Bauernproteste: Stunk um den Green Deal

Die Demonstrationen der Bauern und Bäuerinnen halten unvermindert an. Neben den je nach Land unterschiedlichen Gründen für den Protest richtet sich dieser gegen ökologische und klimapolitische Maßnahmen auf EU-Ebene.

Auch am vergangenen Dienstag haben es die Bäuer*innen in Brüssel bei Protesten anlässlich eines Treffens der EU-Agrarminister wieder ordentlich krachen lassen: Anders als die Klimaaktivist*innen werden sie nicht des Terrorismus bezichtigt. Das liegt unter anderem daran, dass sie zur traditionellen Klientel der Christdemokratie gehören. (Foto: EPA-EFE/OLIVIER MATTHYS)

Seit Monaten gibt es Demonstrationen von Landwirt*innen in fast allen EU-Ländern, unter anderem in Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Irland, Lettland, Spanien, Polen, Portugal, Rumänien, Tschechien und der Slowakei. Die Anlässe sind unterschiedlich, es gibt aber grundsätzliche Probleme, die in allen EU-Ländern zu Unzufriedenheit führen. Viele Bäuer*innen erzielen zu niedrige Preise, teilweise, beispielsweise bei Milch, sogar unter den Herstellungskosten. Außerdem schwanken die Preise stark. 2022 profitierten viele Betriebe von der Inflation, doch seit Frühjahr 2023 fallen die Preise für Nahrungsmittel wieder. Die internationalen Getreidepreise haben mittlerweile wieder das Niveau der Zeit vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine erreicht. Die Landwirt*innen setzt das unter Druck.

Der EU-Agrarmarkt ist ein Zwitter: Einerseits herrschen auf ihm harte Konkurrenz und Exportorientierung auf den Weltmarkt, sodass ständig Höfe aufgeben müssen, die nicht mithalten können; andererseits ist der Markt stark reguliert und die Produzent*innen werden staatlich gefördert, sodass Landwirt*innen 40 bis 60 Prozent ihres Einkommens aus Subventionen beziehen. Das stärkt die heimischen Produzent*innen gegenüber der internationalen Konkurrenz und sorgt dafür, dass Lebensmittel für Konsument*innen in der EU vergleichsweise günstig bleiben. Gleichzeitig fördert es Exporte, beispielsweise von Hühnerteilen nach Afrika, sodass dort Geflügelzucht unrentabel wird.

Bislang werden die EU-Subventionen nach der Flächengröße ausgeschüttet, Betriebe mit viel Land streichen das meiste Geld ein, aber auch Grundbesitzer, die ihr Land verpachten. Viele kleine und mittlere Betriebe sind hingegen überschuldet. Die Einkommen der meisten Bäuer*innen sind – verglichen mit Facharbeiterlöhnen – gering, die Rente niedrig, dafür sind die Arbeitszeiten übermäßig lang und Urlaub ist in der Regel nicht vorgesehen. Der enorme Druck führt bei vielen Bäuer*innen zu Depressionen und Burn-out bis hin zum Selbstmord. In Frankreich wurde darüber eine Statistik erstellt, demnach nahmen sich 2017 jeden Tag zwei Bauern, in der Regel Männer, das Leben. Die Suizidrate lag 50 Prozent höher als im Durchschnitt.

Ein jüngeres Problem sind die gestiegenen Einfuhren von Getreide vor allem aus der Ukraine. Nach dem russischen Einmarsch hat die EU Einfuhrzölle für ukrainische Agrarprodukte ausgesetzt, was insbesondere Landwirt*innen in Osteuropa auf die Barrikaden treibt.

