Endometriose: „Nein, wir übertreiben nichts!“

Endometriose ist die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung. Die Symptome sind oft gravierend, doch Betroffene bleiben damit allein. Eine neue Petition fordert nicht zuletzt mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, um mit den Folgen eines Leidens umzugehen, das endlich als chronische Erkrankung anerkannt werden soll.

Starke Menstruationsschmerzen sind ein häufiges Symptom bei Endometriose. Schmerzen können jedoch auch zyklusunabhängig und im ganzen Körper auftreten. (FOTO: Polina Zimmerman/Pexels)

Seit ihrem 13. Lebensjahr litt die kenianische Radiomoderatorin Mary Njambi Koikai an unerträglichen Schmerzen. Sie kamen jedes Mal mit ihrer Regel. Siebzehn Jahre lang ging das so, ehe endlich die Diagnose gestellt wurde: Endometriose. Das ist nach Myomen, gutartigen Tumoren in der Gebärmutter, die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung überhaupt. Umso unverständlicher ist es, dass sie häufig lange unerkannt bleibt, zudem gibt es kaum ein öffentliches Bewusstsein dafür.

Konkret handelt es sich um Ansiedlungen von Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter, teils auf umliegenden Organen. Für manche verläuft die Erkrankung nahezu symptomfrei, andere leiden unter Symptomen wie chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Übelkeit oder Unfruchtbarkeit. Die Krankheit wirkt sich auch auf den Hormonhaushalt und das Immunsystem aus. In seltenen Fällen strahlt das Gewebe bis in die Lunge oder das Gehirn aus. Das war bei der kenianischen Radiomoderatorin Mary Njambi Koikai so. Im vergangenen Juni starb sie an den Spätfolgen der Operationen zur Linderung ihrer Symptome. Sie ist nur 38 Jahre alt geworden.

„Endowarrior“ nennen Joyce Dos Santos und Liliana Rodrigues die Frau, die sich den Großteil ihres Lebens für die Aufklärung und bessere Gesundheitsversorgung bei Endometriose eingesetzt hat. Für die beiden ist die Krankheit, die sie wie ihr Engagement dagegen mit Koikai verbindet, der „weiße Krebs“. Weiß, weil er so lange unerkannt bleibt. Obwohl schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aller menstruierenden Personen betroffen sind – das sind in Luxemburg circa 15.859 bis 23.788 Menschen – dauert es im Schnitt sieben Jahre, bis die Krankheit identifiziert wird. Eine wirksame Behandlung ohne Nebenwirkungen gibt es nicht.

„Es handelt sich um eine echte Krankheit und nicht nur um einfache Regelschmerzen. Man muss anfangen, uns ernst zu nehmen“, sagt Rodrigues. Studien zeigen, dass die Einschränkungen durch Endometriose alle Lebensbereiche betreffen und sich auch im Arbeitsumfeld, unter anderen in der Berufswahl und der Arbeitsbelastung, niederschlagen. Betroffene Personen sähen sich zudem mit vielen Vorurteilen konfrontiert, sagt Dos Santos. Sie hat eine Petition gestartet, um Betroffenen einen besseren Schutz am Arbeitsplatz zu sichern. Dazu gehört auch der Anspruch auf den Status als Behinderte*r, und in besonders schweren Fällen der Anspruch auf Invaliditätsrente.

Kampf um Anerkennung

Das Problem: Endometriose taucht nicht explizit auf der Liste des „Code de la sécurité sociale“ der Erkrankungen mit Langzeitfolgen der „Caisse nationale de la santé“ (CNS) auf. Darin werden jene Krankheiten aufgelistet, die als schwerwiegend und chronisch anerkannt sind und somit für Betroffene einen Anspruch auf spezielle Unterstützungsleistungen bieten.

Bereits vor drei Jahren hatte Liliana Rodrigues ebenfalls eine Petition gestartet. Dank ihrer wurde die Frage der Einstufung in der Öffentlichkeit damals breit diskutiert. Das Ministerium für Soziale Sicherheit verwies seinerzeit auf Nachfrage der woxx darauf, dass schwere Fälle sich ja unter „Punkt 31“ des Codes als „affections dites ‚hors liste’“ einstufen ließen. Darunter fallen Krankheiten, die sich progressiv verschlimmern und einer Behandlung bedürfen, die voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern werden. Demnach kann in der Theorie zwar jede*r einen Antrag für den „statut de salarié handicapé“ stellen, die Commission médicale der Arbeitsagentur Adem entscheidet dann jedoch von Fall zu Fall, ob dieser bewilligt oder abgelehnt wird. Eine eindeutige Regelung sieht anders aus. Liliana Rodrigues beispielsweise wurde abgewimmelt. „Mir wurde gesagt, das sei nicht möglich, weil Endometriose nicht von der Gesundheitskasse anerkannt wird“, sagte sie 2021 in einem Gespräch mit der woxx („Die Ausnahme der Regel“ in woxx 1660).

