert werden“, versprachen am 23. Oktober zumindest Wirtschaftsminister Lex Delles und Mobilitätsministerin Yuriko Backes (beide DP). Im Rahmen einer Pressekonferenz. stellten sie die neue „Strategie“ namens „Automatiséiert Fueren 2028“ vor. Die dünne Broschüre spiegelt jedoch vor allem die Ambitionen der CSV-DP-Regierung wider, denn Informationen über konkrete Maßnahmen fehlen größtenteils. Im Gegenteil offenbaren sich darin die Widersprüche der Automatisierung des Individualverkehrs gegenüber der durch die Klimakrise notwendigen Mobilitätswende.

Es handelt sich bei dem Dokument um das Ergebnis der Arbeiten einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die dafür Expert*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft – zivilgesellschaftliche Stimmen werden in Luxemburgs Verkehrspolitik traditionell überhört (woxx 1841) – befragt hat. Neben einer Bestandsaufnahme der aktuellen legalen und technischen Situation werden Prioritäten für Anwendungsfälle vorgestellt. Ein Fokus liegt auf der nationalen und europäischen Förderungslandschaft. Daher ist es sicherlich kein Zufall, dass die Broschüre trotz luxemburgischer Titel auf Englisch und Französisch erschienen ist; sie richtet sich vor allem an potenzielle Investor*innen.

Bereits auf den ersten Seiten wird klar hervorgehoben, worum es hier eigentlich geht: „Automatisiertes Fahren soll als Katalysator für wirtschaftliche Diversifizierung, die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze und eine verbesserte Lebensqualität positioniert werden“, heißt es dort in großen Lettern. Während Backes bei der Präsentation davon redete, dass „die Technologie einen positiven und nachhaltigen Einfluss auf die Gesellschaft“ haben solle, betonte Delles: „Diese Strategie zielt darauf ab, Luxemburg zu einem Pionier im Bereich des automatisierten Fahrens zu machen. Sie stützt sich auf spezielle Programme, ‚Living Labs’ und Testumgebungen, die Innovationen und das Ausprobieren von Technologien erleichtern sollen: von geschlossenen Standorten bis hin zum Einsatz unter realen Bedingungen.“

Die Zukunft ist längst da

Das wirkt, als schaue das Großherzogtum mutig in Richtung Zukunft. Doch ein Blick über den Tellerrand hinaus verrät, dass in anderen Ländern bereits seit einigen Jahren sogenannte „Robotaxis“ unterwegs sind. Diese vermeintlich „selbstfahrenden“ Gefährte der „Google“-Tochterfirma „Waymo“ sind in mehreren US-Städten unterwegs. Auch der „General Motors“-Ableger „Cruise“ bietet solche Taxidienste an, unter anderem in Tokyo. „Pony.ai“ – ein Unternehmen, das in Kalifornien gegründet wurde, aber auch in China aktiv ist – betreibt ebenfalls einen solchen Taxidienst, zum Beispiel in der Großstadt Guangzhou. Letztes Jahr eröffnete die Firma auch in Luxemburg eine Niederlassung. Seit Juni fahren Pony.ai-Fahrzeuge im Großherzogtum: Gemeinsam mit dem Transportunternehmen „Emile Weber“ sollen die Robotaxis hierzulande getestet werden.

Die Frage ist allerdings, wie „autonom“ solche Roboterautos tatsächlich sind. Vom Mobilitätsministerium erhielt die Firma eine Genehmigung, um automatisiertes Fahren der 4. Stufe zu erproben. Insgesamt werden Systeme, die Fahrer*innen unterstützen oder gar ersetzen sollen, in fünf Stufen eingeteilt, wobei lediglich die letzte vollständige Autonomie darstellt. Warum gibt es dann Taxidienste, in deren Fahrzeugen scheinbar niemand am Steuer sitzt, um im Ernstfall eingreifen zu können? Wie so oft verstecken die Technologiefirmen auch hier die Arbeit von Menschen: Die Autos werden in Fällen, in denen das automatisierte System ein Problem hat, ferngesteuert.

Ferngesteuert statt autonom

Auch die Broschüre der Luxemburger Regierung erwähnt diese unsichtbaren Helfer*innen: „Auch in Fällen, in denen kein Fahrer anwesend ist, ist Fernüberwachung durch Menschen essenziell.“ In der Pressemitteilung hingegen blieb die Notwendigkeit dieser Arbeit unerwähnt. Noch gänzlich unbekannt ist, in welchem Land und unter welchen Bedingungen sie stattfinden soll. Das entsprechende nationale Regelwerk soll erst geschaffen werden – getestet wird dennoch bereits jetzt.

