Die vom US-Kongress vorgesehenen Sanktionen gegen Russland stoßen insbesondere in Deutschland auf Kritik. Doch der Vorwurf, in Wahrheit gehe es um wirtschaftliche Interessen, weist auch auf die Kritiker zurück.
Ursprünglich wollten die US-Abgeordneten mit einem Gesetzesentwurf verhindern, dass US-Präsident Donald Trump Sanktionen gegen Russland eigenmächtig wieder aussetzen kann. Außerdem sollte die russische Regierung bestraft werden, weil sie sich in den US-Wahlkampf eingemischt hatte. Ende vergangener Woche bestätigte der Senat die Vorlage des Repräsentantenhauses, die unter anderem Sanktionen für Unternehmen vorsah, die am Bau der durch die Ostsee geplanten Gaspipeline Nord Stream 2 beteiligt sind. Demnach kann die US-Regierung den Unternehmen Kredite sperren und Investitionen verwehren, selbst Subunternehmen könnten davon betroffen sein. Es sind Sanktionen, die wohl das Aus für Nord Stream 2 bedeuten würden. Die deutsche Bundesregierung sprach daraufhin von einem „völkerrechtswidrigen Vorgehen“ der USA und reagierte mit hektischen diplomatischen Aktivitäten.
Die Mehrheit im US-Kongress kritisiert das Pipelineprojekt, weil es die europäische Energiesicherheit gefährde und die Marktdominanz des russischen Unternehmen Gazprom gegen die Interessen osteuropäischer Staaten erhöhe. Im deutschen Außenministerium und auch bei der EU-Kommission in Brüssel vermutete man jedoch ganz andere Motive: Hinter den geopolitischen Bedenken verbärgen sich nur wirtschaftliche Interessen der USA, denn in dem Entwurf wird zugleich verlangt, dass Europa eher auf den Import von Flüssiggas aus den USA setzen solle.
Doch so einfach lässt sich der Konflikt nicht erklären, zumal die Absichten der Bundesregierung auch in Europa höchst umstritten sind. Schließlich wird der Pipelinebau auch von vielen osteuropäischen Staaten scharf kritisiert. Nord Stream 2 ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gazprom und Energieunternehmen wie BASF, Uniper (früher Eon) und dem österreichischen Energiekonzern OMV. Dem Aufsichtsrat steht der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor.
Die Pipeline soll rund acht Milliarden Euro kosten, russisches Gas durch die Ostsee bis nach Mecklenburg-Vorpommern transportieren und Ende 2019 in Betrieb gehen. Rund 55 Milliarden Kubikmeter Gas werden dann jährlich Richtung EU geleitet. Die Pipeline würde ein Viertel des gesamten Gasverbrauchs der EU decken und damit rund 70 Prozent der europäischen Gasimporte.
Vor allem an dieser fast monopol-artigen Bedeutung des Projekts entzündet sich die Kritik der USA und der osteuropäischen Staaten. Auf einem schmalen Streifen von zwei Kilometern soll in der Ostsee eine der wichtigsten Energierouten der Welt verlaufen. So werde ein strategischer Engpass geschaffen, wie er bereits in der Straße von Hormus bestehe, die den Persischen Golf mit dem Arabischen Meer und dem Indischen Ozean im Osten verbindet, kritisierte vergangene Woche das Wall Street Journal.
Durch Nord Stream 2 würden die bereits existierenden Routen über Polen und die Ukraine überflüssig. Beide Länder müssten enorme finanzielle Einbußen aufgrund der entfallenden Gebühren verkraften, die dann die deutschen Betreiber erhalten würden. Die Pipeline würde zudem die Marktdominanz von Gazprom deutlich stärken und die Ukraine sowie Polen politisch schwächen.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Lieferant Energie als Werkzeug für politischen Druck nutzen kann“, warnte daher kürzlich Estlands Außenminister Sven Mikser, dessen Land im Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. „Wenn diese Analyse zeigt, dass Nord Stream 2 den Lieferanten Russland in eine Position versetzt, Druck auf irgendein Land in Europa auszuüben, zum Beispiel die Ukraine, dann sollten wir das sehr ernst nehmen“, sagte er dem Tagesspiegel.
