Étienne Schneider: Gehen, wenn es am schönsten ist

Der Wirtschafts- und Gesundheitsminister scheidet am 4. Februar aus der Regierung aus. Der unerwartet frühe Zeitpunkt hat auch mit dem Wahlergebnis von Oktober 2018 zu tun.

Foto: woxx.lu

Étienne Schneider (LSAP) gibt an, die Aufregung um seinen Rücktritt nicht so recht nachvollziehen zu können. Bei seiner kurzfristig einberufenen Pressekonferenz zu diesem Thema frotzelte er in Richtung der Pressevertreter*innen, diese seien niemals so zahlreich angetreten, wenn es darum ging, irgendein wichtiges wirtschaftspolitisches Dossier vorzustellen. Der Spieß ließe sich leicht umdrehen: Wo sollen Luxemburgs Journalist*innen sonst auch hin, zwei Tage vor Weihnachten, wenn sogar die verwaisten Baustellen keinen Anlass zu aufgeregten Kommentaren mehr liefern.

„Ich bin schon seit geraumer Zeit dienstältester Wirtschaftsminister in Europa“, erklärte der Vize-Premier und sah darin einen Beleg, dass es das normalste der Welt sei, wenn er jetzt mit diesem Job aufhören will. Tatsächlich fällt auf, dass gerade Wirtschaftsminister weniger dazu neigen, an ihren Kabinettssesseln festzukleben. Schneiders Vorgänger im Amt, Jeannot Krecké, verließ vor acht Jahren ebenfalls vorzeitig die Regierung. Im Unterschied zu Schneider allerdings zu einem Moment, wo es der Wirtschaft und dem Lande nicht unbedingt gut ging. Gut drei Jahre nach der großen Finanz- und Wirtschaftskrise wies Luxemburg ein Negativwachstum auf und die Arbeitslosenquote lag bei 7,5 Prozent.

Die erstaunlich geringe „Halbwertszeit von Wirtschaftsministern“ (dixit Schneider) dürfte allerdings auch daran liegen, dass sie im Gegensatz zu ihren Kolleg*innen der anderen Ressorts, kaum Probleme haben im Anschluss an ihre politische Karriere gut- und meist sogar besser dotierte Posten zu erhaschen.

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Manchmal, weil sie schon vorher das eine oder andere Problem für den zukünftigen Arbeitgeber „gelöst“ hatten oder weil sie, mit ihrem Insiderwissen, später dazu beitragen können, das eine oder andere Problem erst gar nicht erst aufkommen zu lassen. Deshalb gibt es ja euch einen (allerdings vollkommen unzureichenden) Ehrenkodex, der die eine oder andere kleine Warteschleife vorsieht. Da ist Étienne Schneider weder besser noch schlechter als andere. Oder um es anders zu formulieren: Acht Jahre Probezeit dürften reichen, damit das Adressbuch so prall voll ist, dass man sich seinen zukünftigen Wirkungsbereich in aller Ruhe auswählen kann.

Schneider kokettierte sogar damit, dass, seitdem er in einem Land-Interview zu verstehen gab sich von der Politik abnabeln zu wollen, sein Telefon nicht mehr still stand und die unterschiedlichsten Leute um ihn warben. Selbstverständlich hat er alle Angebote zurückgewiesen oder zumindest erklärt, dass es für eine Entscheidung wohl noch etwas zu früh wäre.

Zehn Mindestlöhne

Nun nagt ein Minister nicht am Hungertuch, wenngleich das Salär von etwa zehn Mindestlöhnen in manchen Kreisen als eher bescheiden erachtet wird. Verbunden mit dem Verbot während des Mandats zusätzlich beruflich- oder geschäftlich aktiv zu sein, lässt sich erklären, weshalb der Vorwurf, Politik sei vor allem von Staatsbediensteten durchdrungen, eigentlich eher auf die abzielt, die diesen Zustand immer wieder beklagen.

Foto : Raymond Klein

Aber Étienne Schneider ist ja ein bescheidener Zeitgenosse: Er wird zum Beispiel nicht von seinem Recht Gebrauch machen, als zurücktretender Minister ins Parlament nachrücken zu dürfen. Diese luxemburgische Sonderregelung hat es in der Vergangenheit erlaubt, Minister*innen mit weniger Fortune im Amt, den vorzeitigen Rücktritt einfacher zu machen. Oder aber es wird ausscheidenden Minister*innen ein Staatsposten angedient, am besten in einem Bereich bei dem sie etwas autonomer und nicht direkt unter der Aufsicht eines Ex-Ministerkollegen betätigen können, etwa als Kommissar*in der einen oder anderen Weltausstellung.