Pony.ai selbst gibt sich offen, was die Sicherheit seiner Fahrzeuge angeht. So veröffentlichte die Firma ein Dokument, das all jene technischen Einrichtungen auflistet, mit denen die Roboterautos völlig selbstständig durch Städte fahren können sollen: Kameras, Radar, Lidar, Satellitennavigation und jede Menge Rechenpower. Tele-Fahrer*innen werden jedoch mit keinem Wort erwähnt. Die Angaben darüber, wie viele Fahrzeuge ein Mensch im Auge behalten muss, schwanken. In manchen Artikeln ist die Rede davon, dass es in China maximal drei Autos pro Mensch sein dürfen, die Nachrichtenagentur „Reuters“ sprach von einem Dutzend Fahrzeuge, die Pony.ai-Mitarbeiter*innen gleichzeitig beaufsichtigen. Es ist abzusehen, dass die Firmen diese Zahl langfristig steigern wollen, um möglichst viel Personalkosten zu sparen. Aber auch ein Robotaxi-Unternehmen wird Mitarbeiter*innen brauchen, die sich um die Fahrzeuge kümmern, sie warten und pflegen – Kund*innen von „Waymo“ beklagen sich häufig darüber, dass die Taxis der Firma total verdreckt sind.

Die Software, mit der autonome Fahrzeuge gesteuert werden, basiert auf Maschinenlernen. Auch hierin verbirgt sich bereits viel unsichtbare Arbeit von sogenannten „Clickworker“. Diese arbeiten oft unter unmenschlichen Bedingungen in Ländern des globalen Südens und müssen repetitive Arbeiten durchführen. Zudem haben wohl die meisten von uns bereits unwillentlich an solchen Systemen mitgearbeitet: Wer im Web beweisen muss, keine Maschine zu sein, wird oft darum gebeten, Zebrastreifen, Ampeln oder Fahrräder anzuklicken. Arbeit wird also nicht wegautomatisiert, sondern vielmehr transformiert und vor allem in Länder mit niedrigem Lohnniveau ausgelagert.

Über Jobverluste in Luxemburg macht sich das Strategiepapier der Regierung keine Sorgen. Es sei ohnehin mit einem Mangel an Fernfahrer*innen zu rechnen – vermeintlich autonome Gefährte werden als Ausweg beschrieben. Von der Idee, dass ein wesentlich größerer Anteil des Warentransports auch mit der Eisenbahn übernommen werden könnte, ist die CSV-DP-Koalition offenbar wieder abgekommen. Die DP hatte zwar „autonomes Fahren auf der Schiene“ 2023 in ihrem Wahlprogramm, im Koalitionsprogramm war von diesem Punkt nichts mehr zu lesen – die autoliebende CSV muss sich durchgesetzt haben. Die Industrie, die man anlocken will, soll vor allem Arbeitskräfte mit „technischen Profilen“ benötigen. Allerdings gäbe es laut Broschüre auch andere Berufschancen: Neben den bereits erwähnten Tele-Fahrer*innen sollen künftig auch „mobile Einsatzteams für Incidents“ sowie Sicherheitspersonal und Gepäckträger*innen gebraucht werden.

Robotaxi statt Tram

(Foto: MAE)

Es ist kein Zufall, dass die allermeisten Robotaxi-Services in Großstädten angeboten werden. Hier findet sich eine wohlhabende Zielgruppe, die bereit ist, Geld für eine Taxifahrt auszugeben, um sich etwaige Unannehmlichkeiten des öffentlichen Transports zu ersparen. Ein solches Angebot wird also eher dazu führen, dass sich weniger Menschen mit Bus, Tram und Zug fortbewegen und noch mehr Fahrzeuge auf die Straße kommen. Bisher sind die Einsatzgebiete stark geografisch begrenzt – ob es also je möglich sein wird, mit einem „Pony“ von Luxemburg-Stadt nach Esch zu fahren, ist unklar. Die Regierungsstrategie erklärt zwar, sie nehme das Problem des Umstiegs von öffentlichen Verkehrsmitteln zu Robotaxis ernst und versuche, gegenzusteuern – wie dies genau passieren soll, wird jedoch nicht erklärt, obwohl der Text behauptet, die Strategie enthalte „spezifische Maßnahmen“.

