Irmela Mensah-Schramm: Mit dem Schrubber gegen Hassparolen

Sie bezeichnet sich selbst als „Polit-Putze“: Seit dreißig Jahren durchstreift die Menschenrechtsaktivistin Irmela Mensah-Schramm ihre Heimatstadt Berlin und andere Städte, um Nazi-Schmierereien zu beseitigen.

Irmela Mensah-Schramm 2013 bei einem Graffiti-Workshop in Suvilahti, Helsinki. (Foto: Ppntori)

Irmela Mensah-Schramm 2013 bei einem Graffiti-Workshop in Suvilahti, Helsinki. (Foto: Ppntori)

„1992, kurz nach dem verheerenden Brandanschlag in Mölln, hatte ich am S-Bahnsteig in Berlin-Schöneberg Hass-Graffitis übelster Art auf einer Plakatwand entdeckt und durchgestrichen -Türken vergasen, alle aufhängen, ‘Kamelficker’”, erinnert sich Irmela Mensah-Schramm. Im Gespräch mit der woxx erzählt sie, wie sie daraufhin vom Wachschutz angegriffen und verletzt wurde: „Anschließend kassierte ich noch gleich zwei Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung. Zu einem Zeitpunkt, als in Mölln mehrere Menschen gestorben waren – und das Graffito forderte zu weiteren Morden auf.“

Dies ist nur eines von vielen Erlebnissen von Irmela Mensah-Schramm, die unermüdlich unterwegs ist, um, mit Schaber, Bürste, Farbe und Azeton, Sticker und Graffiti rassistischen und aggressiven Inhalts an Mauern, Stromkästen, U-Bahnsitzen … zu übermalen, zu übertünchen, wegzukratzen.

Undenkbar ist für sie, an Hakenkreuzen, SS-Runen, fremdenfeindlichen Parolen einfach vorbeizugehen: „Wird man Zeuge von Demonstrationen, die man nicht gutheißen kann, und unternimmt nichts gegen sie, ist man, was ihre Wirkung auf andere betrifft, genauso schuldig wie die Autoren selbst.“

Irmela Mensah-Schramm hat viele Einladungen aus dem In- und Ausland erhalten, um mit ihrer Ausstellung „Hass vernichtet“ der Öffentlichkeit Fotos von beseitigten Graffiti noch einmal vor Augen zu führen. Auf engem Raum wird so in konzentrierter Form vorgestellt, was Menschen an Hassparolen hervorzubringen imstande sind.

Die „Polit-Putze“ ist aber überzeugt, dass es nicht ausreicht, sich händchenhaltend zu Demonstrationen gegen rechtes Gedankengut zusammenzuschließen. Für die Verteidigung der Menschenrechte zu sensibilisieren, sei eine Sache, die Verteidigung durch Taten konkret zu machen, eine andere. In Workshops vermittelt Irmela Mensah-Schramm Kenntnisse über Rechtsextremismus und seine Symbolik, beteiligt Jugendliche – meistens Schulklassen – an Putzaktionen oder lässt sie Hassbotschaften kreativ umwandeln. Ein Hakenkreuz wird dann zu einem abstrakten Quadrat oder zu einer phantasievollen Spinne. Mit bunten Farben zeichnen die Schüler gegen braune Symbole und Parolen an. Dabei wird ein grundlegendes Prinzip beachtet: Auf Hassaussagen soll nicht mit Gegenhass geantwortet werden.

Für ihr Engagement hat Irmela Mensah-Schramm mehrere Preise bekommen: im Jahr 2005 den Erich Kästner-Preis, 2006 den Preis „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ der deutschen Bundesregierung und 2015 den Göttinger Friedenspreis.

Die Bundesverdienstmedaille, die ihr 1994 zugesprochen worden war, gab sie 2000 zurück, als der NPD-Politiker Heinz Eichhoff, im Zweiten Weltkrieg Angehöriger der Waffen-SS, für seine Arbeit als CDU-Kommunalpolitiker ebenfalls mit dieser Auszeichnung geehrt wurde.

