Im Kino: If Beale Street Could Talk

„If Beale Street Could Talk“ soll sowohl ein Film über Rassismus als auch ein überlebensgroßes Liebesdrama sein. Trotz hervorragender Schauspieler*innen und wunderschöner Bildsprache geht die Rechnung aber nur bedingt auf.

Tish und Fonny stehen symbolisch für die von Rassismus bedrohte Unschuld und Gutmütigkeit. (© 2018 Annapurna Pictures)

Ein junger Mann namens Daniel (Brian Tyree Henry) sitzt im Wohnzimmer seines besten Freundes. Vor kurzem wurde er nach zweijähriger Haft entlassen, eine Erfahrung, die ihn nachhaltig traumatisiert hat. “The white man has got to be the devil. He sure ain’t a man”. Als Daniel mit diesem Satz seinen Eindruck auf den Punkt bringt, ist das kein Ausdruck von Abscheu oder Hass, sondern von Fassungslosigkeit: Daniel versteht einfach nicht, wie Menschen zu dem fähig sein können, was sie ihm im Gefängnis angetan haben. Es ist ein Moment, der unter die Haut geht, wie kaum ein anderer in „If Beale Street Could Talk“. In dieser Szene gelingt Regisseur und Drehbuchautor Barry Jenkins, was er mit dem Rest des Films zwar scheinbar anstrebt, letztlich jedoch verfehlt.

Denn nicht Daniel ist die Hauptfigur des Films, sondern die 19-jährige Clementine „Tish“ Rivers (KiKi Layne) und der 22-jährige Alonzo „Fonny“ Hunt (Stephan James). Die beiden kennen sich schon von Kindesbeinen an und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie als Teenager ein Paar wurden. Doch dann wird Fonny wegen Vergewaltigung angezeigt. Während er in Untersuchungshaft sitzt, stellt Tish fest, dass sie schwanger ist und sie, ihre Mutter (Regina King) und ihre Schwester (Teyonah Parris) versuchen alles Erdenkliche, um Fonnys Unschuld zu beweisen.

In seinem ersten Film nach „Moonlight“ (2016) verbringt Jenkins viel Zeit damit, dem Publikum nahezubringen, wie stark die Liebe ist, die Fonny und Tish füreinander empfinden. „Liebe bedarf keiner Worte“ scheint die Botschaft zu lauten, wenn sich die beiden in den zahlreichen Rückblenden minutenlang tief in die Augen starren. Jenkins vergisst dabei, dass überlebensgroße Liebe füreinander nicht ausreicht, um zwei Figuren interessant werden zu lassen. Denn so fasziniert die beiden auch voneinander sind – was ihre Beziehung so besonders macht, bleibt fürs Publikum bis zuletzt ein Mysterium.

Jenkins geht es ohne Zweifel darum, das Tragische an der Situation zu betonen. Er scheint uns vermitteln zu wollen, dass struktureller Rassismus selbst vor solch durch und durch guten Menschen keinen Halt macht. Das Publikum soll zu keinem Moment an Fonnys Unschuld zweifeln, doch wird bei der entsprechenden Argumentation vergessen, dass wir inzwischen 2019 schreiben und nicht 1974: Das Publikum weiß um den strukturellen Rassismus des Rechtssystems, es weiß aber auch, dass Aussagen wie „Ich kenne Fonny, er würde nie jemanden vergewaltigen“ nicht allzu viel Gewicht beigemessen werden sollte. Eine zentrale Botschaft von MeToo lautet, dass potenziell jeder Mann sexuell gewalttätig werden kann, nicht nur misogyne, unattraktive Grobiane.

„If Beale Street Could Talk“, der auf dem gleichnamigen Roman von James Baldwin basiert, ist sowohl eine Romanze als auch ein Film, der rassistische Strukturen anprangert. In der von Jenkins präsentierten Verflechtung funktioniert jedoch keiner der beiden Aspekte so recht. Einige Elemente und Szenen überzeugen zwar an und für sich durchaus, diese fügen sich jedoch nicht zu einem kohärenten Ganzen zusammen. Die Relevanz des Films ergibt sich letztendlich vor allem daraus, dass Geschichten wie diese nur äußerst selten auf der großen Leinwand zu sehen sind. Mit einem Meisterwerk wie „Moonlight“ lässt sich „If Beale Street Could Talk“ allerdings nicht vergleichen.

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Bewertung der woxx : XX


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