Die Vorbereitungen für den Start des Solar Orbiters sind in der Endphase. Die Wissenschaftler hoffen, dank der europäischen Sonde die auf der Sonnenoberfläche ablaufenden Prozesse besser zu verstehen.

Übersicht der Solarmissionen seit 1994. (Nasa / PD)
Was auf der Sonne los ist, interessiert nicht nur Astronomen. Turbulenzen auf der Sonne wirken sich auf Klima und Funkverbindungen auf der Erde aus. Die Erforschung des Sterns, der den Mittelpunkt unseres Planetensystems darstellt, schreitet langsam voran – nach den Entdeckungen der amerikanischen Cassini-Sonde werden die der europäischen Solar-Orbiter-Sonde mit Spannung erwartet.
Unser Sonnensystem umfasst – neben der Sonne selbst – die Planeten, deren Satelliten, Zwergplaneten, Asteroiden, Meteoroiden, Kometen und jede Menge Gas- und Staubteilchen. Das alles ist in eine Plasmablase gehüllt, die Heliosphäre. Diese schirmt das Sonnensystem vor interstellarer Materie ab. Eine riesige, schützende Blase, die sich durch das Magnetfeld der Sonne und den Sonnenwind bildet. Welche Form die Heliosphäre hat, ist immer noch unklar. Man ging bisher von etwas Kometenförmigem mit einem lang gezogenen Schweif aus. Eine 2017 veröffentlichte Studie, die auf Daten der NASA-Sonde Cassini basiert, zeichnet jedoch ein anderes Bild. Danach ist die Heliosphäre kugelförmig – von einem Schweif keine Spur.
Was nur ein Zwischenergebnis sein dürfte. Überhaupt gibt es noch viele ungeklärte Fragen in der Sonnensystemforschung. Solar Orbiter soll Antworten liefern. Die Raumsonde hätte längst unterwegs sein sollen. Doch die Europäische Raumfahrtagentur ESA verschob den Start auf Februar 2019 und noch einmal auf Februar 2020.
Zur Sonne, zur Weisheit!
Anfang übernächsten Jahres geht die Sonde nun von Cape Canaveral aus an Bord einer NASA-Trägerrakete auf die Reise. Eine ziemlich lange, gut 3 Jahre dauernde Reise. Solar Orbiter muss mehr als zwei Drittel der knapp 150 Millionen Kilometer überwinden, die zwischen Erde und Sonne liegen. Bis auf 0,28 astronomische Einheiten (AE) nähert sie sich dem Zentralstern. Das entspricht 40 Millionen Kilometern.
Dass eine Sonde so nah an die Sonne heranfliegt, ist nichts Neues. Die Helios-Sonden erreichten vor gut 40 Jahren ähnliche Abstände. Die im Herbst startende Nasa-Sonde Parker Solar Probe wagt sich sogar bis auf 6 Millionen Kilometer heran. An Bord sind jedoch nur In-situ-Instrumente, die Daten in der Umgebung der Sonde erfassen. Es fehlen Remote-Sensing-Instrumente, Teleskope oder Kameras, die direkt auf die Sonne schauen und Bilder übermitteln. Solar Orbiter kombiniert beides, In-situ und Remote Sensing. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt Joachim Woch vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen.
Woch hat den Bau eines der 10 Messinstrumente geleitet, des Polarimetric and Helioseismic Imager (PHI). Der bildgebende PHI schaut am tiefsten in die Sonne hinein. Er beobachtet die Fotosphäre, also die unterste Schicht der Sonnenatmosphäre, wie die äußere Gashülle des Sterns heißt. Die Fotosphäre bildet die sichtbare Oberfläche der Sonne – das, was wir von der Erde aus sehen. Dort geht es bei 6.000 Grad Celsius regelrecht kühl zu im Vergleich zum Sonnenkern, wo es unvorstellbare 15 Milliarden Grad heiß ist.

