Back to Office: Wie sich die Arbeitswelt weiterdreht

Monate im Homeoffice, dann zurück ins Büro: Psychische und technische Probleme sowie Fragezeichen in Sachen Arbeitsrecht belasten die Betroffenen. Die Chefetagen entscheiden, das Ministerium für Soziale Sicherheit pennt.

Wer zurück ins Büro muss, entscheidet in den meisten Fällen die Chefetage. 
Eine Rücksprache mit den Angestellten gibt es oft nicht. (CC BY Quinn Dombrowski SA 2.0
)

„Ich fahre ins Büro, um acht Stunden aus dem Fenster zu starren“, sagt Margot*, „weil mein Büro für die neuen Arbeitsabläufe nicht ausgestattet ist. Der Mehrwert, dass ich vor Ort bin, liegt bei Null.“ Margot arbeitete während der Ausgangssperre ausschließlich von zuhause aus. Sie ist nicht die Einzige: Nach einer Umfrage des Statec arbeiteten zwischen Anfang April und Ende Mai dieses Jahres 48 Prozent der 2.000 Befragten komplett und 21 Prozent gelegentlich im Homeoffice. Wegen der Lockerungen der Ausgangssperre hieß es für viele: zurück zum Arbeitsplatz.

Während manche gar nicht erst von zuhause aus arbeiten konnten, andere dem Verlassen des Homeoffice freudig entgegenfiebern und freiwillig zurück ins Büro wollen, stellt der Übergang andere Menschen vor Probleme. Margot spricht von Panikzuständen. Annie*, Beamtin, und Lara*, Grafikerin, berichten von fehlenden Sicherheitsvorkehrungen und mangelhafter Kommunikation zwischen Chefetage und Personal. Die Gewerkschaften sorgen sich um das Arbeitsrecht und warnen vor existenziellen Notsituationen aufgrund fehlender Gesetzgebung.

Menschlichkeit? Überbewertet.

Margot plagten vor ihrem ersten Arbeitstag im Büro, über den sie im Vorfeld per Mail informiert worden war, Übelkeit und Panik. Zustände, die sie so nicht von sich kennt. Vor Ort nahm das Unwohlsein zu und es hält an. Margot hat keine Angst, sich anzustecken. Ihre Arbeitgeber*innen haben sich bemüht adequate Hygiene-
maßnahmen umzusetzen sowie Verhaltensregeln aufzustellen. Die Belegschaft wurde etappenweise zurück ins Büro diktiert. Margot fühlt sich jedoch mit der Gesamtsituation überfordert und alleine gelassen. Der Ausnahmezustand der letzten Monate hat sie mehr zermürbt, als sie anfangs dachte. „Hätte mich jemand gefragt, ob ich psychisch bereit dazu bin, wieder vom Büro aus zu arbeiten: Ich hätte ‚Nein‘ gesagt“, versichert sie. „Nur interessiert das niemanden.“

Ihr Arbeitsplatz wurde zudem, wie schon erwähnt, nicht an die neuen Aufgaben angepasst: Margot fährt für die von der Unternehmensleitung empfohlenen Videokonferenzen heim – ihr Arbeitscomputer hat keine Webcam. Neues Material lässt auf sich warten. Andere Software, die inzwischen für diverse Arbeitsabläufe notwendig ist, funktioniert ebenfalls nur auf ihrem privaten Rechner. Margot will arbeiten – aber das läuft inzwischen besser von zuhause aus als vor Ort. Auch geht aus der Statec-Studie hervor, dass Heimarbeiter*innen im Schnitt mehr als 40 Stundenwochen arbeiteten. Ob das gesund ist, sei dahingestellt. Es beweist allerdings, dass Home-
office nicht gleich Faulenzen auf dem Sofa ist. „Ich habe das Gefühl, ich sitze im Büro, damit mein Arbeitgeber mich kontrollieren kann“, sagt Margot. Auf die Frage, warum sie sich mit ihrem Unwohlsein nicht an das Personalbüro wendet, antwortet sie: „Ich will, dass unser Verhältnis professionell bleibt. Es wird vorweg genommen, dass niemand ein Problem mit der Situation hat. Ich möchte mich nicht bloßstellen, indem ich zugebe, dass ich nicht damit klarkomme so zu tun, als sei die letzten Monate nichts vorgefallen.“