(Foto: pexels/Sora Shimazaki)

Als Begründung für eine Nicht-Aufnahme in den Code wie auch für die schwierige und dadurch oftmals späte Diagnosestellung wird angeführt, dass Endometriose eine Krankheit ist, die sehr individuell verläuft. Manche Betroffene erleben keine Beschwerden, andere sind in vielen wichtigen Lebensbereichen wie Partnerschaft, Lebensplanung und Beruf beeinträchtigt. Weit verbreitete Praxis ist eine Einteilung der Endometriose in vier Stadien, von leicht bis schwer, gemäß einer Definition der „American Society for Reproductive Medicine“. Es spräche nichts dagegen, die Aufnahme der Erkrankung in den Code an das Attribut „schwer“ zu knüpfen, wie aktuell bereits unter anderem bei neurologischen und muskulären Erkrankungen, Epilepsie, Atemwegserkrankungen und psychiatrischen Störungen der Fall.

Ende Juli berichtete das Luxemburger „Tageblatt“ in einem Interview mit Vera Regitz-Zagrosek, Kardiologin und Mitbegründerin der Gendermedizin in Deutschland, über die fehlende Berücksichtigung des weiblichen Körpers in der Medizin. „Endometriose zum Beispiel ist ein häufiges Gesundheitsproblem bei Frauen, dafür gibt es aber überhaupt keine medikamentösen Ansätze“, heißt es darin. Ist die Nichtanerkennung also auch ein Ausdruck von Sexismus und der Tabuisierung einer „Frauen“-Krankheit? Rodrigues zitierte hierzu bereits 2021 im Gespräch mit der woxx eine ebenfalls von Endometriose betroffene Freundin: „Wäre es eine Männerkrankheit, hätten wir längst eine Lösung.”

Sowohl Liliana Rodrigues als auch Joyce Dos Santos leiden an der schweren Form der Erkrankung. Ein Schicksal, dass die beiden Frauen verbindet und Anlass war, sich bei der aktuell laufenden Petition gegenseitig zu unterstützen. Dos Santos muss bald im „Centre Hospitalier Chrétien“ (CHC) MontLégia in Lüttich operiert werden, wo sich ein ganzes Team um Patient*innen mit Endometriose kümmert. Es ist bereits ihre zweite Operation. Nach der ersten hatte sich ihr Zustand verschlechtert. Auch Rodrigues musste sich im Jahr ihrer Petition dort einem Eingriff unterziehen. Obwohl die Petition damals nicht genügend Unterschriften erzielte, um vor dem Parlament angehört zu werden, hatte sie dennoch das öffentliche Interesse geweckt. Zusammen mit dem „Cid Fraen an Gender“ veranstaltete die Stadt Luxemburg 2022 zwei Events, einen Workshop und einen Vortrag mit anschließender Gesprächsrunde, um die Aufmerksamkeit für die Krankheit zu erhöhen. Ein erster wichtiger Schritt, auch wenn die Gesprächsrunde leider nicht im Beisein einer betroffenen Person stattfand.

Rechte der Betroffenen

Nachdem die damalige öffentliche Petition gescheitert war, wurde sie Anfang 2022 in eine einfache Petition umgewandelt, damit musste sie nicht mehr öffentlich angehört, jedoch zumindest schriftlich von der Regierung beantwortet werden. Hier heißt es: „Um eine bessere Betreuung der Krankheit und die Wahrnehmung der Rechte der von Endometriose betroffenen Personen zu gewährleisten, ist im Juni (2022, Anm. der Red.) ein Treffen zwischen dem Gesundheitsministerium und der Luxemburger Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe geplant, um über eine mögliche nationale Strategie gegen Endometriose zu diskutieren.“ Auf Nachfrage der woxx, zu welchem Ergebnis das Treffen geführt habe, antwortete das Gesundheitsministerium, dass unter anderem die Themen Fortbildung, eine nötige multidisziplinäre Betreuung für komplexe Fälle, der Mangel an zuverlässigen Daten, sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit besprochen wurden. Bezüglich des letzten Punktes habe das „Centre de sensibilisation à la santé“ bereits mehrere Initiativen gestartet.

