Corona: Drehen am Panik-Rad

Ein Facebook-Appell, zuhause zu bleiben, liefert Gründe für vernünftiges Verhalten … und für Panikreaktionen. Was an der Wortmeldung von zwei Ärzten gut gemeint, und was schlecht ausgedrückt war.

Wikimedia; John; CC BY-SA 2.0

„[Dies ist] ein absoluter Alarmruf, dass alle Leute zuhause bleiben sollen. Sonst tritt das Worst-Case-Szenario ein, und das heißt, viele Menschen können nicht adäquat behandelt werden und sterben.“ Am Montagabend machte dieser Appell von zwei Ärzten aus den „Hôpitaux Robert Schuman“ auf Facebook die Runde. Er wurde heute morgen von den Medien aufgegriffen und sorgt für große Aufmerksamkeit – zweitmeistgelesener RTL-Online-Beitrag hinter dem Corona-Liveticker. Der Alarmruf ist sonder Zweifel gut gemeint, die Absicht ist, die Bevölkerung wachzurütteln und vom Ernst der Lage zu überzeugen.

Die Wirkung allerdings könnte eine andere sein. Zum einen deutet der Facebook-Post an, die offiziellen Aussagen würden die Bevölkerung täuschen: „Wir müssen euch leider sagen, dass das alles nicht ausreicht …“, heißt es in dem Appell, und, noch deutlicher: „Leider können wir keine mit Weichspüler getränkte Nachricht durchgeben, denn damit würden wir euch alle belügen und das wollen wir nicht.“

Alle auf die Intensivstation?

Zum anderen enthält der Text eine missverständliche Formulierung, die von Panikmacher*innen aufgegriffen werden könnte: Es heißt darin, ein großer Teil der Bevölkerung könne zeitgleich erkranken – was tatsächlich ein Risiko ist – „müsste dann intensivmedizinisch betreut werden“. Das ist in dieser Form falsch, denn nur ein Teil der Erkrankten benötigt Betreuung und von diesen ist wiederum nur ein geringer Anteil auf die knappen Ressourcen der Intensivstationen angewiesen. Was die beiden Ärzte wohl sagen wollten: Wenn viele erkranken, reicht auch dieser geringe Anteil schon, um die Kapazitäten zu sprengen.

Wer eine pädagogische Erklärung sucht, kann sich dieses Video über den Zusammenhang zwischen unserem Verhalten, den Erkrankungen und den medizinischen Ressourcen ansehen:

Natürlich haben die Autoren des Appells recht, wenn sie die Bevölkerung aufrufen, unvernünftiges Benehmen abzustellen, sich die Ansteckungsgefahr nicht schönzureden und möglichst viel zuhause zu bleiben. Klar ist auch, wer sich draußen bewegt, sollte möglichst systematisch seinen Mitmenschen aus dem Weg gehen und die Hygieneregeln beachten. Ob es aber von kritischer Wichtigkeit ist, auf Waldspaziergänge zu verzichten und sich ganz auf Verpflegung durch Lieferdienste mit langen Wartezeiten umzustellen, sei dahingestellt. Entscheidend für die Vermeidung einer potenziellen medizinischen Krise ist der Schutz der Risikogruppen und damit insbesondere die Vorsichtsmaßnahmen im Gesundheits- und Pflegesektor.

Pendler*innen und Ausgangssperre

Und dann gibt es eine andere Bedrohung, auf die das Verhalten der Einwohner*innen Luxemburgs keinen direkten Einfluss hat: dass die Nachbarländer ihre Grenzen auch für Berufspendler*innen schließen, oder gar das in Luxemburg arbeitende Fachpersonal für die eigenen Bedürfnisse requisitioniert. Der ungeachtet des alarmistischen Titels lesenswerte Beitrag „Warum Luxemburgs Krankenhäusern der Kollaps droht“ von Reporter.lu geht neben dem Robert-Schuman-Appell auch auf diesen Aspekt ein.

Nicht zuletzt gibt es ein Risiko, das die Autoren des Appells unterschätzen: dass es zu Panik und Anarchie kommt, weil die Menschen den Institutionen nicht mehr vertrauen. Das könnte dann passieren, wenn die Regierung aus Ratlosigkeit eine absolute Ausgangssperre verhängte, und damit ihre eigenen Aussagen, Hamsterkäufe seien ungerechfertigt, widerrufen würde. Wortmeldungen wie die von Montagabend sollten, bei allen guten Absichten, darauf achten, die – derzeit weitgehend angemessene – Vorgehensweise der Regierung nicht mit Andeutungen und missverständlichen Formulierungen zu untergraben.

 

Appell im Wortlaut:

Léif Alleguerten,

Vu déi absolut Urgence vun der Situatioun hu mir eis zu dësem Message entscheet well mir als Urgentist an Anesthésiste-Réanimateur zesummen mat eisen Infirmiere a Fleegepersonal an der éischter Ligne an eise Klinicken wäerten stoen.

Leider kënne mer net ee mat Weichspüler gedränkten Message duerchginn, well dat wier Iech all belunn an dat wëlle mer net.

D’SITUATIOUN ASS MÉI WÉI KRITESCH! Dat wat op eis duerkënnt ka keen sech virstellen. Mee eis Analysen an d‘Informatiounen, déi mir aus Klinicken net wäit ewech vun hei kritt hunn, sinn dramatesch. Dozou kënnt, dass Material a Mëttel limitéiert sinn. Mir sinn eis bewosst dass déi Mesuren déi elo säit Mëtternuecht gëllen, deene meeschten drastesch erschéngen, an dat ass och verständlech. Mee mir mussen Iech leider soen dass dat alles net duergeet fir dass mer verhënneren, dass ee ganz groussen Deel vun der Populatioun mateneen krank gët, an dann intensivmedizinesch beträit muss ginn. Dat géifen dann weder eis Infrastrukturen, nach eis Ekippen packen.

Duerfir ass et vun eis en absolutten APPEL d’URGENCE dass d’Leit ALL DOHEEM BLEIWEN SOLLEN. Soss trëtt de worst-case Zenario an, an dat bedeit dann vill Leit déi net adequat behandelt kënne ginn a stierwen wäerten.

Mir sinn am gaangen all eis Kräften a Moyene ze sammelen an z’organiséieren, fir dass mer d’Ausgankssituatioun déi mer aktuell um Terrain hunn ze verbesseren: mir schwätzen do v.a. vu Material. Mee ouni d’Hëllef vun JIDDWERENGEM EENZELEN, VUN IECH ALL, packen mer dat esou net. All Dag deen net agehale gëtt, ass ee verluerenen Dag.

Duerfir: bleift ALL DOHEEM!!!

Dr. Emile Bock, urgentiste
Dr. Cyril Thix, anesthésiste-réanimateur
Hôpitaux Robert Schuman (HRS)

 


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