Der letzte linke Kleingärtner, Teil 56
: Schnecken, kaschiert serviert


Lang blieb er säumig, galt als im Garten verschollen oder gar kompostiert, doch nun liefert der letzte linke Kleingärtner wieder eine Kolumne ab. Es geht um verpennte Gelegenheiten, peinliche Salatpannen und um ein seltenes Bekenntnis zum Kulturrelativismus.

Unser letzter linker Kleingärtner surft in seiner eigenen Anlage wie andere im englischen Garten. (Foto: Zxb/CC BY-SA 3.0)

Who the fuck ist er nur? Wer? Der letzte linke Kleingärtner. Normalerweise rückt man als Schreibender „seiner“ Redaktion auf die Pelle, nölt herum, warum die filigran gedrechselten Texte nicht umgehend erscheinen und fragt, welche Verschwörung hinter einer verzögerten Publikation stecken mag.

Doch im Kosmos des letzten linken Kleingärtners ist mal wieder alles anders. Nicht ich stänkere in Richtung der woxx-Redaktion, sondern diese wird bei mir vorstellig und rüttelt mich sanft, aber nachhaltig (‚nachhaltig‘ ist sehr wichtig) aus dem meditativen Singsang meiner Kleingärtner-Bubble heraus. Mit ebenso strenger wie unmissverständlich drohender „Wenn, dann“-Wortwahl wird die Abgabe einer neuen Kolumne eingeklagt.

Du kannst dir sicher sein: Einer deiner Gäste sieht, was er nicht sehen sollte.

Einerseits ist es zwar peinlich, dass ich so lange abgetaucht bin – die letzte Kolumne erschien Anfang September – andererseits fühle ich mich durch diese warme Welle der Achtsamkeit so geschmeichelt, dass ich wie ein Surfer mit unfassbar anmutiger Körperbeherrschung durch die Wellentäler meines Kleingartenkosmos gleite; und komme da noch so viel Wasser im Oktober und November vom Himmel herunter. Ich bleibe auf Kurs und vor allem auf dem Surfbrett.

Und visionär wie ich bin, nehme ich gleich Weihnachten ins Visier. Der Plan ist, auf den Wassersturzbächen, die die Götter aktuell über uns ergießen lassen, bis zum 24. Dezember dahin zu surfen. Einer muss ja schließlich Pläne und Visionen haben in dieser so krisengeplagten Zeit, in der offene und verdeckte Kriege sich die Klinke in die Hand geben.

Und wer jetzt meint, unsereins hätte Zeit für solche Gedanken, weil im Garten nichts passiert, na, den würde ich mal in alter preußischer Tradition und als Schulmeister anschnauzen, gefälligst aufzustehen und zur Strafe die nächsten Stunden die Wand anzuglotzen. Natürlich ist jetzt etwas los im Garten! Ich habe mir schließlich im Frühling und im Sommer nicht den Rücken halb ruiniert und Kubikmeter um Kubikmeter Wasser in der Trockenheit zu meinen Pflanzen geschleppt, um den Untergang der gerade aufgegangenen zarten Blätter zu verhindern, nur damit jetzt die Ernte des Endivien-Salats den Schnecken oder der herbstlichen Fäulnis und die Kartoffelausbeute gar den Wühlmäusen überlassen bleibt. Ein langer Satz, ich weiß, aber so haben Sie zumindest eine Ahnung davon, wie mühsam der Gang mit der Gießkanne gewesen ist.

Wer jetzt einen Anflug von Anteilnahme verspürt, soll hier bitte mit lesen aufhören. Das heißt, mit mir darf man schon Mitleid haben, aber für Wühlmäuse und Schnecken verbitte ich mir jede Form davon. An dieser Front braucht es eine starke, ordnende Hand. Und die Alternativen sind bekannt: Entweder fressen die Tierchen alles, oder ich verspeise meine Salate und Kartoffeln selbst.

Während ich die Rettung der Endivien einigermaßen hinbekomme – ein bisschen Verlust gibt es immer zu beklagen – ist das bei den Kartoffeln und der Roten Beete schon schwieriger. Das liegt leider an mir. In der Schönwetterperiode im September habe ich es versäumt, die genannten Früchte zu ernten. Das ist zwar auch jetzt im Regen möglich, artet dann aber richtig in Arbeit aus und man wird ziemlich nass.

Mein Rücken ist ebenfalls nicht mehr der Jüngste. Da knirscht und knackt es ordentlich, wenn ich bei Nässe zum Ernten schreite. Dumm gelaufen, dass mir als Kleingärtner sowas passiert ist. Was tun? Hilft alles nichts; wenn ich die Kartoffeln nicht den Wühlmäusen überlassen will, muss ich an die Front und ernten. Das ist alternativlos. Und vielleicht haben diese Tage die Götter ein Einsehen und lassen das Weinen und Schluchzen aus den Himmelpforten sein.

Manchmal, wenn ich ernsthaft glaube, die geordneten natürlichen Abläufe überlisten zu können und den Endivien-Salat nur zweimal wasche, ehe ich ihn verspeise, passiert das, was nie passieren sollte und was, sofern es deinen Gästen auffällt, sehr peinlich ist: Ein paar kleine Schnecken überleben mein Streben nach Reinheit und Sauberkeit und räkeln sich auf dem Salatteller in der Vinaigrette. Sollten du oder deine Gäste dies übersehen, sind sie Schwupps im Mund und ebenso Schwupps purzeln sie die Speiseröhre herunter – don’t ask, don’t tell.

Aber du kannst dir sicher sein: Einer deiner Gäste sieht, was er nicht sehen sollte und schon geht das Geplapper los und du musst eine vor Bedauern nur so triefende gute Miene machen zu dem, was da nun kommt. Das sei ja nicht so schlimm und früher sei ihr oder ihm das auch mal passiert. Das Geraune nimmt kein Ende. Was nützt dir, was früher den anderen passiert ist. Heute musst du die Misere aussitzen. Und ja, natürlich hat wegen ein oder zwei Schnecken im Magen noch niemand das Zeitliche gesegnet. Aber es ist ekelhaft. Nicht so sehr die Schnecken selbst, aber die kulturell gefestigte wie verbreitete Vorstellung, dass es ekelhaft sei.

Was nützt es dir, dass in manchen afrikanischen Kulturen Heuschrecken gegessen werden oder mancher Chinese Hundefleisch verzehrt. Da bin ich doch, wenn auch nur für ein paar Sekunden, lieber ein lupenreiner Kulturrelativist und halte mich fern von dem fremden Zeugs.

Drei Praxistipps: 


1. Ernte deine Kartoffeln, wenn es trocken ist.
2. Wasche deinen Salat schneckenrein.
3. Sei achtsam bei Fremden.


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