Während die Europäische Union künstliche Intelligenz gesetzlich reguliert, schlägt Großbritannien einen „innovationsfreundlichen“ Weg ein. Musiker*innen, Künstler*innen und Schriftsteller*innen sind besorgt.

Ausgestellte Sachbücher im Foyles, einem der größten Bücherläden in London. Um Inhalte zu schützen, fügt der Verlag Penguin Random House neuerdings Copyright-Hinweise in seine Bücher ein, die die Verwendung der Texte für KI-Training untersagen. (Copyright: Claire_Barthelemy)
Zoe Kleinman, Journalistin der BBC, erhielt von einer Freundin zu Weihnachten ein kurioses Geschenk: ein Buch mit dem Titel „Tech-splaining for Dummies“. Autorin des Buches? Kleinman selbst. Doch die Britin hat dieses Buch nie geschrieben. Der 240-seitige Text entstand mithilfe künstlicher Intelligenz. „Es ist eine interessante Lektüre und teilweise sehr lustig“, so die Journalistin in einem Artikel.
Produziert wurde das Geschenk von BookByAnyone, einer von zahlreichen Firmen in Großbritannien, die KI-Schreibdienste anbieten. Das ungewöhnliche Geschenk fand die Journalistin, deren Foto das Cover ziert, zwar amüsant, doch schürte es auch ihre Angst. „Nicht zuletzt, weil es wohl in weniger als einer Minute entstanden ist und es in einigen Teilen tatsächlich genau nach mir klingt“, schrieb die Journalistin. Obwohl die Firma ihre Bücher als Gag-Produkt sieht und ein erstelltes Buch nur von der Person gekauft werden kann, die es in Auftrag gegeben hat, fehlt jegliche Transparenz. Hatte das generative Sprachmodell der Firma Zugang zu Artikeln der Journalistin, um ihre Schreibweise nachzuahmen?
Dieser Fall unterstreicht die Stimmung in Großbritannien, wenn es um KI geht. Man schwankt zwischen Faszination und Sorge. Auf der Londoner Buchmesse Mitte März wurde diese Ambivalenz bereits anhand des Konferenzprogramms deutlich. Eine Rundtisch-Diskussion handelte davon, dass unter dem Siegeszug von KI die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Arbeiten leiden könnte. Gleichzeitig gaben die Redner*innen Tipps, wie Verlage KI als „Detektivin“ gegen „unethische Praktiken“ benutzen könnten, da diese zum Beispiel dazu imstande sein soll, Plagiate aufzudecken. Die neue Technologie wird also als Problem und Lösung zugleich wahrgenommen.
Texte zum KI-Training geklaut
Immer wieder werden in Großbritannien auch kritische Stimmen laut, besonders Musiker*innen, Künstler*innen und Autor*innen zeigen sich besorgt. Denn um generative Sprachmodelle wie ChatGPT und DeepSeek zu trainieren, müssen diese mit riesigen Datenmengen gefüttert werden. Unter diesen Daten gab es auch urheberrechtlich geschützte Texte aus Büchern und Zeitungsartikeln. Diese sind im Vergleich mit Texten, die zum Beispiel auf sozialen Netzwerken wie Facebook, X und Reddit zu finden sind, qualitativ hochwertiger, da sie von Fachleuten geschrieben und bearbeitet wurden. Und deshalb sind diese Texte auch besonders wertvoll für das Training der LLMs, den Large Language Models.
In Großbritannien könnte es bald legal sein, urheberrechtlich geschützte Werke für KI-Training zu benutzen. Die britische Regierung schlägt eine Ausnahmeregelung im Copyright-Gesetz vor. Dies würde es Technologieunternehmen ermöglichen, ihre KI-Modelle anhand von literarischen Werken zu trainieren, ohne dass eine Genehmigung der Urheber*innen nötig wäre. Künstler*innen, Musiker*innen und Autor*innen hätten allerdings die Möglichkeit, einen „Opt-out“ zu beantragen. Sie müssten der Nutzung also aktiv widersprechen.
Die britische Regierung führte bis Ende Februar eine Konsultation durch, in der sie diese Ausnahmeregelung als bevorzugtes Szenario vorschlug. Bei solchen öffentlichen Beratungsprozessen lädt die Regierung relevante Akteur*innen aus den betroffenen Branchen ein, ihre Standpunkte zu einem bestimmten Thema darzulegen. Im Fall der KI-Konsultation beteiligten sich unter anderem der öffentlich-rechtliche Rundfunksender BBC sowie verschiedene Gewerkschaften mit ihren Beiträgen. Warum die Regierung eine bevorzugte Wahl angebe, wenn es sich doch um eine offene Konsultation handele, fragte die Filmregisseurin Beeban Kidron Anfang des Jahres im „Guardian“.
