Obwohl NFTs stetig an Wert verlieren, investieren Postbehörden weltweit in die Technik – so auch in Luxemburg. Ist das Sammeln von digitalen Briefmarken tatsächlich die Zukunft?
Auf einmal waren die Affen weg. Nicht ausgebrochen aus einem Zoo etwa, sondern entwendet von einer Hackerin: die teuersten Affenbilder des „Bored Ape Yacht Club“. Die Bilder beziehungsweise die dazugehörigen Non-Fungible Tokens (NFTs) sollen über drei Millionen US-Dollar wert und durch eine Sicherheitslücke „geklaut“ worden sein. Nach Zahlung eines Lösegelds in Kryptowährung, die umgerechnet etwa 260.000 Dollar wert ist, sind die NFTs am vergangenen Montag wieder bei ihren vorherigen Besitzer*innen angekommen. Diese Meldung ist nur eine von vielen schlechten Nachrichten, die in den letzten Monaten aus der NFT-Welt kamen. Doch ausgerechnet Postämter – unter ihnen die luxemburgische Post – sorgen in dieser traurigen digitalen Welt für gute Neuigkeiten. Und das mit durchaus analogen Briefmarken.
Ein NFT ist eine „nicht austauschbare“ Einheit von Daten, die in einer Blockchain gespeichert ist und verkauft und gehandelt werden kann. NFTs können mit digitalen Dateien wie Fotos, Videos und Audios verbunden sein. Sie gelten als Besitzzertifikate für diese Dateien. Anders als Kryptowährungen können NFTs nicht in kleinere Einheiten gespalten werden. Benutzt werden sie vor allem für digitale Kunstwerke oder Sammelbilder. Sie erfahren seit mehreren Monaten einen starken Abwärtstrend. Die Mehrheit der NFTs sei mittlerweile wertlos, berichtete der britische Guardian im September in Bezug auf einen Bericht der Firma „Dappgambl“, die sich auf Glücksspiel mit Kryptowährungen spezialisiert hat. 79 Prozent aller NFT-Sammlungen seien unverkauft geblieben. Die erzielten Preise sind mittlerweile auch weit entfernt von den Millionenbeträgen, die im Jahr 2021 für Schlagzeilen gesorgt haben: Lediglich ein Prozent der NFT-Sammlungen sei über 6.000 Dollar wert, so der Bericht.
Der Hype und die Aussicht auf das große Geld hat viele dazu verleitet, selbst NFTs herzustellen, also zu „minten“, wie es im oft unnötig komplizierten Fachjargon heißt. Ein Prozess, der zumindest bis vor einem Jahr viel Energie kostete. So berichtet Dappgambl auch, dass viele NFTs zwar unter hohem Energieaufwand und dementsprechend hohen CO2-Emissionen „geminted“, jedoch nie verkauft worden seien. Dieses Schicksal ereilte nicht nur Glücksritter*innen und Möchtegern-Künstler*innen, sondern auch Institutionen mit Rang und Namen: Das österreichische Belvedere Museum teilte das berühmte Gemälde „Der Kuss“ von Gustav Klimt in 10.000 digitale Quadrate und verkaufte diese als NFTs. Allerdings war der Andrang nicht so groß wie gedacht, nach drei Monaten waren gerade einmal ein Viertel der Schnipsel verkauft. Zudem waren sie zu diesem Zeitpunkt – im Mai 2022 – nur noch die Hälfte ihres Ursprungspreises wert, wie das Onlinemagazin Futurezone berichtete. Kostete ein Klimt-NFT beim Erstverkauf im Februar 2022 noch den Gegenwert von 1.850 Euro in der Kryptowährung Ether, so werden die NFTs heute für etwa 450 Euro verkauft. Eine gelungene Geldanlage sieht wohl anders aus.
Die monetäre Bewertung des Hypes rund um Kryptowährungen, Blockchain und NFT ist dennoch immer mit Vorsicht zu genießen, denn zu keinem Zeitpunkt war gewährleistet, dass man sein gesamtes „Vermögen“ auch wirklich umtauschen kann.
Hässliche Briefmarken für Nerds
Wer theoretische Millionen in Kryptowährung hat, muss eine digitale Wechselstube finden, die genügend Euro oder Dollar auf dem Konto hat, um eine*n auszubezahlen. Bei NFTs ist das Problem gleich doppelt: Im Gegensatz zu Kryptowährung können sie nicht einfach umgetauscht werden, sondern müssen erst einmal verkauft werden. So erklärt sich auch einfach, warum jemand einen Klimt-NFT für weniger als ein Viertel des Originalpreises verkauft: Unter Umständen hat diese Person sogar ein gutes Geschäft gemacht, wenn sie vor Jahren sehr günstig Kryptowährung gekauft hat. Aber sogar, wenn man beim Verkauf eines NFTs einen Verlust macht: Immerhin ist das „Vermögen“ dann wieder ungebunden und kann in andere, vielleicht ertragreichere NFTs investiert werden. Oder in ein altbekanntes Sammelobjekt: Briefmarken.
