Die Erfahrung der Heavy Metal Musik: Tanz auf dem existenziellen Riss


Soziologie soll praktisch werden: Hartmut Rosa wendet seine „Resonanztheorie“ über die Basis guten Lebens in einem neuen Buch auf den Heavy Metal an. Ob das eine gelingende Beziehung ist?

Nahezu beliebig kann man in den musiksoziologischen Schriften von Theodor W. Adorno stöbern, um sie gegen „leichte Musik“, zu welcher der 1969 verstorbene Philosoph zweifellos auch Heavy Metal zählen würde, in Anschlag zu bringen. Die soziale Rolle dieses Musikstils „wird man umreißen dürfen als die von Schemata der Identifikation“, würde er also wohl nicht nur über Schlager, sondern auch über Metal schreiben. Dessen Hörer*innen fühlten ihre „Isolierung gemildert, sich eingegliedert in die Gemeinde der Fans“. Wenn man diese Trostlosigkeit auch noch verteidige, beteilige man sich daran, „solche Standardisierung, das Urphänomen musikalischer Verdinglichung, des nackten Warencharakters, ästhetisch zu rechtfertigen und den Unterschied der gesteuerten Massenproduktion von der Kunst zu verwischen“.

Obwohl das Urteil eines der wichtigsten Philosophen der sogenannten Kritischen Theorie also wohl vernichtend wäre, schickt sich nun einer an, für Heavy Metal eine Lanze zu brechen, der in der Tradition Adornos steht: Hartmut Rosa, einer der aktuell bekanntesten Soziologen des deutschsprachigen Raums. Er ist selbst Metal-Fan, und ganz offenkundig gilt sein Interesse nicht zuletzt dem, was beim Hören dieser Musik mit ihm und anderen passiert. Es sei eine „mächtige, gewaltige Erfahrung“, die er dabei mache, lässt er gleich zu Beginn des Buches wissen, und spricht von „einer ungeheuren Energie, die im Heavy Metal freigesetzt wird, so dass sie meinen Körper und meine Seele von innen und außen gleichzeitig ergreift und bewegt, verbindet und zusammenführt“.

Rosa lässt also keinen Zweifel daran, dass er sich dem Metal nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse zugewendet hat. Er liebt diesen Musikstil, hört ihn seit seiner Jugend und kennt sich gut darin aus. 1965 geboren, hat er seinen Weg zum Professor für Soziologie in Jena und zum Direktor des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien an der Universität Erfurt gemacht.

Bekannt wurde Hartmut Rosa vor allem mit seiner sogenannten Resonanztheorie. In dem 2016 erschienenen und zum Bestseller avancierten Buch „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ untersucht er, unter welchen Bedingungen das Leben als gelingend oder misslingend erfahren wird. Dies hänge davon ab, „auf welche Weise Welt (passiv) erfahren und (aktiv) angeeignet werden kann“, welche Mittel und Strategien ein Mensch also anzuwenden in der Lage ist, um mit der Welt, in der er sich bewegt, in Beziehung zu treten. Recht häufig bemüht der Autor dabei neben „Resonanz“ auch Begriffe wie „Rhythmik“, „Vibration“ und „Schwingungen“, um die sozialen Verhältnisse, in denen Menschen sich bewegen, zu beschreiben und die körperliche Dimension solcher „Weltbeziehungen“ zu unterstreichen – Begriffe also, wie sie auch aus der Beschreibung akustischen Erlebens geläufig sind.

(Quelle: Exit Festival/Flickr)

Diese Parallele kommt nicht von ungefähr. Rasch wird bei der Lektüre seines neuen Buches deutlich, dass Rosa das Hören von Metal für eine solche Strategie gelingender Weltbeziehungen hält. Da er Soziologe ist, widmet er sich aber zunächst auch den sozialen Schichten und Milieus, aus denen sich die Metalszene zusammensetzt. So widerlegt er beispielsweise das Klischee, Metal sei vor allem die Musik der unteren Schichten. Diese Vorstellung, so der Autor, trage wohl auch dazu bei, dass der Stil als „kulturell wertlos“ gelte. Auch Queerness, Feminismus und das Spiel mit Geschlechterstereotypen in der Szene spricht er an, betont dabei immer wieder die Ebene der Körperlichkeit: „Metal berührt in einer immer stärker berührungslosen Gesellschaft unmittelbar leiblich.“

