„Unsere Geschichte wurde lange genug von anderen erzählt. Jetzt nehmen wir unsere Position ein, um unsere eigene Sicht darzustellen.“

Das Centre de documentation sur les migrations humaines (CDHM) und die Organisation Finkapé laden am kommenden Samstag zur Videokonferenz der Serie „Le Noir du Blanc“ ein. Das Thema: „Imaginaires anciens, réalités actuelles dans les musées et dans les expositions, au Luxembourg et ailleurs“. Jennifer Lopes Santos, Mitbegründerin von Finkapé und freischaffende Künstlerin, sprach im Vorfeld mit der woxx über die Repräsentation des schwarzen Körpers in der Kunst, Mehrfachdiskriminierung im Kulturbereich und fahlen Lichtblicken.

Die freischaffende Künstlerin Jennifer Lopes Santos ist Mitbegründerin der Organisation Finkapé, die vor allem für afrikanische Kultur sensibilisiert und ein Netzwerk für Menschen afrikanischer Abstammung schafft. Bildquelle: Jennifer Lopes Santos

woxx: Frau Lopes Santos, Sie nehmen am Samstag an der der Videokonferenz zur Repräsentation afrikanischer Kultur, Künstler*innen und dem schwarzen Körper in Museen teil. Sie selbst sind freischaffende Künstlerin mit familiären Verbindungen zu den Kapverden. Wie erleben Sie die Situation?

Jennifer Lopes Santos: Ich muss sagen, dass ich persönlich bisher großes Glück hatte. Es entstehen erste Kooperationen mit Institutionen. Es besteht ein Interesse daran, den Blick der Frau und der schwarzen Künstlerin auf Kunst in die Diskussionen einzubinden.

Von wem kommt die Initiative?

Als eine der vier Mitbegründerinnen von Finkapé kümmere ich mich um die Kulturvermittlung und stelle auch eigene Projekte auf die Beine. Wir warten nicht, bis wir angesprochen werden. Für die kommenden zwei Jahre habe ich unter anderem ein Ausstellungsprojekt „BRAIDED IDENTITIES“ mit dem CDHM geplant, bei dem vier afrikanische Künstler ihre Werke zeigen. Bei „Esch 2022“ präsentiere ich mit einer Gruppe aus Afrika stammender Künstler das Projekt „Papaya“, das eine afro-feministische und de-koloniale Richtung einschlägt. Unsere Geschichte wurde lange genug von anderen erzählt. Jetzt nehmen wir unsere Postion ein, um unsere eigene Sicht darzustellen. Es kommen aber auch immer mal wieder Organisationen auf mich zu, wie beispielsweise das Zentrum CID Fraen an Gender.

Ein andauerndes Thema in Museumskreisen ist die Rückgabe von Raubkunst im Kontext des Kolonialismus. Wie stehen Sie dazu?

Ich finde es wichtig, dass es de-koloniale Postionen gibt und über die Rückgabe gesprochen wird. In Brüssel, wo ich derzeit wohne, fordern einige, dass Skulpturen aus dem öffentlichen Raum verschwinden, die den Kolonialismus Belgiens verherrlichen. Diese Auflehnung ist legitim, doch die Kontextualisierung dieser Werke ist genauso wichtig. Wenn die Objekte von heute auf morgen entfernt werden, dann gerät das eigentliche Problem damit in Vergessenheit – und darum geht es ja: Die Verbrechen sollen nicht verschwiegen werden. Wir tragen dieses Erbe und wissen schon jetzt teilweise kaum etwas darüber.

Inwiefern fließt dieses Erbe in Ihre Kunst ein?

Ich setze mich erst jetzt, mit 33 Jahren, in meiner Kunst mit dem schwarzen Körper und meiner eigenen Identität auseinander. In meinen bisherigen Werken ging es immer auch um den Körper, aber nie um den schwarzen Körper. Menschen, die mir nahestehen, haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass keine ethnische Diversität in meinen Arbeiten ist und das hat für mich viele Fragen aufgeworfen.

Und wie lautet die Antwort?

Während meiner Schulzeit im „Lycée des arts et métiers“ wurde der schwarze Körper als hypersexualisiertes oder exotisches Motiv in der Kunst nicht besprochen. Auch im Geschichtsunterricht haben wir wenig über Sklaverei oder Kolonialismus erfahren. Meine Identität, meine Geschichte wurde nicht repräsentiert – und deswegen habe ich sie nie in meiner Kunst thematisiert, ohne dass mir das bewusst gewesen wäre. Auch zuhause haben wir nicht viel über den Einfluss der Kolonialzeit auf unser Leben gesprochen. Dabei ist er bis heute spürbar: bei der Arbeits- und Wohnungssuche, in familiären Gesprächen, in intimen Beziehungen. Sogar unter den Menschen, die aus Afrika stammen, gibt es Konflikte aufgrund ihrer Herkunft und der Integration.

In dem Sinne, dass manche ihre Vergangenheit hinter sich lassen wollen und andere um ihre Sichtbarkeit kämpfen?

Ja, wir bei Finkapé sind zum Beispiel vier Frauen, die sich „gut“ integriert haben. Jetzt mag man sagen „Das ist gut, toll“, aber was heißt das? Was sagt das über unsere Selbstdarstellung aus? Was bedeutet es, sich angepasst zu haben? Es wird eine Entfremdung mit den eigenen Wurzeln spürbar. Es findet eine Dekonstruktion der eigenen Identität statt – und die beschäftigt mich in meinen nächsten Kunstprojekten.

