Fahrrad: Tag des Abstands

Am Samstag ist es wieder so weit: Die jährliche große Fahrraddemo in Luxemburg-Stadt soll die Belange der pedalierenden Verkehrsteilnehmer*innen in Erinnerung rufen.

In der Avenue Pasteur auf Limpertsberg wird ein Doppelfahrradstreifen auf Kosten der Fußgänger*innen, der Restaurant-Terrassen und der Straßenbäume realisiert, nur damit die Autos weiter durchfahren können. Eine „sichere Infrastruktur“ auf die ProVelo.lu gerne verzichtet hätte. Die Forderung diesen Straßenteil als verkehrsberuhigte Zone mixte zu gestalten und nur für Anrainer*innen-Autos zugänglich zu machen, wurde von der Stadtverwaltung abgelehnt. (Foto: woxx)

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Piraten Sven Clement wusste Polizeiminister Henri Kox Folgendes zu berichten: „An de leschte 6 Méint huet d’Police allerdéngs kee Verstouss géint den Artikel 125.08 vum Code de la Route (Mindestofstand vun 1,5 Meter beim Iwwerhuele vu Vëlosfuerer net agehalen) festgestallt.“ Das liest sich, als ob die luxemburgischen Autofahrer*innen penibel genau die Vorgaben des Code de la Route in Sachen Mindestabstand einhalten würden. Das deckt sich allerdings nicht mit den Erfahrungen, die viele Radfahrer*innen im Alltag machen. Die in Luxemburg erst 2018 eingeführte Regelung scheint nämlich längst noch nicht bei allen, die motorisiert im Straßenverkehr unterwegs sind, angekommen zu sein.

Tatsächlich hätte der Minister schreiben müssen: „Die Polizei hat kein solches Vergehen geahndet.“ Denn beobachtet wurden solche schon. Während zwei Unterredungen, die die Vertreter*innen von ProVelo.lu im Herbst mit dem Polizeiminister respektive dem Verantwortlichen des nationalen Dienstes für Straßenverkehr und -sicherheit der Polizei, André Schaack, hatten, wurde auch das Thema Mindestabstand angesprochen. Damals hieß es, die Polizei verfüge nicht über die nötigen Hilfsmittel, um den Mindestabstand kontrollieren und somit auch bei Nichteinhaltung ahnden zu können.

Philippe Herkrath, Vizepräsident von ProVelo.lu, äußerte gegenüber der woxx zwar Verständnis für die Probleme der Polizei, den Mindestabstand beweiskräftig kontrollieren zu können, doch kann er die Formulierung des Ministers nicht akzeptieren. Beispiele aus dem Ausland zeigen, wie es geht: Bei Kontrollen wird zum Beispiel an einer bestimmten Stelle ein Behelfsstrich mit Kreide eingezeichnet, der 1,5 Meter neben der Linie liegt, die normalerweise von den Radfahrer*innen genutzt wird. Polizeibeamt*innen beobachten dann aus einiger Entfernung die Situation und fotografieren als Beweis die Autos, die beim Überholen von Fahrrädern nicht links von diesem Strich gefahren sind. Andernorts lassen sich Rad fahrende Polizist*innen in Zivil, mit Abstandsmessern ausgestattet, überholen und filmen dann die Autos, die ihnen zu nahe gekommen sind.

Das sind natürlich eher aufwändige Kontrollen, die sicher nicht jeden Tag und an allen gefährlichen Stellen ausgeführt werden können. Geschwindigkeits- oder Alkoholkontrollen werden allerdings auch nicht spontan durchgeführt sondern bedürfen einer bestimmten Vorbereitung. Die Polizeiverantwortlichen führten bei den Gesprächen mit ProVelo.lu unter anderem an, dass Videoaufnahmen auf Grund des Datenschutzes zu gerichtlichen Zwecken nicht eingesetzt werden können.

Polizeiliche Kontrollen sind nie allumfassend und sollen vor allem als Abschreckung dienen. Wenn aber die Polizei von vornherein solche Kontrollen ausschließt, ist auch kein abschreckender Effekt auszumachen. Und damit bleibt auch die 1,5-Meter-Abstandsregel bloß schöne Theorie, auf die sich die Radfahrer*innen in der Praxis also nicht verlassen können.