Zudem habe man über die Einrichtung eines Referenz- und Kompetenzzentrums in Luxemburg nachgedacht. Dieses soll sich an ausländischen Vorbildern wie dem Endometriosezentrum in Deutschland orientieren und gleichzeitig Verbindung zu Spezialist*innen im Ausland halten. Laut Ministerium bleibt es jedoch vorerst bei diesen Überlegungen. Ideen, wie man betroffene Personen im Berufsleben unterstützen könnte, blieben unerwähnt.

Gerade in diesem Bereich besteht bei einem schweren Krankheitsverlauf jedoch akuter Handlungsbedarf. „Viele von uns haben studiert, um dorthin zu gelangen, wo wir heute sind, und wir wollen wegen dieser Krankheit nicht unseren Arbeitsplatz verlieren“, sagt Joyce Dos Santos. In einer Gemeinschaftsarbeit konnten Forscher*innen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich nachweisen, wie sehr Endometriose mit Beeinträchtigungen im Berufsleben, insbesondere bei der Karrierewahl, verbunden ist. Betroffene Personen können seltener ihren Wunschberuf ausüben, weil sie ihre gesundheitsbedingten Einschränkungen in einem signifikant höheren Maß berücksichtigen müssen. Die Empfehlung am Ende der Studie: Weitere Forschung zur Entwicklung von Strategien, um betroffene Frauen bei der Verwirklichung beruflicher Chancen zu unterstützen.

Endometriose und Beruf

Eine 2021 in Florida durchgeführte Studie ging der Frage nach, was Betroffene empfehlen, damit deren Arbeitgeber*innen besser auf ihre Belange eingehen können. Die Teilnehmer*innen schlugen vier Maßnahmen vor, die Arbeitgeber*innen ergreifen sollten, um Mitarbeiter*innen mit Endometriose besser zu unterstützen. Erstens Inklusivität, also einen adäquat gefassten Begriff der Betroffenen: Unter Endometriose leiden nicht nur Frauen, sondern auch trans-maskuline, nicht-binäre und andere queere Menschen, die bei diesem Thema oft ausgeschlossen werden. Zweitens Weiterbildung: Personalabteilungen und Führungskräfte müssten umfassend über Endometriose und deren Auswirkungen informiert werden, um ein besseres Verständnis für die Erkrankung zu entwickeln. Drittens Stigmatisierung bekämpfen: Arbeitgeber*innen sollten aktiv daran arbeiten, das mit der Krankheit verbundene Stigma zu verringern, indem sie eine unterstützende und rücksichtsvolle Unternehmenskultur fördern. Viertens Flexibilität: Es sollte eine größere Flexibilität bei der Arbeitszeit und am Arbeitsort ermöglicht werden, um den individuellen Bedürfnissen von Betroffenen gerecht zu werden, einschließlich der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten oder flexible Arbeitszeiten zu nutzen. In schweren Fällen reichen aber Homeoffice und flexible Arbeitszeiten allein nicht aus, um einen ausreichenden Arbeitsschutz zu gewährleisten.

Joyce Dos Santos hat bislang 4032 Unterschriften mit der Petition 3254 für ihren Kampf sammeln können. Kommt es zu einer öffentlichen Anhörung vor dem Parlament, sind vonseiten der Regierung vor allem Martine Deprez als Gesundheitsministerin, Yuriko Backes als Ministerin für Gleichstellung und Diversität und Georges Mischo als Arbeitsminister angesprochen. Joyce Dos Santos und Liliana Rodrigues sind, unabhängig vom Ergebnis der Petition, fest entschlossen weiter zu kämpfen. „Wenn es jetzt nicht klappt, versuchen wir es in einem Jahr wieder.“ Nach zwölf Monaten nämlich ist die Sperrfrist für Petitionen mit ähnlichem Thema abgelaufen. Es bleiben noch acht Tage, um die nötigen 4.500 Unterschriften zu erreichen. „Diese Krankheit hat uns bereits so viel genommen. Es ist Zeit, dass das aufhört.“

Die Endometriose-Vereinigung in Deutschland führte im Frühjahr 2022 eine explorative Umfrage mit 2.500 Betroffenen zum Thema Arbeit durch. Mit dem Resultat wollte man die Situation von erwerbstätigen Betroffenen darstellen und Handlungsmöglichkeiten ausloten. 40 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass sie aufgrund ihrer Symptome stark oder sehr stark in ihrem Arbeitsalltag beeinträchtigt sind. Bei fast der Hälfte der befragten Personen wirkt sich die Endometriose negativ auf ihre finanzielle Sicherheit aus. Fast zwei Drittel waren innerhalb der letzten sechs Monate vor ihrer Befragung aufgrund ihrer Symptome krankgeschrieben. Die Umfrage zeigte auch, dass eine flexible Gestaltung der Arbeitsbedingungen die Beschwerden verringern oder sogar vermeiden kann.


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