Geschlechtergerechtigkeit
: Business-Feminismus

Geschlechtervielfalt in Aufsichtsräten gilt als wichtiger Schritt in Richtung der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Zu Recht?

Beim „Business-Feminismus“ liegt der Fokus auf dem Wirtschaftswachstum. (Bildquelle: Pixabay)

Nur 12,9 Prozent weibliche Führungskräfte, ein „gender pay gap“ von 5 Prozent, größtenteils von Frauen geleistete unbezahlte und prekäre Arbeit – wer die Zahlen und Fakten kennt, weiß, dass es in puncto Geschlechtergerechtigkeit auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt noch einiges zu tun gibt. Wer aber denkt, dass diesbezügliche Proteste, Kampagnen und Richtlinien stets feministisch motiviert sind, irrt. „Um in Sachen Chancengleichheit Fortschritte zu erzielen, sind ökonomische Argumente manchmal hilfreicher als feministische.“ In ihrer Einführungsrede zu der vor wenigen Wochen veranstalteten Table-Ronde „Les femmes dans la prise de décision économique“ scheute sich Viviane Reding nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. Zur Untermauerung ihrer Aussage führte die EU-Abgeordnete Studien an, nach welchen Unternehmen mit gemischten Führungsteams größere wirtschaftliche Erfolge erzielen als solche, deren Aufsichtsräte nur von Männern besetzt sind. Was Frauen von Männern unterscheidet, so Reding, sei ihre Bodenständigkeit und die Fähigkeit, Fragen zu stellen. Die höheren Gewinne von Unternehmen mit Frauen im Top-Management sind wissenschaftlich erwiesen, auch wenn, anders als Reding es nahelegt, diese Korrelation nicht notwendigerweise auf einen Kausalzusammenhang schließen lässt: Möglicherweise ist der progressive Umgang mit Geschlechtergerechtigkeit mancher Firmen nur ein Aspekt einer insgesamt effizienten Arbeitskultur. Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb es sich für Unternehmen lohnt, ihre Spitzenpositionen mit Frauen zu besetzen: bei deren Gehältern lässt sich nämlich ordentlich Geld einsparen. Wie die Unternehmerin, Publizistin und Aktivistin Anke Domscheit-Berg in „Ein bisschen gleich ist nicht genug“ darlegt, ist in Führungsjobs die Lohnlücke mit am größten.

Frauenförderung als Wachstumsmotor

Weshalb aber wird eine Genderbalance so selten von Unternehmen angestrebt, wenn sie doch finanzielle Vorteile bringt? In ihrem Buch „Dem Feminismus eine politische Heimat – der Linken die Hälfte der Welt“ führt Ursula G.T. Müller diesen Umstand als Paradebeispiel für den Unterschied zwischen Kapitalismus und Patriarchat an. Die Soziologin vermutet, dass es bei der Fernhaltung von Frauen aus Aufsichtsräten um den Erhalt einer Männerkultur am Arbeitsplatz geht. Und diese „old boys networks“ lassen sich nur schwer bekämpfen. Einerseits, weil die von ihnen praktizierte Diskriminierung oft nicht als solche wahrgenommen wird – eine Dynamik, die sich, so Domscheit-Berg, wiederum darauf zurückführen lässt, dass Menschen tendenziell eher solchen vertrauen, die ihnen selbst in Aussehen, sozialem Hintergrund und Geschlecht ähnlich bzw. gleich sind. Andererseits, weil von Frauen oft verlangt wird, sich mit diesen Männernetzwerken abzufinden und sich ihnen anzupassen. Eine größere Genderbalance könnte also eine Auflockerung solcher festgefahrener Strukturen bewirken.

An dieser Stelle ist es aber wichtig, einen Moment innezuhalten und einen genaueren Blick auf Redings Argumentationsweise zu werfen. Zur Bekämpfung der Geschlechterdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt fordert sie eine Frauenquote für Spitzenpositionen. Damit geht sie mit einer Verschiebung innerhalb der Frauenförderpolitik konform, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. In den 1980er Jahren ging es in der Quotendiskussion, zum Beispiel in Deutschland, nämlich noch um sämtliche qualifizierten Arbeitsplätze. Der Grund, weshalb heute nur noch von einer Frauenquote in Aufsichtsräten die Rede ist, kann auf die von Reding erwähnte Funktion als Wachstumsmotor zurückgeführt werden. Bei solchen Forderungen steht also letzten Endes nicht eine Verbesserung der Situation von Frauen, sondern der von Unternehmen bzw. der Wirtschaft im Vordergrund. Diese Schwerpunktsetzung findet sich auch auf der Internetseite des diesjährigen Women20-Gipfels, wenn der Bedarf an Förderung von weiblichen Unternehmern mit dem durch sie zu erwartenden Wirtschaftswachstum begründet wird.