Dass der Polizei die Zeit und die Lust zum Verbalisieren nicht vergangen ist, zeigen allerdings einige Postings von Radfahrer*innen in den sozialen Medien. So wurden dieser Tage an mehrere Berufspendler*innen in Strassen Knöllchen verteilt, vor allem weil ihre Bikes nicht vorschriftsmäßig ausgestattet waren. Dabei handelt es sich in der Regel um mangelnde Beleuchtung oder fehlende Klingeln.

Natürlich sollten alle Verkehrsteilnehmer*innen mit ordentlich aus-
gestatteten Verkehrsmitteln unterwegs sein. Und es ist sicher effizienter in Gefahrensituationen andere mit den üblichen Klingel- oder Huplauten zu warnen, als in der Gegend herumzubrüllen. Allerdings fragt sich Philippe Herkrath, wieso gerade unzureichende Beleuchtung um neun Uhr in der Frühe bei schönstem Sonnenschein geahndet werden muss.

ProVelo.lu macht jeden Herbst – übrigens in Zusammenarbeit mit der Polizei – eine Sensibilisierungsaktion, bei der den unzulänglich ausgestatteten Radfahrer*innen nicht ein „Avertissement taxé“ vor die Nase gehalten, sondern angeboten wird, das fehlende Equipment gleich an Ort und Stelle anzubringen. Was auch auffiel: Die Polizei verteilte auch Strafzettel in Strassen am Anfang der diesjährigen Kampagne „Mam Vëlo op d’Schaff“, bei der so mancher Drahtesel erstmals seit Langem wieder zu Einsatz kam und die „Chance“, auf fehlende Teile zu stoßen, wohl als besonders hoch eingeschätzt wurde.

So wie die 1,5-Meter-Abstands-regel sollte natürlich auch das Wissen um das nötige Sicherheitsequipment allen Verkehrsteilnehmer*innen ins Mark übergehen. Allerdings ist vielen Radfahrer*innen nicht immer bewusst, dass sie gegen die Regeln verstoßen. So müssen zum Beispiel Fahrräder an Vorder- und Hinterrad über in die Speichen seitlich eingeklemmte Reflektoren verfügen. Ersatzweise kann ein Rad auch mit Reifen ausgestattet sein, welche an den Seiten mit einer reflektierenden Schicht versehen sind. Wird einer der Reifen eines Tages ersetzt, etwa weil das Profil abgeschliffen ist, kann es durchaus vorkommen, dass das reflektierende Modell nicht vorrätig ist und durch eines ohne reflektierende Schicht ersetzt wird. Geschulte Fahrradhändler*innen machen die Kund*innen dann auf die fehlenden Reflektoren aufmerksam.

Doch wer sein Rad selber instand hält, kann die Sache mit den Reflektoren eben auch mal übersehen. Ein Hinweis seitens der Polizei, sein Gerät doch bitte für wenige Euro nachzurüsten, dürfte dann den erwünschten Effekt nicht verfehlen. Ein Verwarnungsgeld, wie in Strassen erteilt, allerdings durchaus als Schikanierung empfunden werden.

Der Twitter-Account von „bikelaneLux“ ermittelt regelmäßig die an den Zählern „Rout Bréck“, „Glacis“ und „Viaduc“ ermittelten Fahrradzahlen. Ende Mai 2022 wurden fast 60 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr erreicht.

Kaum beachtete Abstandsregeln und übereifrige Polizist*innen verhindern allerdings genauso wenig den Trend hin zum Fahrrad wie die immer noch unzulänglichen Infrastrukturen. Deshalb und aus Anlass des UNO Welttags des Fahrrads, der seit 2018 an jedem 3. Juni gefeiert wird, organisiert ProVelo.lu an diesem Samstag unter dem Motto „Safe Cycling Now!“ eine „Vëlos-Manif“. Eigentlich ist es ein ganzes Fest, das von 11 Uhr morgens bis 19 Uhr abends bei der „Gëlle Fra“ abgehalten wird. Die eigentliche Demo beginnt dann dort ab 14 Uhr mit den politischen Statements und einer anschließenden Rundfahrt, die diesmal über das Bahnhofsviertel nach Bonneweg und zurück ins Zentrum führt.

