Beim Gipfeltreffen von Europäischer und Afrikanischer Union Ende dieser Woche in Brüssel geht es um die vielfältigen Folgen der Coronapandemie. Auch was der „European Green Deal“ für Afrika bedeutet, wird zur Sprache kommen. Die Interessen der Zivilgesellschaft wurden bei all dem kaum berücksichtigt. Kritiker*innen befürchten vor allem von europäischer Seite viel heiße Luft.
Eines hat man auf dem afrikanischen Kontinent längst gelernt: Worte sind die Währung, mit der die Europäische Union am freigiebigsten ist. Eine neue „Afrika-Europa-Allianz“ – nicht weniger als das wollte die EU anlässlich des Gipfeltreffens mit der Afrikanischen Union (AU) Ende dieser Woche verkünden. Das geht aus dem geleakten Entwurf einer gemeinsamen Erklärung hervor, die für das Treffen in Brüssel vorbereitet wurde. Von bedeutsam klingenden Worten hat die Afrikanische Union jedoch offenbar mehr als genug. Sie wies die geopolitisch verbindlich wirkende Formulierung laut Medienberichten zurück. Stattdessen spricht man lieber heruntergekocht von einer „Partnerschaft“.
Der Streit um Worte illustriert, wie weit die Positionen derer auseinanderliegen, die seit Donnerstag in der belgischen Hauptstadt um den Konferenztisch versammelt sind. Infrastrukturprojekte, ein Investitionspakt zur Förderung des ökologischen Wandels sowie Gesundheitspolitik sind Themen, die bei dem ersten Gipfeltreffen seit Beginn der Pandemie ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Mit viel Aplomb werden geplante Projekte und Versprechen von der europäischen Seite vorgetragen. Doch beim afrikanischen Partner wittert man vor allem heiße Luft.
Dies gilt auch für den Investitionspakt „Global Gateway“, den die EU-Kommission Anfang vergangenen Dezember vorgestellt hat. Insgesamt 300 Milliarden Euro will die EU bis 2027 über verschiedene Regionalpläne ausgeben und damit auch auf die Folgen der Coronapandemie in den sogenannten „Schwellen- und Entwicklungsländern“ reagieren. Allein 150 Milliarden davon sind für den afrikanischen Kontinent gedacht. Das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch Ende vergangener Woche in Senegal angekündigt. Europa sei der größte und „zuverlässigste“ Partner des afrikanischen Kontinents, sagte sie in der Hauptstadt Dakar.
In Afrika selbst jedoch betrachtet man den „Global Gateway Africa“ mit Skepsis. Es ist kein Geheimnis, dass sich die gesamte Initiative der EU nicht zuletzt gegen den zunehmenden Einfluss Chinas im Globalen Süden richtet, das seit Jahren mit dem Ausbau einer „Neuen Seidenstraße“ beschäftigt ist. Während dabei Umweltschutz und Menschenrechte missachtet werden, will die Europäische Union gerade auf diesem Terrain punkten. Man verfolge mit der Initiative einen „demokratischen, werteorientierten Ansatz“, so von der Leyen auf einer Pressekonferenz. Die EU-Kommission verspricht, „Afrika bei einem starken, integrativen, umweltfreundlichen und digitalen Aufschwung und Wandel zu unterstützen“, unter anderem mit der „Beschleunigung des nachhaltigen Wachstums und der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze“.
Kritiker*innen befürchten, dass der Global Gateway Africa in erster Linie ein „smart rebranding“ bereits bestehender Programme ist.
Kritiker*innen wie San Bilal vom „European Centre for Development Policy Management“ (ECDPM) in Brüssel befürchten, dass der „Global Gateway“ in erster Linie ein „smart rebranding“ bereits bestehender Programme ist. Dass frisches Geld in die Hand genommen wird, ist derzeit nicht ersichtlich. Als „Wunschdenken“ bezeichnet daher der Entwicklungsökonom Carlos Lopes von der Universität Kapstadt die Initiative. Sie reihe sich in eine lange Liste anderer Pläne der EU ein, aus denen ebenfalls nichts geworden sei. Dazu trage auch bei, dass die Architekten*innen solcher Pläne dazu neigten, diese ohne Rücksprache mit den afrikanischen Partnern zu entwerfen. „Das Global Gateway wurde in keinem zwischenstaatlichen Prozess zwischen den beiden Kontinenten vorgelegt“, so Lopes gegenüber dem Onlineportal „EUObserver“.