Angebote mit autonomen Fahrzeugen, die tatsächlich dort ansetzen, wo ein Mangel herrscht – in ländlichen oder suburbanen Gebieten etwa –, gibt es bisher nur wenige. Hier könnte eigentlich ein interessantes Zusammenspiel zwischen öffentlichem Verkehr und automatisierten Straßenfahrzeugen entstehen: Schlecht angebundene Ortschaften könnten von automatisierten Shuttles angefahren werden. In einer fiktiven Zukunft, in der autonome Fahrzeuge tatsächlich ohne menschliche Supervision fahren können, könnte dies sogar zu jeder Tages- und Nachtzeit angeboten werden. Seit Mitte August fahren in Belval zwei solche Shuttles des Herstellers „Ohmio“ auf einer kurzen Strecke mit vier Haltestellen. Das Angebot besteht zurzeit nur zwischen 9 und 14 Uhr, zudem muss zur Sicherheit eine Person am Steuerrad sitzen. Laut der CFL haben die „Ohmio“-Busse zusätzlich „eine direkte Verbindung zu einer Leitzentrale“.

Auch wenn sich durch solche Robo-Shuttles die Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz verbessern ließe, stellen sie keine Lösung für grundlegende Mobilitätsprobleme dar. Im Endeffekt bedeuten mehr Fahrzeuge mehr Verkehr und damit: mehr Stau, mehr Lärm, mehr Energieeinsatz. Das Luxemburger Verkehrsproblem lässt sich nicht durch „intelligente“ Autos lösen, sondern durch eine transformative Landesplanung und einen Mentalitätswechsel, der zu einer Verlagerung auf aktive und öffentliche Mobilität führt. Autonome Fahrzeuge haben gegenüber diesen zudem den Nachteil, dass sie mehr Energie verbrauchen: Kameras, Sensoren und Computer fressen Strom und machen bis zu 18 Prozent ihres gesamten Energieverbrauchs aus. Zwar sollen automatisierte Fahrzeuge sparsamer und sicherer fahren als Menschen, doch im Vergleich zu Bus oder Tram brauchen sie immer mehr Platz und Energie und können im Endeffekt nicht nachhaltiger als diese sein.

Hundekot gegen Roboter

Ohnehin stellt sich die Frage, wie gut autonome Fahrzeuge im Alltag angenommen würden. Die Regierungsstrategie betont immer wieder, wie wichtig es sei, die Bevölkerung zu sensibilisieren und dabei auf die angeblichen sozioökonomischen Vorteile autonomer Fahrzeuge hinzuweisen. Das könnte, je nachdem, wo man lebt, schwierig werden: Die Anwohner*innen der Parkplätze von Waymo-Fahrzeugen beschweren sich regelmäßig über den großen Lärm, den die Robotaxis beim Laden verursachen. Es passiere sehr oft, dass die Fahrzeuge sich gegenseitig im Weg stünden und dann hupten, um Platz gemacht zu bekommen, wie der Fernsehsender „CNN“ berichtete.

Auch eine andere Veränderung des Stadtbildes, die in manchen Stadtteilen der USA bereits Normalität ist, könnte auf Luxemburg zukommen: Lieferroboter, die zum Beispiel Essensbestellungen austeilen. Im Podcast „Tech won’t save us“ berichtete die Journalistin Joanne McNeil darüber, wie diese Bürgersteige versperrten und durch ein aggressives Fahrverhalten Fußgänger*innen verunsicherten. Diese Entwicklung gefällt nicht allen – und neben Graffiti gibt es laut McNeil noch eine andere Form des Widerstandes: Beutel mit Hundekot werden auf die Roboter gelegt.

Wie sich das automatisierte Fahren in Luxemburg entwickeln wird, ist schwer vorherzusehen. Klar ist, dass die Technologiefirmen, die „selbstfahrende Autos“ versprechen, oft tricksen müssen, um diese Illusion aufrechtzuerhalten – und wohl wenig dazu beitragen, real existierende Verkehrsprobleme zu lösen. Aber das will die Luxemburger Regierung ja ohnehin nicht, wie ihre Strategie verdeutlicht. Wichtig ist vor allem, dass die entsprechenden Firmen sich im Großherzogtum niederlassen und von dem schönen Wetter hierzulande profitieren.

Wie „Pony.ai“ nach Luxemburg kam
Ob Luxemburg oder das Technologieunternehmen „Pony.ai“ zuerst Interesse an einer Zusammenarbeit angemeldet hat, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass Außenminister Xavier Bettel und Wirtschaftsminister Lex Delles (beide DP) am 6. März 2024 in die USA gereist sind, um sich mit allerlei Firmenchefs im Silicon Valley zu treffen. Ganz oben auf der Liste stand dabei tatsächlich Pony.ai. Die beiden Regierungsvertreter unterzeichneten ein „Memorandum of Understanding“. Nur wenige Monate später, am 13. September 2024, wurde „Pony.ai Europe S.à.r.l“ mit Sitz in Esch gegründet. Einziges Gründungsmitglied war die Firma „Pony AI Inc.“ – allerdings nicht mit Sitz in den USA, sondern auf den Kaimaninseln.

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