Vor allem an der monopolartigen Bedeutung von Nord Stream 2 entzündet sich die Kritik der USA und der osteuropäischen Staaten.
Als Alternative zu Gazprom bieten die USA nun billiges Flüssigerdgas an, das seit dem Fracking-Boom in großen Mengen produziert und in gigantischen Tankern transportiert wird. Litauen hat bereits vor zwei Jahren ein Terminal mit dem verheißungsvollen Namen „Independence“ vor der litauischen Hafenstadt Klaipeda gebaut. Im estnischen Hafen von Muuga ist ebenfalls ein kleines Flüssiggasterminal geplant. Auf besonders große Resonanz stößt das Angebot in Polen, wo US-Präsident Donald Trump bei seinem Staatsbesuch im Juli ein begeisterter Empfang bereitet wurde. In der Ostseestadt Swinoujscie steht bereits das „Lech Kaczynski-Terminal“, das die polnische Regierung zu einem mitteleuropäischen Energieterminal ausbauen möchte.
Das Vorhaben stößt bei der deutschen Bundesregierung auf wenig Gegenliebe. Vor allem Außenminister Sigmar Gabriel bemüht sich, die geplante Pipeline voranzubringen. Zwar will auch die deutsche Regierung mit den vor drei Jahren wegen der Krim-Annexion verhängten Sanktionen Druck auf die russische Regierung ausüben. Zugleich hofft sie aber, mit der neuen Pipeline die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wieder zu beleben.
Gabriel zeigte sich daher von den möglichen US-Strafmaßnahmen entsetzt. Er werde „eine extraterritoriale Anwendung dieser US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen auf keinen Fall akzeptieren“, sagte er dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Immerhin haben deutsche Lobbyisten in den USA erreicht, dass in dem Gesetzesentwurf ein Passus eingefügt wurde. Demnach soll der US-Präsident „in Absprache mit den Verbündeten“ klären, ob Sanktionen gegen die am Bau beteiligen Unternehmen verhängt werden können. „Nun ist es an Präsident Trump, zu entscheiden, wie es weitergeht“, so Gabriel.
Dass die Bundesregierung ausgerechnet auf Trump hofft, um mögliche Sanktionen gegen das deutsch-russische Projekt zu verhindern, erscheint merkwürdig. Noch bizarrer wird die Situation jedoch wegen eines Vorfalls, in den einer der größten deutschen Konzerne verwickelt ist. In Absprache mit dem Außenministerium hatte Siemens vier Gasturbinen an Russland unter dem expliziten Vorbehalt geliefert, dass diese nicht auf der Krim eingesetzt werden. Die EU-Sanktionen von 2014 verbieten eindeutig einen Verkauf von Gütern und Technologien in das okkupierte Gebiet. Dennoch sind die Turbinen offenbar genau dort gelandet und sorgen dafür, dass die Halbinsel von Energielieferungen aus der Ukraine unabhängig wird.
Man sei getäuscht worden, rechtfertigte sich Siemens. Dass ein Weltkonzern sich so einfach übertölpeln lässt, erscheint wenig glaubwürdig, doch auch für die Bundesregierung ist der Vorfall äußerst peinlich. Angesichts der Auseinandersetzungen um Nord Stream 2 sei „die zeitlich Koinzidenz der beiden Ereignisse aus deutscher Sicht ein Albtraum“, heißt es dazu in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Für Außenminister Gabriel ist die Situation also besonders heikel: Er muss mit Trumps Hilfe Sanktionen gegen die Ostseepipeline verhindern. Gleichzeitig muss er klären, warum die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die Strafmaßnahmen durchzusetzen, die sie selbst gegen Russland verhängt hat.