Obwohl die breite Bevölkerung unter den Auswüchsen des Systems leidet, hat die radikale Linke wenig Zulauf. Eine Analyse von Ursachen und Gegenmitteln vom Déi-Lénk-Mitglied Alain Sertic.
Die Parlamentswahlen im Oktober finden für die Linke in einer denkbar schlechten politischen Konjunktur statt. Viele negative Ereignisse sind in den letzten vier Jahren weltweit auf die Menschheit heruntergeprasselt, ohne direkte Aussicht auf eine schnelle Besserung. Die Hoffnung auf sozial gerechte Lösungen ist für viele Menschen derzeit nicht erkennbar, während diverse Krisen des Systems scheinbar unaufhaltsam voranschreiten und immer bedrohlicher werden.
Warum profitiert die radikale Linke nicht von den Krisen?
Der objektive Trend ist unübersehbar und er ist in ganz Europa mehr oder weniger der gleiche. Die Ursachen davon sind die wachsenden Widersprüche des Systems in Verbindung mit dem bisherigen Unvermögen der radikalen Linken, aus diesen Erschütterungen politische Kraft zu gewinnen. Dieses Versagen vollzog sich seit der Finanzkrise von 2008 auf mehreren Ebenen, in einem Zeitraum von immerhin 15 Jahren. Dabei wurden die Schwächen der „radikalen Linken“ in Europa für die breiten Schichten der Bevölkerung offensichtlich.
Um nur einige Beispiele zu erwähnen: die Übernahme der Regierungsmacht durch Syriza in Griechenland und die darauffolgende Kapitulation vor der EU-Troika, die Teilnahme von Podemos an der spanischen Regierung und ihre völlige Anpassung an die Sozialdemokratie, ebenso die Tolerierung der PS-Minderheitsregierung in Portugal durch den „Linksblock“ und die KP. Auch in Deutschland ist die Linke derzeit in der Regierung von drei Bundesländern vertreten, ohne dass dies weiter auffällt. Diese Erfahrungen haben der breiten Masse der Bevölkerung vorgeführt, dass die Exponenten der „radikalen Linken“ anscheinend weder über den Willen noch über die politische Fähigkeit verfügen, etwas am bestehenden System und seiner neoliberalen Grundausrichtung zu ändern. Man braucht sich also nicht über die allgemeine Enttäuschung und den Ansehensverlust als Hoffnungsträger für Veränderung zu wundern. Natürlich kann man keiner Luxemburger Partei die Verantwortung für die europäische Stimmungslage zuschieben, aber man hätte klar Stellung beziehen und Farbe bekennen müssen. Das wurde leider überall unterlassen. Keine Antwort ist eben auch eine Antwort.
Das gute Wahlprogramm ist nicht das Problem
Die Wahlprogramme von Déi Lénk sind in ihrem Inhalt einzigartig im Vergleich mit denen anderer Parteien, weil sie die Logik der profitorientierten Wirtschaft in vielem kritisieren und in Frage stellen, korrekte Alternativen aufzeigen und eine Menge richtige Forderungen formulieren. Im „Land“ vom 21. Juli schreibt man hingegen: „Tatsächlich ist das Programm der Linken weniger ‚revolutionär‘ als es den Anschein haben mag“. Stimmt, trotzdem ist es in seiner Gesamtheit radikal genug, um völlig unvereinbar mit dem vorherrschenden Konsens der Systemparteien und ihrer Logik zu sein, zu denen ausdrücklich auch LSAP und Grüne gehören. Das Wahlprogramm ist ganz einfach ein gutes linksreformistisches Wahlprogramm, was nach dem heutigen Zeitgeist gemeinhin als „aus der Zeit gefallen“ angesehen wird.
Allerdings werden diese korrekten Forderungen und Inhalte dann sofort wieder relativiert durch die Aussagen zugunsten einer „grundsätzlichen Bereitschaft, Verantwortung in einer Koalitionsregierung mit LSAP und Grünen“ zu übernehmen. Im Verständnis eines kritischen Wählers bedeutet das eindeutig, dass man bereit wäre, das Wesentliche dieses Programms über Bord zu werfen, um mit am Regierungstisch zu sitzen. Egal ob diese Option derzeit arithmetisch wie politisch-inhaltlich völlig ausgeschlossen ist, im Kontext der oben genannten negativen Beispiele genügt ein Minimum an politischem Durchblick, um die Bedeutung einer solchen Aussage zu verstehen.
Die Oktober-Wahl wird ein Wendepunkt werden
Nach dieser Wahl wird wohl feststehen, dass die Strategie eines linearen parlamentarischen Aufstiegs von Déi Lénk beendet ist. Eine interne Debatte über die Strategie, die interne Organisation und die praktische Ausrichtung wird notwendig. Die bisherige Überbewertung der Parlamentsarbeit und Präsenz muss auf ein nützliches Maß zurückgefahren werden. Gebraucht wird ein parlamentarisches „Spielbein“ neben einem außerparlamentarischen Standbein. Die Erkenntnis, dass es für die „großen Krisen des Kapitalismus fundamental keine parlamentarischen Lösungen gibt“, muss zu einem Grundsatz von Déi Lénk werden.
Eine prioritäre Hinwendung zur praktischen Basisarbeit ist darum unabdingbar, um in diesem Land politisch weiterzukommen. Dazu benötigen wir ein umfassendes „öko-sozialistisches Aktionsprogramm“ mit konkreten Leitlinien, um in den nächsten Jahren in dieser Gesellschaft aktive linke Politik betreiben zu können. Diese Umorientierung ist unerlässlich.