In der Welt der Philatelie gibt es seit einigen Monaten einen kleinen Hype um NFTs. Genauer gesagt um sogenannte „Crypto Stamps“, also Krypto-Briefmarken. Es handelt sich um Sondermarken, die einen NFT beinhalten. Dieser wird auch manchmal als „digitaler Zwilling“ der physikalischen Briefmarke bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch aus mehreren Gründen irreführend. Vermutlich wird er vor allem deswegen benutzt, weil der Begriff „Digital Twin“ ebenfalls viel Zuspruch erhält. Gemeint ist damit ein virtuelles Modell eines Industrieprozesses, des menschlichen Körpers oder einer Stadt.
Die ersten Cryptostamps wurden 2019 von der österreichischen Post herausgegeben. Sie enthalten einen kleinen Funkchip, der mit dem Handy ausgelesen werden kann. Mit einer speziellen App lässt sich das NFT so aktivieren. Es ist auch möglich, die Briefmarke direkt als NFT zu kaufen und die dazugehörige Briefmarke nachträglich zu bestellen. Die Motive orientieren sich an der Internetkultur und Memes, die in der Cryptowährungs-Szene beliebt sind: Einhörner, der „Doge“-Hunde, Wale, Katzen – im Comic-Stil und eher hässlich. Bei der Aktivierung wird klar, warum es sich bei dem NFT keineswegs um einen „Zwilling“ der Briefmarke handelt: Die zugehörigen Bilder werden zufällig eingefärbt, wobei die Farben unterschiedlich selten vorkommen. Die Idee dahinter: Seltene Farben sollen wertvoller sein und können auf dem Zweitmarkt verkauft werden.
Die erste Edition der österreichischen Post war schnell ausverkauft, sodass weitere Editionen herausgegeben wurden und sich eine Community bildete. In einer Telegram-Gruppe sind zwar über 400 Mitglieder, von denen sich jedoch nur einige wenige aktiv über Neuigkeiten aus der Cryptostamp-Welt austauschen. Weltweit zogen einige Postbehörden nach und 2023 schloss sich die luxemburgische Post dem Hype ebenfalls an. Der „Crypto Stamp 5.0“ war eine gemeinsame Edition der österreichischen, niederländischen und luxemburgischen Post, die am 10. Oktober 2023 erschien. Motiv: ein Löwe, immerhin Wappentier von zwei der drei Länder.
Glücksspiel „vun der Post“
Die luxemburgische Version zeigt den Löwen von vorne auf grünem Hintergrund, sie kostet mit 9 Euro wesentlich mehr als eine normale Briefmarke. 75.000 Stück wurden gedruckt, ebenfalls mit einem Funkchip einer österreichischen Firma, der auch schon bei den früheren Cryptostamps zum Einsatz kam. Während die Niederlande die gleiche Stückzahl herausgegeben haben, waren es in Österreich nur 40.000 Briefmarken. Die Luxemburger NFT-Version gibt es in den Farben Grau, Grün, Blau, Gelb und Rot. Welche Farbe man gekauft hat, erfährt man jedoch erst bei der Aktivierung des NFT – aufgrund des vermutlich höheren Werts eines roten NFTs, von denen es nur 750 Stück gibt, also durchaus eine Art Glücksspiel.
Im Dezember erschien eine goldene Version des Cryptostamps, die 500 Euro kostet und einen kleinen 1-Gramm-schweren Goldbarren enthält. Die Erlöse aus dem Verkauf will die Post an die „Stëmm vun der Strooss“ spenden. Auch hier handelt es sich um eine Gemeinschaftsausgabe mit der österreichischen und der niederländischen Post, auch hier ist ein NFT eingebunden. Einen Brief, dessen Versand 500 Euro kostet, wird man wohl eher nicht verschicken können, sodass die Briefmarke ein reines Sammelstück bleibt.
