Exitstrategie: Sommer der Infektion

Mit Maskenpflicht und vielen Vorbehalten will die Regierung uns langsam in Richtung Normalität zurückführen. Doch sie verschweigt, dass „normal“ ganz anders sein wird.

Foto: pixabay/Al3xanderD

„Nein, es kann nicht sein, dass morgen wieder alles offen hat!“ Mit diesem Satz leitete Premierminister Xavier Bettel (DP) seine Erklärungen zur Lockerung der Lockdown-Bestimmungen ein. Ganz langsam müsse man einen Weg gehen, in dem verschiedene Sektoren zurück in die Normalität könnten. Ab Montag, dem 20. April, wird auf Baustellen wieder gewerkelt, Gärtner*innen können wieder arbeiten und Baumärkte und Recyclingcenter sind wieder geöffnet. Drei Wochen später, am 11. Mai, soll der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden, allerdings mit alternierenden Klassen. Die Abschlussklassen bilden eine Ausnahme – obwohl niemand weiß, ob die Anmeldefristen an Europas Universitäten nicht ohnehin verschoben werden.

Außerdem gilt eine Mundschutzpflicht überall dort, wo die vorgeschriebene Distanz von zwei Metern nicht eingehalten werden kann. Immerhin ist kein medizinischer Mundschutz vorgeschrieben, sondern es dürfen auch Buffs und Schals zum Einsatz kommen. Wann Restaurants, Cafés und Kulturstätten wieder aufsperren dürfen, ist noch nicht bekannt – „Bleift doheem“ lautet weiterhin die Devise. Im August soll es allerdings schon wieder Großveranstaltungen geben. Ein abgekürzter Festivalsommer und eine Schueberfouer mit Mundschutz sind schwer vorstellbar, könnten aber stattfinden.

Auch der Schulbetrieb könnte sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu einem Infektionsherd entwickeln. Immerhin bleiben junge Menschen oft symptomfrei und können so unbemerkt andere anstecken. Wenn die Lockerungen zu früh kommen, könnte der Sommer 2020 der Sommer der Infektion werden. Immerhin lässt sich mit einem Mundschutz sehr schlecht Bier trinken und eine Schueberfouer mit zwei Metern Abstand zu jeder Person ist schlicht undenkbar.

Die Gefahr, mit einer zweiten Infektionswelle das Gesundheitssystem zu überlasten, ist groß. Angesichts der Tatsache, dass Deutschland Großveranstaltungen einen Monat länger verbieten wird, muss die luxemburgische Entscheidung vermutlich überdacht werden – ansonsten wird Luxemburg das zweite Ischgl.

Tatsächlich ist mit einer Situation, die annähernd als „normal“ gelten kann, erst zu rechnen, wenn es wieder möglich ist, sämtliche Covid-19-Fälle und direkte Kontakte zu isolieren, um eine Verbreitung des Virus einzudämmen. Dazu muss die Infektionsrate drastisch gesenkt werden, und das geht nur mit den Maßnahmen, die wir gerade einhalten.

Wenn die Lockerungen zu früh kommen, könnte der Sommer 2020 der Sommer der Infektion werden.

Natürlich sehnen sich alle nach Normalität, wollen ihre Freund*innen und Familie wiedersehen. Die Aussicht, den Sommer zum größten Teil zu Hause zu verbringen, ist alles andere als verlockend. Die psychologischen Effekte, die die Isolation auf uns hat, sind nicht zu unterschätzen. Doch gerade deswegen wäre es wichtig, dass die Politik die Bürger*innen auf die neue Normalität vorbereitet. Bis ein Impfstoff oder eine wirksame Therapie entwickelt wurde, werden wir wachsam bleiben müssen. Das heißt, dass es auf lange Zeit weiterhin Einschränkungen geben wird: Mundschutzpflicht, Veranstaltungen nur mit wenigen Menschen und viel Distanz und Homeoffice überall, wo es möglich ist.

Es ist selbstverständlich schwer, genau vorherzusagen, wann welche Sektoren langsam wieder beginnen können, ihre Aktivitäten aufzunehmen, und es ist normal, dass die Regierung hier auf Sicht fliegt. Allerdings fehlt bei den Ankündigungen von Bettel und Lenert stets die langfristige Perspektive: Spätestens bis zum Ende des Jahres wird die Normalität eine andere sein als jene, die wir bisher kannten. Das sollte breit kommuniziert werden – denn eine zweite Infektionswelle können weder das Gesundheitssystem, noch die Wirtschaft, über deren Transformation ebenfalls schleunigst nachgedacht werden muss, verkraften.


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