Sonneneruption: Näher ran für bessere Fotos. (Nasa – SDO / PD)
Schattenmuster im Röntgenlicht
Mit den PHI-Daten will man das solare Magnetfeld kartografieren. Lokale Störungen in diesem Magnetfeld verursachen die dunklen Sonnenflecken, deren Zahl und Größe anzeigt, wie aktiv die Sonne ist. Durchschnittlich alle elf Jahre gibt es ein Maximum an Aktivität. Gleich über dem PHI sitzt das Metis-Teleskop. Es dokumentiert die energetischen Prozesse in der Korona, dem Rand der Sonne, den wir nur bei totaler Sonnenfinsternis sehen können. Woch: „Dort verflüchtigt sich die Sonnenatmosphäre. Teilchen lösen sich ab und strömen als Sonnenwind in den interplanetaren Raum.“
Auch Forscher der Fachhochschule Nordwestschweiz sind beteiligt. Sie konstruierten STIX, das Kürzel steht für Spectrometer/Telescope for Imaging X-rays. Das Teleskop untersucht die Röntgenstrahlung der Sonne. Diese lässt sich nicht mit einer normalen Glaslinse abbilden, da die Strahlung die Linse bloß durchdringen würde. Deshalb nutzt man den Moiré-Effekt. Das Teleskop besteht aus zwei Sätzen von Gittern aus dem Metall Wolfram, die einen halben Meter auseinanderliegen. „Die Röntgenstrahlen der Sonne fallen durch ein Fenster auf diese beiden Gitter und produzieren so ein Schattenmuster im Röntgenlicht“, erklärt Projektleiter Samuel Krucker. Hinter dem zweiten Gitter ist eine Detektorplatte mit 32 Sensoren befestigt. Diese erkennen anhand des Musters, aus welcher Richtung die Strahlung kommt. STIX registriert als erstes Instrument an Bord, wenn es auf der Sonne eine Eruption gibt – und gibt die Information an die anderen Geräte weiter.
Trotz 40 Millionen Kilometer Entfernung hat es die Sonde immer noch mit hohen Temperaturen zu tun. 600 Grad sind es auf der sonnenzugewandten Seite des Hitzeschildes. Besonders die bildgebenden Instrumente, die direkt in die Sonne schauen, müssen geschützt werden. Beim PHI nutzt man dafür ein speziell beschichtetes Fenster, das nur einen sehr kleinen Spektralbereich des Sonnenlichtes durchlässt – den Bereich, der für die PHI-Messungen relevant ist. Der Rest des Spektrums wird reflektiert oder absorbiert.
Weltraum-Wetter-Vorhersagen
Hinter dem Schild herrschen akzeptable 20 Grad, und dort verrichtet auch ein Großteil der In-situ-Instrumente ihre Arbeit. Sie nehmen alles auf, was von der Sonne abströmt und auf den Satelliten trifft: den Sonnenwind, die elektromagnetischen Wellen und energiereiche Teilchen, die fast Lichtgeschwindigkeit erreichen. Zu den In-situ-Geräten gehört der Solar Wind Plasma Analyser, der die Hauptkomponenten des Sonnenwindes bestimmt.
Es geht bei Solar Orbiter nicht um Einzelbeobachtungen, wie Woch betont. „Wir wollen die Sonne und ihre eruptiven Phänomene von der Fotosphäre bis weit in den interplanetaren Raum hinein beobachten.“ Aus den Daten der einzelnen Instrumente soll sich ein Gesamtbild ergeben. Vor allem kleinskalige Prozesse gilt es besser zu verstehen. Koronale Massenauswürfe oder Sonneneruptionen, die maßgeblich das Weltraumwetter beeinflussen. „Von den groben Strukturen wie dem 11-Jahres-Zyklus der Sonne haben wir bereits ein relativ klares Bild“, sagt Woch. Jedoch speist es sich nur aus Beobachtungen in den Äquatorregionen. Nun will man den aktuellen Kenntnisstand durch Messungen in den Polregionen bestätigen oder widerlegen. Denn Solar Orbiter wird die erste Sonde sein, welche die Sonne so umkreist, dass der Blick auf deren Pole möglich ist.
Schwung holen

Der Trick mit dem Swing-by-Manöver. (Wikimedia / Paulsmith99 / CC BY-SA 4.0)
Die Gesamtdauer der Mission beträgt zehn Jahre. Das Austesten der Instrumente beginnt eine Woche nach dem Start und dauert 3 Monate, danach gehen die In-situ Instrumente in den Wissenschaftsbetrieb. Der wissenschaftliche Betrieb der Remote-sensing-Instrumente beginnt zwei bis drei Jahre später, wenn die operative Umlaufbahn erreicht ist. Die Sonde an die Sonne heranzubringen, ist jedoch keine ganz leichte Aufgabe. „Die Herausforderung liegt gar nicht so sehr in der Entfernung, sondern im Überwinden des Gravitationsfeldes der Sonne“, erklärt Woch. Dafür braucht es sogenannte Swing-by-Manöver. Im Fall von Solar Orbiter ist es vor allem die Gravitationskraft der Venus, die der vorbeifliegenden Sonde ausreichend Schwung gibt für den langen Weg zur Sonne.