Diskriminierung: Hauptsache nicht dick

Ob am Arbeitsplatz oder in den Medien – Gewichtsdiskriminierung ist nach wie vor salonfähig. Für die Betroffenen hat das viele negative Folgen.

Die Kampagne „strong4life“ setzt auf Sensibilisierung durch Abschreckung. (Bildquelle: ©strong4life)

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der alle kugelrund sind, also nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere. Es ist eine triste, monotone Welt, alle bewegen sich schwerfällig und essen fast ununterbrochen. In dieser Welt lebt ein kleiner, unglücklicher Junge, in dem sich zunehmend das Bedürfnis nach Veränderung regt – seiner Ernährung einerseits, seines Körpers andererseits. Diese Veränderung soll ihm nicht nur zu mehr Lebensfreude verhelfen, sie soll ihn darüber hinaus sogar zum Fliegen befähigen. Wie das erreicht werden kann? Indem der Junge sich fortan nur noch von Beeren ernährt. So legt es jedenfalls eine am 14. Februar veröffentlichte Werbung der Lebensmittelkette Edeka nahe. Der Spruch am Ende „Iss wie der, der du sein willst“ lässt keinen Zweifel: Es geht hier darum, Menschen zum Dünnsein beziehungsweise Abnehmen per gesunder Ernährung zu motivieren.

In den Kommentaren zum Spot auf der Facebook-Seite von Edeka fallen die Reaktionen gemischt aus. „Tolle Werbung, für mich ist die Botschaft, dass man alles schaffen kann und nicht immer mit dem Strom schwimmen sollte“, steht in einem. „Mich frustriert der Clip leider sehr. Man kann gesunde Ernährung auch bewerben, ohne dicke Menschen zu dissen“, heißt es in einem anderen. Es mag ja sein, dass die Absicht bei der Werbeaktion darin bestand, „ein Stück weit (aufzurütteln), ganz unabhängig davon, welchen Körperumfang jeder Einzelne aufweist“, wie Edeka selbst in der Kommentarspalte schreibt, Fakt ist jedoch, dass der Protagonist am Anfang dick und traurig und am Ende dünn und zufrieden ist. Die Botschaft, die das vermittelt, ist klar: Ungesunde Ernährung macht dick, gesunde dagegen dünn. Dicksein ist kein Zustand, mit dem man sich abfinden sollte, schließlich macht Dünnsein glücklich! Die Aufzählung ließe sich fortführen.

Motivation durch fat shaming

Werbesprüche, die Schlankheit propagieren, sind allgegenwärtig. „You can never be too thin“, lautete ein Slogan für das amerikanische Produkt Pretzel-Crisps. Dass es durchaus möglich ist, „zu dünn“  zu sein, wird schon allein daran deutlich, dass beispielsweise in Deutschland etwa 1% junger Frauen zwischen 15 und 25 Jahren an Anorexie leidet. Dabei handelt es sich um die psychische Erkrankung mit der höchsten Todesrate.

Bereits 2012 standen bei der Kampagne „strong4life“ des Children‘s Healthcare of Atlanta abschreckende Bilder dicker Menschen im Mittelpunkt. Auf diesen sind ernst dreinblickende, dicke Kinder in Schwarz-Weiß abgebildet. Begleitet werden die Fotos von Sprüchen wie „It’s hard to be a little girl when you’re not“ oder „My fat may be funny to you, but it’s killing me“. Dickleibigkeit macht eine glückliche Kindheit unmöglich und tötet, so die Botschaft. An der Kampagne wurde unter anderem kritisiert, dass sie keine Lösungen biete, sondern lediglich auf Schock und Beschämung abziele. Trotzdem hält die Ansicht sich hartnäckig, dass fat shaming zum Abnehmen motiviere.

Dass dem aber nicht so ist, gilt mittlerweile als erwiesen. Diskriminierung helfe nicht abzunehmen, so das Ergebnis einer im Jahr 2014 am University College London durchgeführten Studie. Aus dieser geht hervor, dass Diskriminierung der Lebensqualität und -freude erheblich schadet und tendenziell sogar eher zu einer Gewichtszunahme führt. Selbst ÄrztInnen hegten Vorurteile gegenüber dicken Menschen, und viele PatientInnen fühlten sich von ihnen respektlos behandelt. Eine negative Wirkung kann einer 2012 publizierten Untersuchung der Yale Universität zufolge selbst bei Gesundheitskampagnen festgestellt werden, die zur Gewichtsreduktion aufrufen oder vermeintliche Gefahren eines zu hohen Gewichts thematisieren. Als motivierend wurden von den Teilnehmenden dagegen beispielsweise Aufrufe zu vermehrtem Obst- und Gemüsekonsum empfunden. Anregungen zu einer gesundheitsbewussteren Lebensweise sind also unproblematisch, solange sie vom Rückgriff auf negative Bilder und Horrorszenarien absehen.