Demo mit Fest

Nach einer sehr erfolgreichen „Vëlos-Manif“ im letzten Jahr scheint die Tradition einer jährlichen Aktion Anfang Juni also eine Wiederbelebung zu erfahren. Sie ist auch einer Abstimmung mit den (Pedal-)Füßen geschuldet, denn die Zahl der Radfahrer*innen nimmt weiterhin beständig zu. Der Twitter-Account von „bikelaneLux“ (siehe Grafik in der Randspalte) stellt regelmäßig die an bestimmten Erhebungsstellen ausgewiesenen Werte ins Netz. So wurden in diesem Jahr kulminiert an den Zählern „Rout Bréck“, „Glacis“ und „Viaduc“ bis Ende Mai 359.569 Räder gezählt, ein Plus von 57,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr am gleichen Datum. Seit Anfang des Jahres lag der so ermittelte Wert beständig über dem des Vorjahres.

Der Hype, den das Fahrrad während der Pandemie erfahren hat, scheint sich also fortzusetzen, was natürlich den Ruf nach entsprechenden Infrastrukturen noch verstärken dürfte. Der Forderungskatalog, den ProVelo.lu anlässlich der diesjährigen Demo an die Verantwortlichen von Staat und Gemeinden richtet, birgt deshalb wenig Neues, sondern soll eher als strukturierte Anleitung zur Aufholung eines in den vergangenen Jahren angehäuften Rückstands verstanden werden.

So mangelt es noch immer an einem sicheren, durchgehenden und flächendeckenden Fahrradwegenetz. Trotz wegweisender Beispiele an einigen Orten bleiben viele Gefahrenpunkte unangetastet und die Vernetzung zwischen den Gemeinden ist vielfach inexistent. Und noch immer wird das Fahrrad bei Neubauprojekten nicht von Anfang an mitbedacht. Genehmigungsprozeduren für wichtige Radwege dauern sehr lange, weshalb der Staat und die Gemeinden auf das Mittel provisorischer Pop-up-Infrastrukturen zurückgreifen sollten.

Wichtig ist den Veranstalter*innen der „Vëlos-Manif“ auch der gegenseitige Respekt aller Verkehrsteilnehmer*innen, weshalb Sensibilisierungskampagnen aber auch Kontrollen – etwa im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten 1,5-
Meter-Regelung – durchgeführt werden sollen.

Weiterhin fordert ProVelo.lu ein flächendeckendes Tempolimit auf 30 Stundenkilometer in Ballungsräumen und Wohngebieten, verbunden mit entsprechenden baulichen Anpassungen. Neben einer Verringerung von Unfällen mit schweren Verletzungen bei Teilnehmer*innen des „sanften Verkehrs“ würden so auch Abgasemissionen und Verkehrslärm verringert.

Des Weiteren wird sich eine bessere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen gewünscht, die auch eine direkte Beteiligung der Bürger*innen bei der Planung von Fahrradinfrastrukturen umfassen sollte.

Schlussendlich soll die Rolle des Fahrrads in den Gesetzestexten verstärkt werden, etwa wenn es darum geht, sichere Infrastrukturen vorzusehen. Damit soll garantiert werden, dass das „Recht auf aktive Mobilität“ von vornherein für alle erreicht wird und nicht jedes Mal einzeln erstritten werden muss.

So wundern sich weiter viele Radfahrer*innen, was alles hierzulande als zumutbarer Radweg gilt – etwa mit Auffahrkanten von 5 Zentimetern und mehr oder mit plötzlich auftretenden Unterbrechungen, die einen Wechsel in die normale Fahrspur bei laufendem Verkehr notwendig machen, einfach weil das Regelwerk hierzu lückenhaft ist. Dafür bestimmt aber der Code de la Route, bis hin zu Formgebung und Farbgestaltung, über welche exakt sieben Sicherheitsausrüstungen jedes Rad verfügen muss. Für unzulängliche Fahrradstrukturen muss niemand geradestehen, derweil für jede eingerostete Klingel oder jeden fehlenden Reflektor gerne jeweils zwischen 49 und 74 Euro fällig werden.

Safe Cycling Now“ – Fahrradfest bei der „Gëlle Fra“ (place de la Constitution) am Samstag dem 4.6. von 11 bis 19 Uhr. 
Beginn der Fahrrademo gegen 14 Uhr. 
Org.: ProVelo.lu

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