Wurden Sie bereits rassistisch angegriffen?

Ich habe während meiner Schulzeit in Luxemburg rassistische Bemerkungen erhalten. In Luxemburg war es lange tabu über Rassismus zu sprechen und ich bin froh, dass sich das langsam ändert. Der Schock kam für mich, als ich in Lüttich Mode studiert habe. Ein Mal sagte jemand „Wann hat je ein Schwarzer seinen Abschluss hier geschafft?“. In einem Kurs für Niederländisch kommentierte ein Dozent meine Aussage, dass ich vieles aus dem luxemburgischen ableiten könne: „L’Afrique comprend vite.“ Ich habe mich im Raum umgeschaut, habe mich gefragt, ob er das wirklich gesagt hat. Es ist niemand anderem aufgefallen. In solchen Momenten fühlst du dich alleine. Du weißt auch oft nicht, wie du das Thema ansprechen sollst, damit ein Dialog entsteht. Manchmal willst du nur noch mit der Faust auf den Tisch schlagen, aber das bringt ja auch nichts.

Veranstaltungen wie die Videokonferenz sind in dem Sinne hilfreich, um gleich mehrere Aspekte der Problematik zu beleuchten.

Die Dinge müssen in aller Ruhe ausgesprochen werden, damit sie bei allen ankommen. Ich sehe es positiv, dass diskutiert wird, auch wenn wir in Luxemburg spät dran sind. Es ist ja nicht so, dass weil das Thema jetzt in aller Munde ist, der Rassismus nächstes Jahr verschwunden ist.

Sie haben jetzt vor allem über Rassismus in der Lehre gesprochen. Wie schaut es im Hinblick auf Ihre künstlerische Karriere aus: Werden Sie als schwarze Künstlerin von der Branche diskriminiert?

Ich war die letzten zehn Jahre nebenberuflich als Künstlerin tätig, habe in meinem Atelier gearbeitet, ohne auf Aufträge angewiesen zu sein. Jetzt, wo ich mich als freischaffende Künstlerin etablieren will, verspüre ich einen gewissen Druck. Ich hatte bisher Glück und habe Kontakte in Belgien und Luxemburg geknüpft, doch ich habe schon manchmal den Eindruck, dass die Stimmung kippt, wenn Menschen mich sehen und realisieren, dass ich – die Künstlerin – schwarz bin. Ich kann das nicht mit Sicherheit behaupten. Es ist mehr ein Gefühl. Es klingt paradox – und verstehen Sie das bitte nicht falsch – aber manchmal ist es mir lieber, eine eindeutig rassistische Bemerkung an den Kopf geworfen zu bekommen als mir über subtile Kommentare und Stimmungen Gedanken machen zu müssen.

Einzelausstellungen schwarzer Künstlerinnen sind in Luxemburg selten, wenn mich mein Eindruck nicht vollkommen täuscht.

Die Sache ist, wenn wir eine größere Repräsentation schwarzer Künstler fordern, lautet die Gegenfrage oft: „Wo sind sie denn?“ Ich weiß, wo sie sind – sie sind in allen möglichen Szenen unterwegs. Nur leiden sie gleich mehrfach unter einem Minderwertigkeitskomplex.

Was meinen Sie damit?

Wer beruflich Künstler ist, hat keine leichte Ausgangsposition. Das ist kein Beruf wie jeder andere, den du einfach ausübst. Du musst deiner Leidenschaft nachgehen, an dich glauben und deine Kunst als solche legitimieren. Jetzt bist du noch dazu schwarz? Das ist ein weiterer Faktor, der deinen Lebensweg beeinflusst. Du kämpfst im Alltag, auch wenn du es manchmal nicht merkst, und das ermüdet. Ein Beispiel: Meine Eltern sind nach Luxemburg eingewandert und hätten niemals den Mut, nach einer Gehaltserhöhung zu verlangen. Warum? Weil sie gelernt haben, dankbar zu sein, und sich mit dem zufrieden zu geben, was man ihnen anbietet. Du gibst dir als schwarze Person oft nicht die Freiheit, mehr zu wollen, selbst wenn du es verdient hast.

Eine weitere Hürde ist das Dasein als Frau, nehme ich an.

Als Frau trägst du auch noch den „Mental Load“ (An.d.R: Belastungen, die durch Haushaltstätigkeiten und Kindeserziehung entstehen) auf deinen Schultern. Als schwarze Künstlerin kämpfst du also an drei Fronten. Wenn du nicht etabliert bist, ist es hart nach jedem Kampf mit erhobenem Kopf dazustehen. Und so entsteht aufgrund dieser Faktoren eine falsche Scheu, die die Künstler selbst davon abhält, sich der Welt zu zeigen.

Finkapé ist ein Netzwerk afrikanischer oder aus Afrika stammender Menschen, das 2019 in Luxemburg gegründet wurde. Im Fokus steht die Sensibilisierung für afrikanische Kultur und ihre Vermittlung.

Die Videokonferenz „Imaginaires anciens, réalités actuelles dans les musées et dans les expositions, au Luxembourg et ailleurs“ findet am 14. November von 10 bis 16 Uhr auf Zoom statt. Die Anmeldung erfolgt per Mail (info@cdmh.lu). Weitere Informationen zu den Vortragenden sowie zur Serie „Le Noir du Blanc“ und zum Forschungsprojekt „À fleur de peau“ gibt es hier.


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