In Gesprächen mit Annie und Lara ergibt sich ein ähnliches Bild: Wer wann zurück ins Büro musste, wurde in den jeweiligen Unternehmen und Institutionen von der Chefetage entschieden, ohne Austausch mit den Betroffenen. Auf Risikogruppen, Krankschreibungen und Beschäftigte, die Sonderurlaub beantragt haben, wurde Rücksicht genommen. Alle anderen wurden per Rundmail über den Neustart in Kenntnis gesetzt. Nur in Margots Unternehmen fand im Vorfeld eine digitale Infoveranstaltung im Beisein einer Ärztin statt, die über Corona aufklärte. Raum für individuelle Diskussionen bot die Veranstaltung allerdings nicht. In keinem der Betriebe wurde gemeinsam überlegt, für wen Homeoffice aus diversen Gründen auch weiterhin die bessere Option sein könnte und wie es nach der Isolierung um das Wohl der Beschäftigten steht.

Erschreckend ist auch, dass man es in staatlichen Institutionen mit dem Schutz des Personals nicht immer so genau zu nehmen scheint. „Morgens lagen Atemmasken und Desinfektionsmittel kommentarlos auf meinem Büro“, sagt die Beamtin Annie. Ihre Abteilung empfängt Besucher*innen. „Wir mussten selbst für weitere Sicherheitsmaßnahmen sorgen. Die Direktion hat sich weder um eine Plexiglasscheibe noch um Markierungen zur Einhaltung der 2-Meter-Reglung oder um separate Tische für die Besucher gekümmert, damit sie ihre Dokumente bearbeiten können. Von der Direktion kam nichts: kein Interesse, keine konkreten Informationen vor, während oder nach der Ausgangssperre. Das Reinigungspersonal ist deutlich einfühlsamer: Es sorgt rund um die Uhr für Sauberkeit, hat immer ein liebes Wort – Respekt.“ Annie hat an sich kein Problem mit dem Übergang, trotzdem vermisst auch sie vonseiten der Direktion ein gewisses Maß an Menschlichkeit. Sie hätte sich gewünscht zumindest die Möglichkeit zu haben, sich mit ihren Vorgesetzten über die letzten Monate auszutauschen anstatt stillschweigend wieder in Vollzeit arbeiten zu gehen. Aus all dem lässt sich ableiten, dass es vielerorts nach wie vor tabu ist, im professionellen Kontext über den Menschen hinter der Arbeitskraft zu sprechen. Die muss vor allem eins: funktionieren. Doch was, wenn das beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen unmöglich ist?

Existenzängste und Ungewissheit

Die Gewerkschaft LCGB verweist in dem Kontext auf Arbeitnehmer*innen, die zur Risikogruppe gehören. „Laut dem geltenden Verfahren müssen gefährdete Personen dem Arbeitgeber ein von ihrem behandelnden Arzt ausgefülltes Attest über die Risikogruppenzugehörigkeit übermitteln. Der Arbeitgeber muss daraufhin den Arbeitsmediziner über die Risiken einer COVID-19-Infektion hinsichtlich der Arbeitsbedingungen informieren“, schreibt der LCGB in einer Stellungnahme. Ist es unmöglich, den Arbeitsplatz gemäß dem Befund der Arbeitsmediziner*innen anzupassen oder auf Telearbeit umzusatteln, droht den Angestellten der Rausschmiss oder der Verlust des Gehalts. Sie können weder arbeiten, noch haben sie Anspruch auf Krankengeld, da sie nicht krankgeschrieben sind.