Details des Afrika-Regionalplans sollen am Rande des EU-AU-Gipfels vorgestellt werden. Dazu zählen beispielsweise Projekte zur Energieerzeugung mit klimaneutralem Wasserstoff. Indes sind die Interessenwidersprüche der verhandelnden Parteien nicht zuletzt in Fragen der Energiegewinnung groß. Im Juli vergangenen Jahres hat die EU mit der Umsetzung ihres „European Green Deal“ (EGD) begonnen. Dies geschah einmal mehr, ohne die Auswirkungen auf den afrikanischen Kontinent angemessen miteinzubeziehen. Gerade dort jedoch ist man von den gravierenden Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Zudem haben die einzelnen Maßnahmen des EGD einen erheblichen Einfluss auf die dortige Wirtschaft.
Ein Rückgang der europäischen Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Kobalt, Nickel und anderen wichtigen Mineralien für die Energiewende wird die Weltmärkte und damit auch die Wirtschaft der ölabhängigen und mineralienreichen afrikanischen Länder stark beeinflussen, so eine aktuelle Studie der Denkfabrik „Carnegie Endowment for International Peace“. Auch der CO2-Grenzausgleichsmechanismus für Importe, der verhindern soll, dass energieintensive Sektoren der EU ihre Emissionen einfach ins – beispielsweise afrikanische – Ausland verlagern, wird die dortigen Länder betreffen. Was all die Maßnahmen des EGD für Afrika im Einzelnen bedeuten, muss man dort erst noch abzuschätzen lernen – und möchte sich daher während des Gipfels nur bedingt auf Diskussionen über Energie und die grüne Transformation einlassen.
„Die Gier, die sie an den Tag legen, ist enttäuschend, vor allem, wenn sie behaupten, sie seien unsere Partner.“
Zudem existieren auch in Afrika selbst widerstreitende Interessen. Auf der einen Seite steht eine wachsende Zahl afrikanischer Nationen, die in erneuerbare Energien investieren wollen, auf der anderen Länder mit großen Vorräten an fossilen Brennstoffen, die vor allem für die wirtschaftlich wenig entwickelten unter ihnen eine elementare Einkommensquelle bilden. Selbst der derzeitige Vorsitzende der Afrikanischen Union, der senegalesische Präsident Macky Sall, erinnerte auf der Pressekonferenz bei von der Leyens Besuch daran, dass „noch immer mehr als 600 Millionen Afrikaner ohne Elektrizität auskommen müssen“. Er plädierte daher dafür, die Erdgasgewinnung weiter zu fördern. Deren Stopp hatte er zu einem früheren Zeitpunkt gar als „Todesstoß“ für die afrikanische Wirtschaft bezeichnet. Er und andere fürchten, dass nicht zuletzt Afrika teuer für die europäische Energiewende bezahlen wird, falls es nicht zu einem nachhaltigen Ausgleich kommt.
Doch ist es vor allem die Debatte um die Impfstoffe gegen eine Covid-19-Erkrankung, die viele Verantwortliche afrikanischer Länder derzeit besonders erzürnt. Man wirft der EU eine egoistische Haltung bei der Verteilung der Vakzine vor. „Sie geben uns nur die Brosamen von ihrem Tisch“, hatte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa vergangenen Dezember über die westlichen Industrienationen gesagt: „Die Gier, die sie an den Tag legen, ist enttäuschend, vor allem, wenn sie behaupten, sie seien unsere Partner.“ Das Leben der Menschen in Afrika sei nicht weniger wichtig als überall sonst.
Ramaphosa und anderen Politiker*innen reicht es daher nicht, wenn die EU mit ihrem „Global Gateway“ eine „Verbesserung der Durchimpfungsrate“ sowie eine „Stärkung des afrikanischen Pharmasystems mit regionalen Produktionskapazitäten zur Deckung des lokalen Bedarfs“ bis spätestens 2030 verspricht. Bereits vor 15 Monaten hatte Südafrika gemeinsam mit Indien und mehr als hundert weiteren Staaten eine temporäre Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe gefordert. Dies war am Einspruch westlicher Industrienationen gescheitert (siehe dazu woxx 1630 „Globale Impfstoffverteilung: Umsonst ist nur der Tod“).