Wo der Soziologe Rosa distanziert zu analysieren bemüht ist, lässt sich der Fan Rosa jedoch immer wieder hinreißen, um Verständnis für die schlecht beleumundete Metal-Musik zu werben. Vor allem im ersten Teil des Buches ist es oftmals so, dass der Soziologe dem Fan im Zweifelsfall den Vortritt lässt. An einigen Stellen liest sich der Text wie ein nostalgisch verklärtes Erinnerungsbuch, das wenig Neugier für widersprüchliche Elemente des Genres und dessen Lebenswelt entwickelt, mitunter eher nach Rechtfertigungen sucht. Das erinnert bisweilen an die Strategien der Selbstlegitimation, zu der sich ein Teil der Szene verpflichtet fühlt. Ein anderer Teil straft dies jedoch mit Verachtung, weil man sich solcher Brauchbarmachung (etwa unter Verweis darauf, dass Metal der psychischen Gesundheit zuträglich sei) nicht andienen will, sondern ästhetische Radikalität zum Maßstab macht und explizit nicht auf Zuspruch und Akzeptanz aus der Gesellschaft schielt.

Dass vermeintliche ästhetische Radikalität oft genug auch in tief reaktionäre Gefilde und vielleicht auch gerade deshalb zurück in den Mainstream führt, hat die Band Rammstein vorgemacht. Zur ihr schreibt Rosa (wohl vor Beginn der Debatte um Sänger Till Lindemann und seinen Umgang mit weiblichen Fans), die Band habe sich eindeutig gegen rechts positioniert. Doch solche Beteuerungen verfehlen den Punkt. Es mache „wenig Sinn, explizit rechte Inhalte aus Texten von Bands wie ‚Rammstein‘ lesen zu wollen“, schrieb der 2010 verstorbene Poptheoretiker Martin Büsser schon vor 21 Jahren. Reaktionäres und Faschistisches drücke sich vielmehr auf der Ebene neuer Körperbilder und ähnlichem aus. Es passe „zum neu erstarkten Nationalismus, Feuer, Muskeln und Trommelwirbel so zu betrachten, als ließe sich diese Ästhetik völlig von den mit ihr verbundenen politischen Traditionen und Ritualen loskoppeln“, so Büsser.

Für die Frage, welche politischen und gesellschaftlichen Gehalte die im Metal gebräuchlichen Ästhetiken transportieren, interessiert sich Rosa nicht. Wie auch in seinen soziologischen Schriften betreibt er keine Ideologiekritik. Seine Aufmerksamkeit gilt dem, was ihm auf der emotionalen Ebene als das Besondere an dem Genre erscheint.

„Metal berührt in einer immer stärker berührungslosen Gesellschaft unmittelbar leiblich.“

Um zu ergründen, was beim Hören und vor allem beim Erleben von Metal auf Konzerten passiert, greift der Soziologe auf das von ihm entwickelte begriffliche Instrumentarium zurück. So schreibt er beispielsweise, „Resonanz“ als eine spezifische Form des In-Beziehung-Tretens mit der Welt werde im Metal dadurch erzeugt, dass er das Abgründige, Dunkle, den Tod nicht verdrängt. Rosa erkennt darin den unbedingten Willen und die schonungslose Ernsthaftigkeit, sich dem „existenziellen Abgrund“ des Lebens „mit allen Sinnen auszusetzen, ohne zu wissen, dass es ein Happy End oder einen Ausweg gibt“.

Metal sei „kein Entertainment“, meint Rosa, und wendet sich damit auch implizit gegen das Urteil, das man von Adorno erwarten würde, dessen Schriften er kennt; aber er betrachtet das Genre auch nicht als „große Kunst“. Aus einer „konservativ-bildungsbürgerlichen Perspektive“ sei das, was darin vor sich geht, klischeehaft und wenig originell. Metal, so der Autor, ist „nicht für das distanzierte analytische Hören gemacht, sondern für das involvierte, dispositional offene, geradezu rückhaltlose – eben für das existenzielle – Hören“. Und damit ist vielleicht auch ein ganz klein wenig über Rosas Soziologie ausgesagt.

Hartmut Rosa: When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal. Kohlhammer Verlag, 187 Seiten.

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