Ein weiteres Ärgernis ist das geplante Mercosur-Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Ländern, das der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) zum Wohle des deutschen Industriekapitals forciert, während Bäuer*innen etwa in Frankreich protestieren, weil sie noch mehr Billig- importe befürchten. Umwelt- und Menschenrechtsgruppen kritisieren das Abkommen, weil es dazu führen werde, dass Großgrundbesitzer*innen in Südamerika noch mehr Klein- bäuer*innen von ihrem Land vertreiben und Regenwald roden, um die Flächen für Soja- und Maisanbau oder Viehzucht auszuweiten. In Spanien sind Importe von Tomaten aus Marokko und der Türkei für Landwirt*innen ein Problem, während französische Bäuer*innen wiederum Lastwagen aus Spanien angriffen und deren Ladung – Agrarexportgüter – auf die Straße warfen. In Griechenland kämpfen Bäuer*innen mit Überschwemmungen und Dürre und fordern Geld von der Regierung.

In den Niederlanden spitzt sich der Streit wegen einer Landwirtschaftspolitik zu, die eine Katastrophe für die Umwelt und die Tiere ist. Das kleine Land ist der größte Fleischexporteur Europas und der drittgrößte Agrarexporteur des Planeten. Die Massentierhaltung führte zu einer starken Überdüngung der Böden. Dieser „Stickstoffkrise“ wollte die Regierung entgegenwirken, indem sie mehrere Tausend Viehzuchtbetriebe zu Preisen über dem Marktwert aufkauft und schließt (siehe „Stunk um Stickstoff“ in woxx 1557); allerdings wollen gerade die größeren Unternehmen nicht von ihrer Fleischproduktion lassen. Der Konflikt tobt schon länger und der Protest der Landwirt*innen gegen die Pläne der Regierung führte 2019 zur Gründung einer neuen rechtslastigen Bauernpartei, die „Boer-Burger-Beweging“ (Bauer-Bürger-Bewegung, BBB; siehe „Macht der Gewohnheit“ in woxx 1761).

An der prekären Lage vieler Landwirt*innen werden auch die ihnen jüngst gemachten Zugeständnisse wenig ändern.

Neben diesen je nach Land unterschiedlichen Ursachen für den Protest richten sich viele Demonstrationen gegen ökologische und klimapolitische Maßnahmen auf EU-Ebene. Als Teil des 2019 von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) verkündeten European Green Deal sollten CO2-Emissionen in der Landwirtschaft, der Eintrag von Pestiziden und Stickstoff gesenkt und der Artenschutz verbessert werden. Anstatt Subventionen nur nach Fläche zu verteilen, sollten ansatzweise auch Umwelt- und Tierschutzbelange berücksichtigt werden, was allerdings nicht im Interesse vieler Betriebe liegt.

Inzwischen haben viele Regierungen Zugeständnisse gemacht. Die französische Regierung kündigte die Zahlung von 150 Millionen Euro an Viehhalter und 80 Millionen an Winzer an, Premierminister Gabriel Attal versprach, das Mercosur-Abkommen nicht zu unterzeichnen und genauer zu kontrollieren, ob große Supermärkte ein bestehendes Gesetz einhalten, das heimischen Bäuer*innen höhere Preise für Nahrungsmittel sichern soll. Die griechische und die tschechische Regierung stellten finanzielle Hilfe in Aussicht, Portugal will vor allem für Landwirt*innen im Süden, die besonders von Dürre betroffen sind, 500 Millionen Euro ausgeben. Die Ampelkoalition in Deutschland wird die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirt*innen doch nicht aufheben und die für den Agrardiesel schrittweise bis 2026 auslaufen lassen, anstatt sie sofort zu streichen.

Die EU-Kommission hat Anfang Februar ihren Vorschlag für eine Verordnung zur Reduzierung des Pestizideinsatzes zurückgezogen. Bereits eingeführte Umweltauflagen will die EU lockern. Beispielsweise sollten ab 2023 alle Landwirt*innen in der EU verpflichtet sein, vier Prozent ihrer Fläche brachliegen zu lassen, um die Artenvielfalt zu steigern (siehe „Zwischen Protektionismus und Gigantismus“ in woxx 1773). Diese Regel wurde schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs ausgesetzt. In Zukunft soll die Vorgabe ganz aufgehoben werden, stattdessen sollen Landwirt*innen, die Flächen stilllegen, mit Fördergeldern belohnt werden.