Die vertrackten Prozeduren in puncto Arbeitsunfähigkeit und Krankengeld waren bereits vor der Krise ein Problem. Nun spitzt sich die Situation zu. Die Gewerkschaft fordert deshalb die Einführung einer gesetzlichen Pflicht für Arbeitgeber*innen, damit sie gefährdete Angestellte, die arbeitsunfähig erklärt wurden, von der Arbeit freistellen – und das unter Beibehaltung des Gehalts, das durch den Beschäftigungsfonds zurückerstattet werden könnte. „Die einzige Rückmeldung, die wir vonseiten des Ministeriums für Soziale Sicherheit erhalten haben ist, dass man sich der Problematik bewusst ist“, sagt Christophe Knebeler, beigeordneter Generalsekretär des LCGB, der woxx. „Konkrete Lösungsvorschläge oder politischer Wille, schnell was an der Situation zu ändern, sind momentan nicht erkennbar.“

Ein weiteres Problem, mit dem die Gewerkschaft derzeit konfrontiert wird: Die Ungewissheit über die steuerliche Behandlung von Grenz-
gänger*innen. Berufspendler*innen durften vor Ausbruch der Pandemie nur eine begrenzte Anzahl an Arbeitstagen von ihrem Wohnsitz aus arbeiten, ohne dort Steuern zu zahlen. Die Reglungen wurden während der sanitären Krise aufgehoben, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Das entsprechende Abkommen zwischen Belgien und Luxemburg endet am 30. Juni, kann aber monatlich verlängert werden. Wie es mit Frankreich und Deutschland aussieht, ist unklar. „Wir wollen, dass die Regierung dauerhafte Reglungen mit den Nachbarländern ausarbeitet, was die Besteuerungsgrenzen und das Thema Sozialversicherung betrifft“, sagt Knebeler.

Public Domain, www.pickpik.com

Auch auf nationaler Ebene stehen arbeitsrechtliche Fragen offen. Ein Großteil der Betriebe verzichtete während der Ausgangssperre darauf, die Heimarbeit vertraglich zu regeln. Margot hat inzwischen einen entsprechenden Zusatz zu ihrem Arbeitsvertrag erhalten, in dem die Modalitäten der Telearbeit festgehalten sind. Sie darf vereinzelte Tage die Woche von zuhause aus arbeiten. Bei Annie und Lara, denen die Option der Heimarbeit gar nicht erst angeboten wurde, sieht das anders aus: An ihren Arbeitsverträgen hat sich nichts geändert, dabei haben beide während der Ausgangssperre in Teilzeit von zuhause aus gearbeitet. „Es stellt sich die Frage, ob rückwirkend ein Vertragszusatz ausgestellt werden muss“, sagt Knebeler, „um etwaigen Problemen nach Ablauf des Ausnahmezustands aus dem Weg zu gehen.“

Der LCGB verlangt generell eine Überarbeitung der Reglungen der Heimarbeit, um diese an die aktuelle Situation anzupassen. Wichtig seien unter anderem das Recht auf Unerreichbarkeit und eine Reglung zum Schutz vor Überwachung durch die Arbeitgeber*innen. Der Conseil économique et social (CES) will demnächst eine Bilanz zur Telearbeit zu Corona-Zeiten ziehen. Der LCGB erhofft sich davon klare Strukturen für die Telearbeit der Zukunft. Die Gespräche mit Angestellten aus Privatunternehmen und einer öffentlichen Institution legen nahe, dass darüber hinaus Diskussionen über hierarchische Unternehmenskultur und leistungsorientierte Arbeitswelt geführt werden müssen. Die sanitäre Krise zeigt nämlich vor allem eins auf: die emotionalen, gesundheitlichen und psychischen Grenzen des Menschen, die nicht ignoriert werden dürfen.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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