Im Kino: She Said

Maria Schraders „She Said“ stellt weder Harvey Weinstein noch die MeToo-Bewegung in den Vordergrund, sondern einzig die Frauen, die halfen, den Grundstein für letztere zu legen.

Nicht nur zuhause, sondern auch in der Redaktion können die Journalistinnen auf Unterstützung zählen. (Fotos: © Universal Pictures International Switzerland)

Je nach Blickwinkel ist „She Said“ entweder zu früh oder zu spät erschienen. Vor vier Jahren wäre er dem großen Wissenshunger rund um die Taten des ehemaligen Filmproduzenten Harvey Weinstein ohne Zweifel entgegengekommen. In zehn Jahren wird er womöglich in „Vie et Société“-Kursen gezeigt, um Schüler*innen die Anfänge der MeToo-Bewegung nahezubringen. Das Jahr 2022 fällt in eine Art Zwischenphase: Der Fall ist vielen noch sehr gut im Gedächtnis, es fällt demnach schwer sich vorzustellen, dass ein entsprechender Film das Potenzial zur Horizonterweiterung haben könnte.

Wer ihm trotz solcher Befürchtungen eine Chance gibt, wird für sein Vertrauen belohnt. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Stoff zu einem effekthascherischen, selbst-beweihräuchernden Hollywood-Spektakel zu verarbeiten, mit Harvey Weinstein als kontrollierendem Monster im Zentrum, das sich ungehemmt an Schauspieler*innen und seinen Assistent*innen vergreift, und den heroischen Journalist*innen, die den Opfern zur Rettung eilen. Tatsächlich handelt „She Said“ nur am Rande von der Person Weinstein – er kommt im Film fast gar nicht vor. Auch die Stars, die mit Vorwürfen gegen Weinstein an die Öffentlichkeit traten – darunter etwa Rose McGowan und Gwyneth Paltrow – werden in Maria Schraders Film zwar erwähnt, sehen tut man sie jedoch nicht. Solche Personifikationen hätten die Aufmerksamkeit unnötig vom eigentlichen Thema gelenkt: Schrader rückt in ihrem Film nämlich die „New York Times“-Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor in den Vordergrund, die 2017 – zeitgleich mit „New Yorker“-Journalist Ronan Farrow – ihre Investigationen über Weinstein publik machten.

Dieser Fokus überrascht nicht, basiert der Film doch auf dem gleichnamigen Buch, das Twohey und Kantor im Jahr 2019 veröffentlichten. Neben ihren jahrelangen Recherchen thematisieren die beiden Investigativjournalistinnen darin zudem den Druck, den Weinstein in jener Zeit auf sie ausübte.

Schrader und Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz orientierten sich stark an dieser Vorlage und führten darüber hinaus Gespräche mit Twohey und Kantor einerseits und Weinsteins Opfern andererseits. Und das merkt man dem Film auch an: Obwohl er unzählige Figuren enthält, von denen viele nur in einer Szene erscheinen, fühlt sich jede wie ein realer Mensch an.

In sachlich-nüchterndem Ton erzählt „She Said“ davon wie Megan Towhey und Jodi Kantor ihren Recherchen nachgingen.

Genau wie die Opfer nicht auf diesen Status reduziert werden, so sind auch Twohey (Carey Muligan) und Kantor (Zoe Kazan) mehr als nur fleißige Bienchen. Ihre Suche nach Zeug*innen, die bereit sind „on the record“ auszusagen, verläuft alles andere als reibungslos: Manche Opfer verweigern aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen mit Weinstein das Gespräch von vorneherein, andere ziehen ihr Kooperationsangebot nachträglich zurück. Die Journalistinnen erhalten jederzeit Anrufe, auch in ihrer Freizeit, und müssen zum Teil aus dem Stegreif mit größtem Fingerspitzengefühl auf die Person am anderen Ende der Leitung reagieren. Dass der Fall den beiden Frauen nahegeht, liegt auf der Hand – nie aber versucht der Film zu emotionalisieren.

Am Ende von „She Said“ verstehen wir, weshalb es so lange dauerte bis besagter Artikel veröffentlicht werden konnte: Die Journalistinnen mussten im Rahmen ihrer Recherchen nicht nur um die halbe Welt fliegen, sie mussten sich – vor allem anfangs – von einer vagen Andeutung zur nächsten hangeln und so lange weitergraben und nachhaken, bis der Wahrheitsgehalt einer Information unwiderlegbar geworden war.

Gleichzeitig sind die beiden Journalistinnen Ehefrauen und Mütter – auch dies eine Tatsache, die im Film aufgegriffen wird, ohne dramatisiert zu werden. Sowohl privat als auch professionell können sich Twohey und Kantor auf ein wohlwollendes, unterstützendes Umfeld verlassen. Klar belastet das Arbeitspensum ihr Familienleben, das ist in „She Said“ aber kein Konfliktgrund, sondern eine Situation, mit der man konstruktiv umgehen kann.

Und so kommt trotz des hohen Bekanntheitsgrads des Falls und trotz sachlich-nüchterner Erzählweise in den 128 Minuten Laufzeit keinerlei Langeweile auf. Das ist neben Drehbuch und Regie auch den hervorragenden Schauspielleistungen, allen voran Samantha Morton als Zelda Perkins, zu verdanken.

Im Laufe des Films wird klar, dass „She said“ nicht nur kein Film über Harvey Weinstein ist, sondern auch keiner über sexualisierte Gewalt. Letzteres mag ob der Thematik des Films paradox klingen. Doch wer sich eine Analyse der Dynamiken erhofft, die Missbrauchsfälle wie diesen begünstigen, wird von Schraders Film enttäuscht sein. Mehr als irgendetwas anderes ist „She Said“ ein Film über investigativen Journalismus und über die mutigen Menschen, ohne die dieser nicht möglich wäre.

Im Kinepolis Kirchberg, Scala, Starlight, Sura, Orion, Prabbeli, Kulturhuef und Le Paris. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

Bewertung der woxx : XXX


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