Seit 2012 begleitet der Dokumentarfotograf Patrick Galbats die Bewohner*innen des rumänischen Romadorfes Zece Prajini mit seiner Kamera. Nun hat er einige von ihnen in ihrer neuen Heimat Großbritannien besucht.
Laut Schätzungen des britischen „Office for National Statistics“ lebten im Jahr 2018 über 400.000 Rumän*innen in Großbritannien, also nahezu dreimal so viele wie noch 2013. Damit bilden sie dort die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe ohne britischen Pass, direkt nach den Pol*innen, aber noch vor den Menschen aus Irland und Indien. Im Großraum London, wo schätzungsweise 148.000 Rumän*innen leben, sind sie inzwischen sogar zahlreicher als die Zugezogenen aus Polen. Der bevorstehende Brexit ändert wenig an ihrer Entschlossenheit, im Land zu bleiben, im Gegenteil: Tag für Tag zieht es neue rumänische Migrant*innen ins Vereinigte Königreich.
Das Wirtschaftswachstum Rumäniens ist zwar eins der höchsten in der EU, doch steigt der Lohn dort ungleich langsamer als die schnell wachsenden Lebenskosten. Zumal in den ländlicheren Gegenden ist die Zahl derer, die sich Richtung Westen aufmachen, groß. Es gibt wenig Arbeit, und wenn doch, dann ist sie gering bezahlt. Eine Angestellte einer internationalen Supermarktkette in Roman im Nordosten des Landes verdient knapp dreihundert Euro im Monat. Eine Mietwohnung in der gleichen Stadt kostet aber bereits zweihundert Euro monatlich. In London liegt der Lohn für die gleiche Arbeit bei rund 1.500 Pfund. Auch die soziale Absicherung in Rumänien bleibt weit hinter dem Niveau Großbritanniens zurück.
Meine Bilder über die rumänische Diaspora in London entstanden im Herbst dieses Jahres und sind Bestandteil eines Langzeitprojektes über das Romadorf Zece Prajini im Nordosten Rumäniens. Seit 2012 begleite ich dessen Bewohner*innen, meist Berufsmusiker, auf Hochzeiten und andere Feste in ihrer Region.
Doch die Tendenz, nach Westeuropa auszuwandern ist auch in dem Fünfhundert-Seelen-Dorf steigend. Standen zunächst Italien und Spanien hoch im Kurs, scheint nun Großbritannien das Zielland Nummer eins geworden zu sein. Wegen der andauernden Diskriminierung fällt es der Romabevölkerung Rumäniens weiterhin schwer, bezahlte Arbeit zu finden. Mein Anliegen war es, mir bekannte Roma aus der Region Moldova in London aufzusuchen und bei ihrem Lebens- und Berufsalltag zu fotografieren. Dabei stieß ich auf eine Gruppe von interessanten Menschen, die die Kultur und die Traditionen Rumäniens in ihrer neuen Heimat England weiterleben.
Calin und seine Frau Ioana haben in Rumänien alles aufgegeben und sind vor kurzem mit Sohn und Großmutter nach London gezogen. Der Verkauf ihres Hauses in Bukarest ermöglichte es ihnen, die Miete für ein Jahr im Voraus zu bezahlen. Bis sie ihre Mietwohnung beziehen können, sind sie bei Freunden untergekommen. Ihr ganzes Hab und Gut befindet sich in 52 Pappkartons.Geburtstagsfeier im rumänischen Restaurant „Hollywood“ in Edgware im Norden von London.Zwei rumänische Mädchen bereiten sich zu Hause für die Halloween-Nacht vor.Die „Jungs” (auf Rumänisch: „Baieti“) aus der Taraf sind meistens guter Laune, wenn sie bei Geany und Bogdan proben.Felix, der Keyboarder, kommt ursprünglich aus dem Musikerdorf Zece Prajini in der Region Moldova. Vor fünf Jahren ist er mit seiner Familie von Bukarest nach London gezogen. Seitdem spielt er an Wochenenden in einer Taraf, einem Ensemble von Romamusikern, rumänische Unterhaltungsmusik in verschiedenen Restaurants im Nordosten von London.
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