Selbst wenn es zutreffen sollte, dass gesundes Essen automatisch schlank macht, so bleibt das entscheidende Problem doch der Zusammenhang der Ernährungsweise mit der Lebenssitution. Aus einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom Jahr 2012 geht eine klare Korrelation zwischen wirtschaftlicher oder sozialer Not und Fettleibigkeit hervor. Besonders Frauen in benachteiligten sozio-ökonomischen Verhältnissen neigen zu Adipositas. Sowohl gesunde Ernährung als auch sportliche Aktivität können sich viele Menschen sowohl zeitlich als auch finanziell einfach nicht leisten. Eine sinnvolle Maßnahme könnte also darin bestehen, gesundes Essen erschwinglicher zu machen. Auch besteht, wie aus der „Studie zur Gesundheit, motorische[n] Leistungsfähigkeit und körperlich-sportliche[n] Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Luxemburg“ der Universität Karlsruhe hervorgeht, kein eindeutiger Zusammenhang zwischen sportlich-körperlicher Aktivität und Gesundheitszustand.

Zusammenhang fragwürdig

Unabhängig von der Frage, ob es tatsächlich gesünder ist, dünn als dick zu sein, stellt sich die Stigmatisierung von Dickleibigkeit vor allem deshalb als problematisch dar, weil sie oft auf der Grundlage von Vorurteilen erfolgt. Negativkonnotationen gehen dabei weit über den Aspekt des Ungesunden hinaus: Dicke Menschen gelten als unsportlich, ungepflegt, unattraktiv, undiszipliniert und faul. Nicht zuletzt am Arbeitsplatz werden sie deshalb benachteiligt. Die OECD-Statistik zeigte, dass dicke Menschen im Durchschnitt etwa fünfmal weniger verdienen als „Normalgewichtige“. Auch werden, der Studie eines Tübinger Forscherteams zufolge, bei Stellenbewerbungen dicke KandidatInnen stark unterschätzt; besonders Führungskompetenzen werden ihnen nicht zugebilligt. Während die Diskriminierung von ArbeitnehmerInnen aufgrund von Geschlecht, Alter, Hautfarbe, sexueller Orientierung, Religion oder Behinderung in vielen Ländern strafbar ist, ist die Lage hinsichtlich der Gewichtsdiskriminierung ungeregelt. Im Jahr 2014 befand der Europäische Gerichtshof, dass hohes Körpergewicht in manchen Fällen als Behinderung behandelt werden müsse. So zum Beispiel wenn aufgrund eingeschränkter Mobilität die vollständige Teilnahme am professionellen Leben erschwert werde. Die Dickleibigkeit selbst wurde jedoch nicht als schutzwürdig eingestuft.

(Quelle: edeka.de/issso)

Wie eine 2008 an der Yale Universität durchgeführte Studie zeigt, gilt Gewichtsdiskriminierung in unserer Kultur nach wie vor als akzeptabel. Sie kommt sogar häufiger vor als die aufgrund von Alter oder Geschlecht. In Anbetracht der wissenschaftlichen Ergebnisse muss man aber die Frage stellen, weshalb nicht mindestens genauso große Bemühungen für die Entstigmatisierung dicker Menschen und eine Kritik an geltenden Schönheitsidealen aufgewendet wird wie für die Empfehlung für Sport und gesunde Ernährung. Auch die luxemburgische Regierung beließ es 2006 bei einem Aktionsplan zur Förderung von gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität. Indem auf der Internetseite der Regierung ein direkter Zusammenhang zwischen „der alarmierenden Zunahme der Anzahl übergewichtiger Personen“ und dem Bedarf am Aktionsplan „Gesond iessen, méi bewegen“ hergestellt wurde, lässt die Gesundheitskampagne den Eindruck entstehen, gesunde Ernährung und Bewegung seien ein Allheilmittel gegen Dickleibigkeit.

Stigmatisierende Berichterstattung

Zentraler Bestandteil der strukturellen Gewichtsdiskriminierung sind mediale Darstellungen. Bei der Betrachtung von Artikel-llustrationen fällt auf, dass dicke Menschen meist entweder ohne Kopf oder aber beim Verzehr von fast-food abgebildet werden. In dem einen Fall werden sie also auf ihren entindividualisierten Körper reduziert, in dem anderen auf den Aspekt der ungesunden Ernährung.

Auch in luxemburgischen Medien ist die stigmatisierende Sichtweise zu beobachten. In einem Tageblatt-Artikel vom Mai 2015 über die Ergebnisse der oben erwähnten OECD-Studie finden sich beispielsweise Formulierungen wie „die Zahlen für Luxemburg (sind) dramatisch“ oder „mit Gewichtsproblemen zu kämpfen haben“. Obwohl in dem Artikel weder die persönliche Einschätzung noch die Lebensqualität der thematisierten Bevölkerungsgruppe einbezogen wurden, wird das Bild von Dickleibigkeit als zu bekämpfendes Übel gezeichnet.

Die Darstellung dicker Menschen in den Medien und somit auch in der Werbung reflektiert gesellschaftliche Schönheits- und Schlankheitsideale. Dabei sollte, wie es die eingangs erwähnte Facebook-Userin ausdrückt, die Förderung eines gesunden Lebensweise auch möglich sein, ohne dabei dicke Menschen zu stigmatisieren.


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