Diversifizierung des Schulangebots: Zwischenfazit erwünscht?

2017 kündigte Bildungsminister Claude Meisch die Ausweitung des internationalen Bildungsangebots für das kommende Schuljahr an. Im September 2018 reklamierte die Deputierte Martine Hansen Zahlen – und musste rund zwei Monate auf eine Antwort warten.

Morgens, um halb sieben in Luxemburg: Die Fensterscheiben sind beschlagen, die Arme taub vom Festhalten, die Gesichter erhitzt. Von links schlägt einem ein Schulranzen ins Gesicht, von rechts die Haare der Stehnachbar*innen – der Bus platzt aus allen Nähten. Bleibt dafür genug Platz, grüßen sich die Schüler*innen mit Küsschen links, Küsschen rechts oder mit Handschlag. Dass einige von ihnen mit der Menschen-Presse auf Rädern unterwegs zum Unterricht an international anerkannten Gymnasien oder Europaschulen sind, ist anzunehmen – und die sorgten schon im September bei der Deputierten Martine Hansen für Fragezeichen.

Sie wollte wissen, wie das sozioökonomische Umfeld der Schüler*innen aussieht, die das internationale Bildungsangebot an öffentlichen Gymnasien und Europaschulen in Luxemburg nutzen, und welche Nationalitäten in diesen Schulen vertreten sind. Eine Frage, die unschuldig aus der Wäsche guckt, vergleicht man sie mit den aktuell diskutierten Dossiers um die „Planetary Resources“ und die „Join“-Affäre. Die Notwendigkeit der Anfrage erklärte Hansen in ihrem Schreiben mit dem jährlichen Bevölkerungszuwachs von drei bis vier Prozent, was 13.000 Mitbürger*innen entspricht. Anfang 2018 lag der Anteil der Ausländer*innen an der luxemburgischen Gesamtbevölkerung bei 47,9 Prozent, verteilt auf rund 170 Nationalitäten. Die Assoziation, die Hansen machte, ist vermutlich folgende: Mehr Zugezogene gleich mehr Schüler*innen die ein international ausgerichtetes Bildungssystem bevorzugen. Das würde die Entscheidung des Bildungsministeriums des vergangenen Jahres legitimieren, das Angebot im Schuljahr 2018/2019 auszuweiten. Wollte die CSV, die momentan streberhaft Oppositionsarbeit leistet, damit während des Wahlkampfes ein erstes Zwischenfazit ziehen? Und, abhängig von der Antwort, Zähne zeigen? Das bleibt offen.

Dass es nicht unbedingt die Ausländer*innen sind, die die internationalen Schulklassen und die Europaschulen füllen, verrät die Statistik, die Meisch den Abgeordneten diese Woche servierte. Durch die Bank führen die Schüler*innen luxemburgischer Herkunft die internationalen Klassen im „enseignement secondaire“ an: Sie machen 306, also etwas mehr als ein Fünftel, der 1.312 Jugendlichen aus, die eins der Angebote im „Athénée de Luxembourg“ (AL), dem „Lycée technique du Centre“ (LTC), dem „Lycée Michel Lucius (LML) sowie in Differdingen und Esch (EIDE), Bad-Mondorf (EIMLB), Clerf (LESC) und Junglinster (LLJ) nutzen. Soviel zur Furcht bestimmter Parteien und nationalistischer Bewegungen, die sich nachts mit ihrer Luxemburg-Fahne zudecken, ein internationales Bildungsangebot schwäche Luxemburgisch als Integrationssprache und den Kontakt zu Einheimischen. Selbst, wenn die Nationalität nicht zwangsläufig etwas über den sprachlichen Kontext der Schüler*innen aussagt, wie Meisch in seiner Antwort betont, kann man durchaus davon ausgehen, dass unter den 306 Schüler*innen einige „Lëtzebuergesch schwätzen“. Ganz davon abgesehen, dass man das natürlich auch anderen Nationalitäten zutrauen darf und soll.

Am zweit öftesten trifft man an den Gymnasien mit internationalen Klassen auf Portugies*innen (201), am dritthäufigsten auf französische Jugendliche (119). Das Bildungsministerium kann 80 Fähnchen auf die Landkarte setzen, denn genau so viele Nationalitäten sind über die einzelnen Sekundarschulen hinweg verteilt. Dreht man das Ranking um, so teilen sich gleich zwanzig Nationen, die jeweils mit nur einer Person in der Statistik vertreten sind, die Spitze. Es sind unter anderem Schüler*innen aus Zimbabwe, Vietnam und Thailand. Diese drei besuchen alle das „Lycée Michel Lucius“ (LML). Das scheint unter den „internationals“ generell heiß begehrt: Es zählt 389 Schüler*innen internationaler Herkunft und begrüßt damit täglich die meisten Jugendlichen der angesprochenen Zielgruppe.

Im „enseignement fondamental“ greifen insgesamt 113 luxemburgische Schüler*innen auf die alternativen Bildungsmöglichkeiten zurück. Kinder französischer Nationalität (168) laufen ihnen den Rang ab, auf Platz drei – weit abgeschlagen – befinden sich indische Staatsbürger*innen (55). Aus zehn Nationen besucht nur jeweils ein Schulkind eine der internationalen Bildungsinstitutionen, darunter fallen auch Kinder jordanischer und vietnamesischer Herkunft. Am meisten besucht wird die Europaschule EIDE und das ISML, das nach britischem Schulsystem funktioniert. Das EIDE besuchen, neben 59 luxemburgischen Kindern, 254 Schüler*innen internationaler Herkunft. Im ISML sind es 29 Luxemburger*innen und 284 ausländische Kinder. Allgemein verzeichnet der „enseignement fondamental“ 721 Schüler*innen aus 54 Herkunftsländern, die das international ausgerichtete Programm beanspruchen.

Auch zu den Neuen in der Runde lieferte Meisch Zahlen. Im „enseignement fondamental“ und im „enseignement secondaire“ kamen 2018 das LLJ in Junglinster sowie das EIMLB in Bad-Mondorf hinzu. Im LLJ besuchen 66 Grundschüler*innen und 57 Gymnasiast*innen die internationalen Klassen. Etwas weniger Ansturm gab es auf das EIMLB: Dort vermerkt man 29 Kinder und 44 Jugendliche. Im „Lycée Edward Steichen“ in Clerf sprangen lediglich 30 Schüler*innen der Sekundarstufen auf den internationalen Zug auf.

Eine Antwort blieb Meisch Hansen schuldig. Die Klassifizierung nach sozioökonomischem Umfeld der Schüler*innen aufzustellen, nannte er „particulièrement compliquée à réaliser“. Im Kontext internationaler Studien würden die soziokulturellen und sozioökonomischen Ressourcen wissenschaftlich erörtert, nach dem Model „International Standard Classification of Education“ der UNESCO. Darüber hinaus gäbe es ähnliche Studien im Rahmen der „International Standard Classification of Occupations“ und der „International Socio-Economic Index of Occupational Status“. Er schob dem hinterher, der Aufwand sei zu groß, um eine derartige Studie zur Beantwortung der Anfrage durchzuführen. Ob Hansen nochmal schießt, bleibt abzuwarten.


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