Auch darauf verzichtet Étienne Schneider großzügig. Und er nimmt auch keinen „congé sans solde“, der es ihn erlauben würde, nach einer vorher vereinbarten Auszeit in den sicheren Staatsdienst zurückzukehren.

Andererseits zeigt sich Schneider enttäuscht über einige Kommentare, die darauf abzielen, seinen Rücktritt als notwendige Folge von unlauteren Machenschaften darzustellen. Besonders die wirtschaftspolitischen Sprecher der CSV machten sich in den letzten Wochen einen Spaß daraus, die LSAP-Fraktion mit Fehlinvestitionen der Post oder mit staatlich geförderten Pleitefirmen aus dem „space ressources“-Bereich zu ärgern. „Ich habe weder ein Gartenhäuschen, noch sonst einen Skandal“, meinte Schneider dazu – allerdings wenig solidarisch in Bezug auf seine grüne Umwelt-Ministerkollegin.

Sein Rücktritt fuße, so erklärt Schneider, auf einem ganz einfachen Prinzip: Er hat zu viele Politiker*innen erleben müssen, die den richtigen Moment um zu gehen verpasst hatten, die aus ihrem Amt herausgedrängt wurden. Oder sie wurden einfach abgewählt und standen dann plötzlich vor dem Nichts. Er wolle sich in diesem Sinne seine Unabhängigkeit bewahren. Außerdem sei er ja stets Verfechter der These gewesen, wonach ein Minister nach zehn Jahren aufhören soll, weil man dann „seine besten Eier gelegt hat“ und Platz machen soll für neue, jüngere Kolleg*innen.

Schneider war auch einer der Initiatoren der Referendumsfrage, die Mandatsdauer von Regierungsmitgliedern auf zehn Jahre zu beschränken. Dass dieser Vorschlag keine Mehrheit fand, habe seine Gründe gehabt, er stehe allerdings noch immer zu seiner Meinung.

Foto: Raymond Klein

Nun werden es im Falle Schneiders statt zehn nur acht Jahre sein, die er im Amt gewesen sein wird – es ist kaum anzunehmen, dass der Großherzog seinen Rücktritt, den Schneider am 4. Februar offiziell einreichen will, nicht annehmen wird. Diesen frühen Termin erklärt Schneider mit dem Ausgang der letzten Wahlen, bei denen er als Spitzenkandidat nicht so abgeschnitten habe, wie er es sich erwünscht hatte. Unter seiner Führung habe die LSAP empfindliche Mandatsverluste hinnehmen müssen. „Ich habe ein weiteres Regierungsmandat und insbesondere jenes des Vize-Premiers nur deshalb angenommen, weil ich von meiner Partei, aber auch von den Grünen, quasi auf Knien darum gebeten wurde“, so Schneider bei seiner Bilanz.

Sein Ausscheiden zu diesem Zeitpunkt – wo es der Wirtschaft so gut gehe, dass er sich, anders als vor acht Jahren, den Vorwurf gefallen lassen muss, zu sehr auf Wachstum zu setzen – gebe seinem Nachfolger Zeit genug, sich in seinem Amt zu profilieren.

Während Schneider Franz Fayot (LSAP), ohne ihn beim Namen zu nennen, als einen würdigen Nachfolger im Wirtschaftsministerium sieht, macht er seiner Partei einen Vorschlag, der sich wohl nicht einfach umsetzen lassen wird: Es wäre besser wenn das Gesundheitsministerium mit dem der sozialen Sicherheit in Personalunion geführt würde, da so viele Fragen der Gesundheitsversorgung und ihrer Finanzierung zusammen laufen könnten. Dazu müsste aber Schneiders Namenskollege eines seiner beiden Lieblingsministerien abtreten, ansonsten diese Konstellation nicht möglich wird.

Der LSAP verbleibt ein guter Monat der Einkehr, um die ministerialen Ämter neu zu verteilen. Spätestens nachdem er die Entlassungsbescheinigung durch den Großherzog erhalten hat, verspricht Schneider, sich aus der Politik herauszuhalten, und auch nicht als Kommentator oder Leserbriefschreiber aktiv zu werden.


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