In ihrer Rede präsentierte Reding den Gewinn der Frauen an dem Ganzen als einen unbeabsichtigten Nebeneffekt dieser Strategie: Die Unternehmen führen wirtschaftlich nutzbringende Änderungen ein und handeln dabei unbewusst im Interesse der Chancengleichheit. „Win win“ könnte man also im Grunde meinen. Doch einerseits fragt sich, wie es tatsächlich um feministische Belange steht, wenn wirtschaftlichen Interessen mehr Wert beigemessen wird als Frauenrechten, und andererseits dienen solche Maßnahmen nur einer ohnehin schon privilegierten Minorität. Bei weniger hohen Posten und prekären Berufen funktioniert das Wirtschaftlichkeitsargument nämlich nicht mehr so gut.

Individualismus statt Solidarität

Unterschwellig schwingt bei Redings Ausführungen stets eine individualisierende Auffassung von der Problematik mit. Am deutlichsten wird dies, wenn sie den Fachkräftemangel in der Technologiebranche als „Chance für Frauen“ bezeichnet und diese dazu aufruft, sich auf Stellen in diesem Bereich zu bewerben. Zielte Emanzipation ursprünglich noch auf einen Umbau der Gesellschaft ab, so wird sie heute als von Frauen eigenverantwortlich zu erbringende Leistung verstanden. Das heißt aber auch, dass die Schuld bei ihnen liegt, wenn der Erfolg ausbleibt. So wird ihnen gerne vorgehalten, an der Misere selbst schuld zu sein, wenn sie Berufe wählen, die geringer vergütet sind. Wie Müller darlegt sind die Löhne in den Berufen mit dem höchsten Frauenanteil am niedrigsten. Eine Antwort auf die Frage, weshalb von Frauen geleisteter Arbeit gesellschaftlich kein größerer Wert beigemessen wird, scheint deshalb dringlicher als auf die, weshalb Frauen solche Berufe wählen.

Wenn die Geschäftsführerin von Facebook, Sheryl Sandberg, zum „Lean in“ aufruft, wird der Blick auf einzelne Frauen gerichtet, die die Karriereleiter hochsteigen sollen, ohne dabei die Erziehung ihrer Kinder zu vernachlässigen. In dem Moment aber, wo Einzelpersonen aufgefordert sind, sich selbst für ihre eigene Gleichberechtigung einzusetzen, werden die strukturellen Gründe von Frauenunterdrückung nicht angefochten. In der Folge davon findet eine Entsolidarisierung statt. In ihrem Bestseller schreibt Sandberg: “Conditions for all women will improve when there are more women in leadership roles giving strong and powerful voice to their needs and concerns.” Wie Bell Hooks in ihrem Artikel „Dig Deep: Beyond Lean In“ beschreibt, steht dies im Widerspruch zu dem von Sandberg propagierten Konkurrenzkampf. Solange jede Frau für sich selbst darum bemüht ist, für sich das Beste aus dem bestehenden System herauszuholen, könne keine neue Frauenbewegung entstehen.

Redings Rede ist ein gutes Beispiel für das, was manchmal als „neoliberaler“, „Zwei-Klassen“- oder Business-Feminismus bezeichnet wird. In dessen Fokus stehen in erster Linie gut ausgebildete, gut verdienende, erfolgreiche weiße Frauen. Ebenso ist auch nur von dieser demographischen Gruppe die Rede, wenn die Ko-Berichterstatterin des EU-Rechtsausschusses Evelyn Regner im Hinblick auf die EU-Richtlinie, die eine 40 Prozent-Quote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen vorsieht, von einem Engagement für „gleiche Chancen für alle auf dem Arbeitsmarkt“ spricht.

Ein Feminismus, der lediglich die Angleichung von Frauen an Männer anvisiert, die von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit außer Acht lässt, den politischen und ökonomischen Status quo nicht hinterfragt und weder Fragen von Hautfarbe noch von Klassenzugehörigkeit berücksichtigt, kann Gleichberechtigung höchstens für einen sehr kleinen Teil der weiblichen Bevölkerung erkämpfen.


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