Für Betriebe, die viele einzelne Parzellen bewirtschaften, wäre der Aufwand nach der bisherigen Regelung in der Tat hoch gewesen. Auch der ökologische Nutzen war zweifelhaft, weil die Stilllegung nur auf jeweils ein Jahr befristet war. Besser wäre ohnehin, wenn auf der gesamten Fläche weniger intensiv gewirtschaftet werden würde, argumentiert der Agrarwissenschaftler Onno Poppinga im Gespräch mit der woxx. Poppinga ist Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, in der vor allem kleinere Betriebe organisiert sind.

Ein weiterer Vorwurf der Bäuer*innen richtet sich gegen den wachsenden bürokratischen Aufwand. Dass Subventionen nur fließen, wenn kontrolliert wird, dass die Betriebe die Bedingungen erfüllen, ist im Prinzip richtig. Allerdings würden die bürokratischen Anforderungen immer umfangreicher und komplizierter werden und seien kaum noch zu erfüllen, sagt Poppinga. Die Düngerbedarfsermittlung, also die Berechnung, wie viel Phosphat und Stickstoff die Pflanzen benötigen, müsse beispielsweise jeder Hof für jede Parzelle jedes Jahr aufs Neue vornehmen. Die EU-Kommission hat nun angekündigt, auf die Kontrolle von kleinen Betrieben mit maximal zehn Hektar zu verzichten.

Die von deutschen Bäuer*innen begonnene Taktik, mit Traktoren, Misthaufen und Gülle Straßen zu blockieren, hat in Europa Schule gemacht. In Frankreich versuchte die Regierung, mit Polizeisperren zu verhindern, dass aus dem Umland kommende Kolonnen Städte wie Paris oder Lyon blockieren, doch die Bäuer*innen umfuhren die Panzerfahrzeuge der Polizei mit ihren Treckern. Allein im Januar kam es in diesem Zusammenhang zu Dutzenden Festnahmen. In Brüssel lieferten sich Landwirt*innen aus Belgien, Deutschland und Frankreich auch in dieser Woche wieder regelrechte Straßenschlachten mit der Polizei – Anlass war ein Treffen der EU-Agrarminister am vergangenen Dienstag. Im deutschen Bundesland Brandenburg kippten sie Gülle und Mist auf einen mehrere Hundert Meter langen Streckenabschnitt einer Bundesstraße, mindestens zwei Fahrzeuge fuhren in die Hindernisse, dabei wurden fünf Menschen verletzt.

Dass die Bäuer*innen dennoch von Politiker*innen nicht des Terrorismus bezichtigt werden, liegt unter anderem daran, dass sie zur traditionellen Klientel der Christdemokratie gehören, die man nicht vergrätzen will. Darüber hinaus genießen die Proteste laut Umfragen große Sympathie in der Bevölkerung, anders etwa als der Streik der Lokführer*innen in Deutschland. Dass EU-Kommission und nationale Regierungen politische Zugeständnisse am laufenden Band machen, statt Polizei und Justiz von der Leine zu lassen wie gegen Klimaaktivist*innen, dürfte wohl vorrangig mit der Europawahl im Juni zu tun haben, bei der ein Erstarken der extremen Rechten droht. Von der Leyen ist Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP), des Zusammenschlusses christdemokratischer Parteien. Sie hat etliche Elemente des von ihr vertretenen europäischen Green Deal inzwischen zurückgenommen, nicht nur in der Landwirtschaft.

An der prekären Lage vieler Landwirt*innen werden all diese Zugeständnisse jedoch wenig ändern, die Widersprüche einer exportorientierten kapitalistischen Landwirtschaft bleiben: Großbetriebe sind im Vorteil und Subventionen für Diesel können den Konkurrenzdruck durch billige Agrarimporte, die aufgrund der Freihandelsabkommen steigen, nicht kompensieren. Und ohne eine ökologische Kursänderung wird Landwirtschaft im großen Stil durch die Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit in Zukunft unmöglich werden.

Peter Bierl ist freier Journalist und Buchautor.

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