Sie ist nicht die Einzige, die sich gegen dieses Szenario wehrt. Im Februar veröffentlichten mehr als 1.000 Musiker*innen, darunter Kate Bush, Annie Lennox und Elton John, ein „stilles Album“ mit dem Titel „Is This What We Want“ (übersetzt: „Ist es das, was wir wollen“), um gegen geplante Änderungen des Urheberrechts der britischen Regierung zu protestieren. Die Trackliste besteht aus zehn Liedern, die diesen Satz ergeben: „The British government must not legalise music theft to benefit AI companies“ („Die britische Regierung darf Diebstahl zugunsten von KI-Firmen nicht legalisieren“).
Einsatz von KI in vielen Branchen

Auf der Londoner Buchmesse im März gab es mehrere Veranstaltungen rund um das Thema KI. Von den Redner*innen wurde die neue Technologie manchmal als Problem und Lösung zugleich präsentiert. (Copyright: Claire_Barthelemy)
Das Gesetz ist Teil des „AI Opportunities Action Plan“ der Labour-Regierung, die mit Künstlicher Intelligenz die britische Wirtschaft ankurbeln und das marode staatliche Gesundheitswesen retten will. Während die Europäische Union mit dem „AI Act“ eine übergreifende KI-Regulierung eingeführt hat, die für verschiedene Branchen und Sektoren gilt, will man in Großbritannien schrittweise vorgehen. Man verfolge einen „britischen Ansatz, bei dem KI lange vor der Regulierung getestet wird, sodass alles, was wir tun, verhältnismäßig und wissenschaftlich fundiert ist“, so Großbritanniens Premier Keir Starmer in einem Gastbeitrag in der „Financial Times“ im Januar.
Mit Large Language Models lässt sich in der Kreativwirtschaft Geld verdienen. Auf der Londoner Book Fair gab es Konferenzen, die eigentlich als Verkaufspräsentationen zu verstehen waren. So zum Beispiel ein Vortrag von einem Repräsentanten der Firma PageMajik, die eine „KI-gesteuerte, integrierte Redaktions- und Produktionsplattform für Verlage“ anbietet. Künstliche Intelligenz könne Manuskripte zusammenfassen und auswerten und den Workflow zwischen Autor*innen und Herausgeber*innen vereinfachen – Schluss mit überflüssigen Meetings! Jeder könne sich „auf das konzentrieren, was er am besten kann“, so der Firmenmitarbeiter.
Über vereinfachte Arbeitsabläufe beschweren sich die wenigsten. Doch es sei das kreative Gut, das durch die neue Technologie bedroht werde, sagt Adam Ridgway, Direktor der London Book Fair. „In den meisten Branchen werden Unternehmen KI für viele Funktionen nutzen, sei es im Finanzwesen, im Marketing oder in der Forschung, aber die Verlagsbranche hat Bedenken hinsichtlich der Produktion von Texten und Inhalten“, bemerkt Ridgway.
Sammelklage von Autor*innen
Um Inhalte zu schützen, warnt der britisch-amerikanische Verlagsgigant Penguin Random House nun mit folgendem Text in neuen und nachgedruckten Büchern: „Kein Teil dieses Buches darf zum Trainieren von Technologien oder Systemen künstlicher Intelligenz in irgendeiner Weise verwendet oder reproduziert werden.“ Dieser Hinweis kann KI-Firmen natürlich nicht daran hindern, das Material zu nutzen. Es könnte Penguin Random House jedoch ermöglichen, Lizenzgebühren zu fordern.
Während Kreativschaffende auf das Ergebnis von Klagen und Konsultationen warten, werden generative Sprachmodelle weiter trainiert. Inzwischen hat es Vorfälle gegeben, die verdeutlichen, wie leistungsfähig künstliche Intelligenz geworden ist und wie schwer es ist, ihr Zutun zu erkennen. Die Schriftstellerin Jodi Picoult, die sich einer Sammelklage der US Authors Guild gegen OpenAI und Microsoft anschloss, musste mit Erschrecken feststellen, dass für eine britische Werbekampagne ihres Romans „By Any Other Name“ ein KI-generiertes Bild benutzt wurde. Auf dem Bild, das eine schreibende Frau zeigt, sind typische KI-Unstimmigkeiten nur schwer zu erkennen. Ihre Hände und ihr Gesicht sehen natürlich aus, doch ironischerweise ist das Geschriebene auf dem Papier nicht entzifferbar, da es sich um eine Fantasieschrift handelt.
Penguin Random House gab an, nicht gewusst zu haben, dass die beauftragte Werbeagentur in ihrer Arbeit künstliche Intelligenz nutze, und entschuldigte sich bei Jodi Picoult. Die Autorin sei, so ihre Agentin, bestürzt über den Vorfall. Der Fall zeigt, dass KI nicht nur der Regulierung, sondern auch der menschlichen Wahrnehmung manchmal weit voraus ist. Für Kreativschaffende ist dies eine erschreckende Erkenntnis.
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