Im Kino: All the Beauty and the Bloodshed

Mit „All the Beauty and the Bloodshed“ bringt die Dokumentarfilmerin 
Laura Poitras ein intimes Porträt der US-amerikanischen Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin auf die große Leinwand. Sie greift dabei so vielfältige Themen auf, wie Queerness und die amerikanische Opioid-Krise.

Nan Goldin bei einer Protestaktion. (Foto: Neon)

Nan Goldin als Rebellin zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung; ihr politisches Engagement erst auf die 2010er-Jahre zu datieren, irreführend. Tatsächlich war Goldins Schaffen nie etwas anderes als subversiv. Dass sie sich dabei von Beginn an auf ihr privates Umfeld bezog, bildet keinen Widerspruch dazu. In den 1970er-Jahren wurde Goldin Teil der queeren Szene in New York. Sie begann, die Menschen abzulichten, die sie dort traf. Mit ihrer 1985 veröffentlichten Diashow „Ballad of Sexual Dependency“ erlangte sie internationale Bekanntheit.

Filmemacherin Laura Poitras beginnt ihre Doku „All the Beauty and the Bloodshed“ aber mit einem anderen Abschnitt aus dem Leben der 1953 geborenen Künstlerin. Die erste Szene zeigt sie und weitere Aktivist*innen im März 2018 bei einer Protestaktion im New Yorker Metropolitan Museum of Art (MET). „100.000 dead! Temple of death! Temple of money! Temple of Oxy“, schreit Goldin, etwa zwei Dutzend Menschen wiederholen ihre Worte im Chor. Währenddessen schmeißen sie leere Medikamenten-Behälter in einen Springbrunnen im Inneren des Museums.

Bereits ein paar Einstellungen zuvor gab eine Aufnahme von einem Schild mit der Aufschrift „Sackler Wing“ einen ersten Hinweis darauf, wem die Protestrufe gewidmet sind. Im Jahr 1952 hatten Mortimer und Raymond Sackler Purdue erworben, ein Pharmakonzern, der sich ab 1995 auf das Schmerzmittel Oxycontin spezialisierte. Die Familie Sackler erwirtschaftete in dieser Zeit Milliarden, ein Teil des Geldes investierte sie in Bildung und Kunst. Der bereits erwähnte Sackler-Flügel im MET war einer von vielen Tributen, die Kulturinstitutionen rund um die Welt, den Sacklers zollten.

Kein Biopic

Das schnell abhängig machende Oxycontin gilt als einer der Hauptauslöser der Opioid-Epidemie, im Rahmen derer rund eine halbe Million US-Amerikaner*innen bisher ihr Leben verloren. Dass Goldin nach einer Operation am Handgelenk selbst eine Oxycontin-Abhängigkeit entwickelte, ist angesichts dessen nur einer von vielen Gründen für ihren Protest.

Jahre zuvor hatte sich Goldin selbst an einer Doku versucht. Sie wollte darin ihre Schwester porträtieren, die im Jugendalter durch Suizid starb. Goldin empfand die Arbeit daran am Ende jedoch als zu traumatisierend. Es ist dank der Kollaboration mit Poitras, dass es ihr nun gelungen ist, ihre Geschichte zu erzählen. Tatsächlich ist es vor allem sie, Goldin, die im Film Erklärungen liefert, durch Kommentare im Off. Auch visuell prägt Goldin fast jede Szene: Während Poitras sie in der Gegenwart mit einer Handkamera auf Protestaktionen und Meetings begleitet, ist der Blick in die Vergangenheit durch Dutzende Fotos mit und von Goldin unterlegt. Unmöglich zu sagen, wo Poitras’ Darstellung endet und Goldins Selbstporträt beginnt. Dieser Mangel an Objektivität tut der Qualität des Films keinen Abbruch. „All the Beauty and the Blood-
shed“ ist zu keinem Moment eine bloße Nabelschau. Ebenso wenig handelt es sich um ein klassisches Biopic. Wie Poitras in einem Interview mit ABC Radio erklärte, geht es in ihrem Film um etwas anderes: „Why would somebody that’s very established in the art world at a time where they could just choose to be comfortable, take the risk they took? Where do we have to go to understand that? That was one of the main questions I was interested in.“

Dieses Interesse spiegelt sich auch in der Struktur des Films wider: Abwechselnd werden Goldins Privatleben, ihr künstlerisches Schaffen und ihr Aktivismus thematisiert. So gelingt es dem Team hinter dem Projekt den Zusammenhang zwischen den drei Aspekten aufzuzeigen: Goldins Kunst und politisches Engagement gehen unmittelbar aus ihren Kindheits- und Jugenderfahrungen hervor. Dieser Logik folgend ist der Film ein Plädoyer, das philanthropische Engagement der Sackler-Familie nicht getrennt von ihren restlichen Tätigkeiten zu betrachten.

Poitras externe Perspektive bringt dem Stoff die nötige Nuance. Das Ergebnis ist ein so berührendes wie lehrreiches Plädoyer für politische Kunst und Zivilprotest.

Am 30. April sowie 7., 14. und 21. Mai 
jeweils um 15 Uhr im Utopia.

Bewertung der woxx : XXX


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.