Auch in der eingangs zitierten Erklärung sollte der Verzicht auf den Patentschutz nach dem Willen der AU explizit zur Sprache kommen. Die EU aber bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung. Zwar hat man den afrikanischen Staaten eine Milliarde Euro versprochen, um die Produktion von Impfstoffen in Afrika auszubauen. Auch weitere Impfdosen sowie die Investition von 125 Millionen Euro in eine raschere Impfstoffverteilung hat von der Leyen in Dakar bereits zugesagt. Letztlich wird es jedoch darauf ankommen, ob sich die EU in Sachen Patentrecht doch noch bewegt. Sonst werden die Worte der EU – wie etwa eine den afrikanischen Ländern großzügig zugestandene „Gesundheitssouveränität“ – ohne die nötige Wirkung bleiben.
Noch immer nämlich sind nur knapp zwölf Prozent der afrikanischen Bevölkerung vollständig geimpft. Obwohl die sogenannte „Übersterblichkeit“ in Afrika glücklicherweise weitaus geringer ist als in Europa, sind die wirtschaftlichen Folgen der niedrigen Impfquote gravierend. Annähernd 40 Millionen Menschen in Afrika sind dadurch laut Berechnungen der Weltbank in extremer Armut gelandet. Eine beschleunigte Impfstoffverteilung würde demgegenüber zu einer Wachstumssteigerung um 5,1 Prozent allein im Jahr 2022 führen. Die derzeitige Situation jedoch bedeute für den gesamten Kontinent einen Verlust von monatlich 13,8 Milliarden US-Dollar im Bruttoinlandsprodukt.
Auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen beider Kontinente haben angesichts all dessen nicht mit Kritik gespart. Sowohl die EU als auch die AU hätten es „bis zum letzten Moment versäumt“, die Zivilgesellschaft in die Vorbereitung des Gipfels einzubeziehen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung an die in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs. Die Unterzeichnenden, zu denen auch die Plattform der in der internationalen Solidarität aktiven luxemburgischen NGOs „Cercle de Coopération“ zählt, kritisieren unter anderem die „unzureichende Betonung der zentralen, systemischen Probleme der afrikanischen Länder“.
Nicht gerade optimistisch stimmende Voraussetzungen für den Gipfel also. Dieser hätte ohnehin bereits im Oktober 2020 stattfinden sollen, wurde jedoch verschoben – angeblich pandemiebedingt. Schon damals hatte man sich in der Vorbereitung nicht auf ein gemeinsames Statement einigen können. „Die EU sollte daher über den Aufschub erleichtert sein“, hatte Geert Laporte, Direktor der „European Think Tank Group“ damals halb ironisch, halb ernsthaft kommentiert. Schließlich könne die Zwangspause zur Vorbereitung „einer gründlich ausgehandelten, interessengeleiteten Partnerschaft führen“ – sofern „in den kommenden Monaten keine Zeit vergeudet wird“. Knapp anderthalb Jahre später macht es eher den Eindruck, als sei Letzteres geschehen.
Einige Wirtschaftsdaten: Wenn die Europäische Union (EU) und die Afrikanische Union (AU) miteinander verhandeln, dann betrifft das auf Seiten der EU die Zukunft von 27 Ländern und knapp 449 Millionen Menschen. Die AU umfasst 55 Länder und eine Population von 1,3 Milliarden. Die EU erzielte im Jahr 2017 einen Anteil von 22,7 Prozent des global erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts. Der Anteil der Afrikanischen Union betrug lediglich 2,9 Prozent. Die Handelsbilanz der beiden Staatenverbände fällt ebenfalls zugunsten Europas aus: Mit einer Güterausfuhr in Höhe von knapp 149 Milliarden Euro erzielte die EU einen Exportüberschuss von rund 18 Milliarden Euro. (Quelle: Eurostat)