Auf der Plattform OpenSea, auf der NFTs gehandelt werden, sind noch keine „goldenen Löwen“ aktiviert worden. Allerdings bietet die österreichische Post mit Cryptostamps.com eine eigene Plattform an, auf der man seine NFT-Briefmarken-Sammlung anschauen kann. Der Transfer auf andere Plattformen kostet mitunter Transaktionsgebühren, die in Kryptowährung zu bezahlen sind. Ein komplizierter Prozess, bei dem zuweilen auch NFTs verloren gehen können. Bisher sieht es nicht so aus, als ob die Luxemburger Cryptostamps auf OpenSea hohe Preise erzielten: Der höchste Verkaufspreis lag bei umgerechnet etwa 36 Euro, für einen eher seltenen gelben Löwen. Die zweithäufigste Farbe Grün wird auch schon mal für nur 5 Euro verkauft – womit der*die Verkäufer*in eigentlich einen Verlust macht, falls die physische Briefmarke nicht zum Versand benutzt wird.
Was bezwecken die Postbehörden mit ihren Cryptostamps und NFTs? Auch wenn die Philatelieabteilungen vor allem für Sammler*innen arbeiten, so erfüllen auch Sondermarken den Zweck, dass man mit ihnen Briefe verschicken kann. Bei Briefmarken, die neun Euro das Stück kosten und digitale Zusatzfunktionen haben, scheint der Daseinszweck mehr das Sammeln zu sein. Auch wenn NFTs oft mit Sammelobjekten wie Pokémon-Karten, Fußballstickern oder eben Briefmarken verglichen werden, so gibt es einen wichtigen Unterschied. Der Reiz von NFTs besteht meistens darin, dass es sich um ein Unikat handelt: Das spezielle Affenbild-NFT gibt es nur ein einziges Mal. Bei Briefmarken hingegen ist es prinzipiell möglich, sämtliche Briefmarken eines Landes zu sammeln.
NFTs kommen nicht ins Sammelalbum
Ging es also darum, die Briefmar- kensammler*innen an NFTs heranzuführen? In Philatelieforen liest man schnell, dass die Cryptostamps als „Wahnsinn“ bezeichnet werden und die Mehrheit der Nutzer*innen dieses Prinzip ablehnt. Die deutsche Post, die ebenfalls eine NFT-Briefmarke herausgegeben hat, hat für großen Ärger unter Sammler*innen gesorgt: Es gibt die Briefmarke nämlich regulär ohne NFT für 1,6 Euro, und speziell mit NFT für 9 Euro. Wer eine komplette Sammlung haben will, muss beides kaufen. Da die NFT-Briefmarke nicht in dem Sammel-Abonnement der deutschen Post vorhanden war, sorgte dies für Unmut. Aber auch abgesehen von dieser Episode gibt es wenig Begeisterung für die Cryptostamps: Werden sie angekündigt, gibt es keinen Beifall. Einige Nutzer*innen hoffen zwar, durch die Technologie könnten junge Menschen zu dem Hobby Briefmarkensammeln finden, die mehrheitliche Meinung scheint jedoch ablehnend zu sein.
Einen Kritikpunkt, der oft an NFTs angebracht wird, hat die Luxemburger Post umgangen: der Ressourcenverbrauch und die damit einhergehenden Treibhausgasemissionen. Die Blockchain, auf der die Erschaffung, der Verkauf und die Transaktion der NFTs öffentlich einsehbar gespeichert werden, funktioniert mit dem „Proof of Stake“-Prinzip, der weniger energiehungrig ist. Im Gegensatz zu „Proof of Work“ wird nicht die Lösung schwieriger mathematischer Gleichungen verlangt, sondern der Besitz einer bestimmten Menge einer Kryptowährung. Unter allen, die dieses „Stake“ besitzen, wird zufällig ausgelost, wer den neuen Block schreiben darf. Dadurch verbrauchen die Transaktionen weniger Energie, Akteur*innen mit hohem Kryptowährungsvermögen gewinnen jedoch an Macht.
Es stellt sich die Frage, wer davon profitiert, wenn ein staatsnahes Unternehmen wie die Post mit Briefmarken-NFTs und einer einfach gestalteten Website ihre Kund*innen dazu animiert, mit digitalen Briefmarken und folglich auch Kryptowährungen zu spekulieren. Möglicherweise war es nur der Versuch, modern und digital kompetent zu wirken oder das Briefmarkensammeln einer neuen Generation zu vermitteln. Doch Kryptowährungen sind auf einer Philosophie aufgebaut, deren Grundidee kapitalistische Marktwirtschaft ohne jegliche staatliche Kontrolle ist. Da das Interesse an NFTs jedoch insgesamt sinkt und Cryptostamps nicht wie Affenbilder geklaut werden, dürfte das Phänomen sich in den nächsten Jahren totlaufen.