Hass vernichtet

Mit ihrer Ausstellung war Irmela Mensah-Schramm 2005 und 2006 in Luxemburg zu Gast. Damals hatte das Publikum die Gelegenheit, eine Person kennenzulernen, angesichts derer man sich fragte, wie hartnäckig, unbeirrbar, unerschrocken jemand sein muss, um sich fast jeden Tag auf der Straße dieser gefährlichen Tätigkeit hinzugeben. Denn gefährlich ist das Zusammentreffen mit Neo-Nazis, und auch – wie eingangs geschildert – mit Aufsichtspersonal, das öffentliche Gebäude bewacht, schon des öfteren geworden. „Die Konfrontation mit Hassparolen kostet mich einerseits viel Kraft“, sagt Irmela Mensah-Schramm, „weil ich Verletzungen, die andern zugefügt werden, mit derselben Intensität erlebe, andererseits stellt sich nach Beseitigung von Graffiti und Stickern ein Gefühl der Stärke ein, auch Freude und Erleichterung.“

Als sie eimal in Cottbus dabei war, ein Hakenkreuz zu entfernen, forderte ein Neo-Nazi von ihr, damit aufzuhören. Sie fühlte sich dadurch aber erst recht angespornt, die Sache zu Ende zu bringen. Der junge Mann geriet darauf in Wut. Irmela Mensah-Schramm reagierte, indem sie langsamen Schrittes auf ihn zuging. Solcher Mut war für ihn so unerwartet, dass er sich abwandte. „Natürlich haben meine Knie gezittert“, sagt sie, „aber ich habe so gehandelt, weil ich nicht anders kann. Wenn ich etwas sehe, muss ich es entfernen. Ich denke, ich könnte nicht aufhören, selbst wenn ich wollte.“ Wichtig sei es, den Nazis zu zeigen, dass man sie nicht gewähren lässt.

Irmela Mensah-Schramm musste sich ein dickes Fell zulegen, denn sie wird beschimpft, belächelt, beleidigt, nicht nur von Schmierfinken, sondern auch von Passanten, mit denen sie das Gespräch sucht. Oft wird sie als diejenige angesehen, die Dinge kaputtmacht. Tatsächlich nimmt sie auch massive Beschädigungen von Gegenständen in Kauf, denn „beschädigte Gegenstände sind allesamt ersetzbar und reparabel, eine verletzte Menschenwürde ist es nicht.“ Außerdem können ihrer Meinung nach schon beschädigte Objekte nicht mehr beschädigt werden.

Seit 2006 hat sich an der politischen Lage in Deutschland manches geändert. „Pegida ist entstanden und zur ‘Massenbewegung’ geworden. Wieder laufen die Menschen einfach mit und denken wenig darüber nach, wem sie hinterherlaufen.“

Irmela Mensah-Schramm ist sich sicher, dass das rassistische Denken lange unter der Decke gehalten wurde. Als der SPD-Politiker Thilo Sarrazin mit seinen politischen Auftritten und Büchern von sich reden machte, konnte sie beobachten, dass seine Fans mit ihren Überzeugungen nicht mehr hinter dem Berg hielten. Die Fortsetzung davon waren die ominösen Montagsdemonstrationen, die dann zu Pegida-Demonstrationen wurden. Gegen-Aktionen und -Demos haben es weit schwerer, Anhänger zu finden und werden von Öffentlichkeit und Presse eher zurückhaltend betrachtet und angenommen.

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(Foto: Ppntori)

Pegida und 
rechtsextreme Gruppen

„Auf der Straße kann man feststellen, dass rechtsextreme Gruppen, die Hassparolen verbreiten, zahlreicher geworden sind. Zwischen ihnen besteht ein Konkurrenzkampf, sie überkleben gern mal gegenseitig ihre Propaganda“, stellt sie fest. Die NPD hat an die AfD viele Mitglieder verloren, nicht zuletzt, weil sie ein laufendes Verbotsverfahren fürchtete und weniger aggressiv auftrat als gewohnt.

Irmela Mensah-Schramm begegnet aber auch anderen Parteien und Gruppen wie „Die Rechte“ aus Nordrhein-Westfalen, die sich mit neuen Landesverbänden immer weiter nach Süden ausweitet und auch nach Sachsen-Anhalt. Auch „Der III. Weg“ – schwerpunktmäßig in Bayern und im Süden des Landes etabliert, will sich in Ostdeutschland ausbreiten und vernetzen. Als besonders gewalttätig und kriminell gelten „Die Autonomen Nationalisten“.

Um dem Einfluss solcher rechtsextremen Gruppen etwas entgegenzustellen, lässt die Bundesministerin für Familie und Jugend, Manuela Schwesig, Programme ausarbeiten, mit denen Jugendliche aufgefangen werden sollen, bevor sie sich radikalisieren. Die Ministerin gibt sich optimistisch: das Problem Rechtsextremismus sei in Dresden nur deshalb gravierender als anderswo, weil bislang weniger getan wurde als in andern Städten und Ländern.

