Das Debüt der britischen Filmemacherin Molly Manning Walker handelt von sexualisierter Gewalt und Komplizenschaft. Ein Film, der unter die Haut geht.
„You Only Live Once“ – so oder so ähnlich scheint das Motto zu sein, dem Tara (Mia McKenna-Bruce), Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) bei ihrem Urlaub auf Kreta folgen. Schon nachmittags geht es los mit dem Trinken – wie die Getränke schmecken, ist egal, Hauptsache der Promillepegel steigt ununterbrochen. Kein Abend vergeht, an dem nicht mindestens eine der 16-Jährigen mit dem Kopf über der Kloschüssel hängt. Und selbst dann wird anschließend weiter wild um die Wette getrunken. Im Laufe dieser Urlaubsnächte landen die Mädchen stets irgendwann im Club. Bis sie wieder im Hotelzimmer sind, erhellen zum Teil schon erste Sonnenstrahlen den Himmel. Was Tara, Skye und Em im Urlaub aber noch mehr wollen, als Party machen: Sex haben. Mit wem ist nebensächlich, Hauptsache, sie hatten ihr erstes Mal vor dem Heimflug.
So beschrieben ist Molly Manning Walkers Debüt „How to Have Sex“ nicht von anderen Filmen zu unterscheiden, in denen Jugendliche darauf versessen sind, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. „Amercian Pie“ etwa kommt einem da in den Sinn. Die britische Filmemacherin übernimmt die Prämisse solcher Partyfilme, interessiert sich aber für das Unausgesprochene: den sozialen Druck, die Auswirkungen, die Geschlechternormen und Alkohol in diesem Kontext potenziell haben können. „Wie lässt sich unter solchen Bedingungen überhaupt Sex haben, geschweige denn eindeutig konsensueller?“, scheint die Ausgangsfrage ihres Films zu lauten. Was sie auch interessiert, ist die Frage, wie „Rape Culture“, also ein gesellschaftlicher Kontext, in welchem sexualisierte Gewalt heruntergespielt wird, durch Wegsehen und Komplizenschaft aufrechterhalten wird.
Dass der Handlungsverlauf viel Diskussionsstoff hergibt, zeigen schon allein die diversen Artikel und Social-Media-Reaktionen zum Film. „Mädchen, sag was“, lautet der Titel einer in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Rezension – ein Ausdruck dafür, dass die Abwesenheit eines klaren „Nein“ in sexuellen Interaktionen von einigen immer noch gleichgesetzt wird mit mangelnder Kommunikationsbereitschaft. Wer nichts sagt, ist selber schuld, wenn es zu einem sexuellen Übergriff kommt, so die Logik des Victim Blaming. Dabei zeigt Walkers Film doch gerade, dass die Problematik weitaus komplexer ist – zumal für Menschen, die erst dabei sind zu lernen, wie eine auf Konsens basierende sexuelle Interaktion ablaufen sollte.
Walker zeigt diese Dynamiken anhand unterschiedlicher Figuren auf, weder die Jungen noch die Mädchen steckt sie in eine Schublade. Interessanterweise zeigt sie nicht einmal die lesbische Em und ihre Liebhaberin als Positivbeispiel zu den hetero Figuren. Vielleicht wollte Walker dadurch eine plakative Pauschalisierung vermeiden, doch ein wenig schade ist es allerdings schon, dass sie die queeren Figuren nicht für einen Gegenentwurf nutzt.
„How to Have Sex“ entpuppt sich während der Laufzeit als ein zunehmend unangenehmes Seherlebnis. Nicht, weil Walker einen schlechten Film gemacht hätte, ganz im Gegenteil: Das Drehbuch ist spannend – auch, aber nicht nur, weil der Film eine Problematik aufgreift, die man selten auf der großen Leinwand sieht –, und die Schauspieler*innen hervorragend. Unangenehm ist das Seherlebnis deshalb, weil die Zuschauer*innen herausgefordert werden. Sie werden angehalten, hinzuschauen, wo sie lieber wegsehen würden, und auszuhalten, wenn die Mädchen nicht in ihrem eigenen Interesse handeln.
Ein besseres Verständnis für die komplexe Wirkweise von „Rape Culture“ fördert der Film zwar nur zum Teil – so zumindest der Eindruck beim Lesen der Reaktionen –, das kann man von einem einzelnen Film aber auch gar nicht erwarten.