Der letzte linke Kleingärtner, Teil 58: Pöbelnde Bauern

Angesichts des Protests subventionsgemästeter deutscher Bauern gehen selbst unserem Kleingärtner die Gäule durch.

Fahren schwere Geschütze auf: Protestierende Bauern in Deutschland. (Foto: EPA-EFE/RONALD WITTEK)

Die Deutschen sind ein komisches Volk, Wenn einer das weiß, dann ja wohl ich. Ich bin nah dran und komme im Moment aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Deutsche Bauern protestieren, machen republikweit schwer Lärm und fahren mit ihren teuren Treckern über die Autobahnen. Sie demonstrieren nicht für mehr Nachhaltigkeit oder zumindest bessere Marktbedingungen, von einem an sozialer Gerechtigkeit orientierten Umsturz will in Deutschland eh niemand reden. Nein, sie demonstrieren schlichtweg dafür, dass sie mehr Subventionen bekommen. Auslöser war die von der Bundesregierung (Sozialdemokraten, Grüne, Liberale) geplante Streichung der Subventionen für Agrardiesel. Wie das bei derlei Anlässen so ist, werden die behaupteten rasch von den wahren Gründen abgelöst. Es geht gegen die grüne Partei.

Die Agrarpolitik in Deutschland fördert die großen Betriebe, verhindert die Orientierung auf Nachhaltigkeit und betrachtet Agrarökologie als Werk des Teufels.

Agrarpolitik wird in Deutschland traditionell vom Deutschen Bauernverband propagiert. Die Bauernlobby bestimmte jahrzehntelang, wer aus den Reihen der christdemokratischen CDU/CSU oder der liberalen FDP Agrarminister wurde. Die Parteien haben dann dafür gesorgt, dass demokratisch im Bundestag das beschlossen wurde, was der Bauernverband zuvor festgelegt hatte. Man fühlte sich regelmäßig in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland erinnert, und an das preußische Junkertum und dessen Machtfülle vor 1933.

Der Einfluss des Bauernverbands bekam erstmals einen Knacks, als Anfang 2001 der ansonsten unsympathische sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder im Zuge der Krise um die Tierseuche BSE die Reißleine zog und das ungeliebte Agrarministerium an den grünen Koalitionspartner abschob. Sollten sich doch die Grünen an diesem heißen politischen Eisen die Finger verbrennen, eingekeilt zwischen aufgescheuchten und hyperventilierenden Verbraucher*innen einerseits und dem Bauernverband andererseits.

Gesagt, getan, die Grünen bekamen das Agrarministerium. Und als wäre dies noch nicht genug, besetzen die das Ministerium mit einer Frau. Das war gleich ein doppelter Bruch. Die Männerwelt des alles dominierenden Deutschen Bauernverbandes musste sich mit einem menschenähnlichen Geschöpf auseinandersetzen, das aber definitiv kein Mann war. Diese Kränkung saß und sitzt tief. Renate Künast blieb bis 2005 Agrarministerin, etablierte während ihrer Amtszeit das EU-Ökosiegel und schrieb sich mit dem Spruch „Klasse statt Masse“ in die Geschichtsbücher der agrarpolitischen Welt Deutschlands ein.

Nun haben die deutschen Grünen bei ihrer zweiten Regierungsbeteiligung seit 2021 schon wieder das Agrarministerium inne. Doch damit nicht genug, statt aus der ersten Runde zu lernen, setzten sie jetzt gar einen Minister mit „Migrationshintergrund“ auf den Posten: Cem Özdemir. Dass der in Baden-Württemberg geboren wurde und besser schwäbelt als viele „Bio-Schwaben“, interessiert die Bauern nicht. Özdemir klingt für ihre Ohren nicht wie Kartoffeln, Schnitzel und Sauerkraut, sondern wie „türkischer Basar“. Mit dieser rassistischen Formulierung wurde Özdemir, der sich vergangenen Dezember in Berlin dem Protest des Deutschen Bauernverbandes und der recht unsympathischen Bauerntruppe „Land schafft Verbindung“ stellte, begrüßt, wonach die Menge vor Vergnügen johlte und frohlockte.

Welchen Aufenthaltsort man der grünen Bundesvorsitzenden Ricarda Lang – schon wieder ein nicht-männliches Wesen – wünschte, zeigten die protestierenden Bauern und der veranstaltende Bauernverband ebenfalls im Dezember im saarländischen St. Ingbert: Man stellte ihr einen Galgen hin. Und wieder johlte die Menge.

Alles in allem gibt es gute Gründe für Bauern – vereinzelt sind auch Bäuerinnen dabei – zu protestieren. Die Agrarpolitik in Deutschland fördert die großen Betriebe, verhindert die Orientierung auf Nachhaltigkeit und betrachtet Agrarökologie als Werk des Teufels, der es auf die armen, geknechteten Bauern abgesehen hat. Aber gegen genau diese politische Ausrichtung, die von CDU/CSU- und FDP-Ministern verantwortet wurde, richtet sich der Protest nicht.

Doch auch die Sozialdemokraten und die Grünen haben sich keine agrarpolitischen Lorbeeren verdient. Denn neben der allmächtigen Lobbygang des Deutschen Bauernverbandes und der 2019 gegründeten noch konservativeren Bewegung „Land schafft Verbindung“ gibt es beispielsweise seit 1998 den „Bundesverband Deutscher Milchviehhalter“ (BDM) oder die stärker grün gefärbte kleinere „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ (AbL). Insbesondere der BDM – dem in Luxembourg die „Lëtzebuerger Mëllechbaueren“ entsprechen – war ein Angebot für SPD und Grüne, dem Lobbyismus der Bauern eine andere Richtung zu geben. Die beiden Parteien haben dies jedoch weder verstanden noch die Situation im landwirtschaftlichen Sektor, die jederzeit eskalieren konnte, richtig einschätzen können: Die Offerte wurde besserwisserisch zur Seite geschoben. Nun hat man den Mist. Agrarpolitik ist wie Fußball: Wenn du deine hundertprozentigen Chancen nicht nutzt, reicht ein Gegentreffer, und du gehst als Verlierer nach Hause. Jetzt müssen wir Kleingärtner wieder ran und den Schlamassel richten. Egal, Hauptsache an die Front. Da fühlen sich Deutsche wohl.

Drei Praxistipps:

1. Traue nicht jedem Bauern.
2. Traue nicht jedem Deutschen.
3. Traue nicht jedem Grünen.


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