Der Berliner Senat und die Bundesregierung haben Irmela Mensah-Schramm mehrfach die Unterstützung für ihr Ausstellungsprojekt und die von ihr angebotenen Workshops verweigert. Sie bekommt weder finanzielle Hilfe, noch wurden ihre Projekte in ein nationales Unterrichtsprogramm aufgenommen. Ihre Einsätze macht sie weiterhin auf eigene Initiative und auf eigene Kosten. Bis zu 300 Euro im Monat gibt sie für Farbe und Putzmittel aus.

Die allgemeine Resonanz auf ihre Arbeit ist jedoch groß – nicht nur bei Schülern und Lehrern. Selbst für einen Neo-Nazi wurde sie schon einmal zum Vorbild. Ein junger Mann, der sie sonst bei der Arbeit behinderte, sprach sie eines Tages an, um ihr mitzuteilen, dass er aus der Szene ausgestiegen sei. Und dass sie daran eine Mitschuld trage. Ihre unerschrockene Art habe ihm imponiert.

Lange hat Mensah-Schramm versucht, sich auch mit anderen zu vernetzen, doch stellte sich das als schwierig heraus. So kontaktierte sie etwa die Initiative „Never Again“ aus Krakau, nachdem diese etwas über ihre Arbeit ins Netz gestellt hatten. Der Kontakt hielt nicht lang, was wohl an der Sprachbarriere lag. Andererseits war die Bewunderung für ihre Tätigkeit der Anlass für Ibo Omari, Besitzer eines Berliner Ladens für Graffitifarben, eine Organisation zu gründen, die Künstler sponsert, die Hakenkreuze in Straßenkunst umwandeln.

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(Foto: Oliver Wolters)

Große Resonanz

Von Polizisten hört Irmela Mensah-Schramm immer wieder die Aussage: „Die wissen ja gar nicht, was sie da schreiben“. Entsprechend wenig Aufwand betreibt die Polizei bei der Suche nach Hass-Graffiti-Autoren. Aber die Eigentümer eines mit Hassparolen verunzierten Gebäudes sind verpflichtet, die Schmierereien entfernen zu lassen; kommen sie dem nicht nach, wird auf ihre Kosten eine Firma mit der Beseitigung beauftragt.

Die gegen Irmela Mensah-Schramm in den vergangenen dreißig Jahren erstatteten Anzeigen wurden samt und sonders fallengelassen. Bis zum Mai dieses Jahres. Da erging ein Strafbefehl gegen sie, weil sie den Hass-Schriftzug der Pegida-Sympathisanten „Merkel muss weg“ in „Merke! Hass weg!“ verfremdet hatte. Sie sollte 450 Euro Geldstrafe zahlen oder ersatzweise 15 Tage Haft abbüßen. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt. Schließlich würde sie für etwas bestraft, für das sie 1994 mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet wurde.

Am 5. Oktober kam es zur Verhandlung gegen Irmela Mensah-Schramm. Der Richter hätte das Verfahren gerne eingestellt, die Staatsanwältin aber war dagegen. So wurde eine Verwarnung ausgesprochen. Lässt Irmela Mensah-Schramm sich innerhalb eines Jahres etwas zuschulden kommen, wird eine Geldtrafe von 1.800 Euro wegen Sachbeschädigung fällig. Außerdem muss sie die Kosten des Verfahrens tragen, die die Schadenshöhe bei weitem überschreiten. Das Urteil, gegen das die Beklagte in Berufung gehen will, hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Das Bündnis ‘Berlin nazifrei’ hat angeboten, ihr den Betrag der Geldstrafe zur Verfügung zu stellen. Irmela Mensah-Schramms Anti-Hass-Mahnung in Berlin-Zehlendorf ist übrigens nicht mehr zu sehen. Nach ihrer Aktion wurde das Graffito innerhalb weniger Wochen überstrichen.

hassvernichtet.de
Auch wer die Ausstellung „Hass vernichtet“ nicht gesehen hat, kann sich von ihr in dem gleichnamigen, 2010 erschienenen Buch einen Eindruck verschaffen. (Herausgegeben von der „Friedensinitiative Zehlendorf e.V.”, die auch Trägerin der Ausstellung ist; kontakt@hass-vernichtet.de.)

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