Die Tendenz zur Privatisierung, die es auch im gelebten muslimischen Glauben gibt, findet in der derzeitigen medialen Auseinandersetzung mit dem Islam im Westen kaum Beachtung. Das ist zumindest die Meinung des Anthropologie-Professors Roman Loimeier, der am 9. Dezember auf Einladung des Institut grand-ducal in Luxemburg war und einen Vortrag zu „neuen Formen der Gläubigkeit in den muslimischen Gesellschaften der Gegenwart“ hielt. Dabei ist die genannte Tendenz weltweit bei einer wachsenden muslimischen Mittelschicht zu beobachten. Für den Professor von der Universität Göttingen sind, grob betrachtet, zwei Merkmale für das religiöse Selbstverständnis der von ihm untersuchten muslimischen Mittelklasse typisch. Zum einen wolle sie sich von einem als zu ritualistisch, abergläubisch und altmodisch empfundenen traditionellen, mystischen Sufismus abgrenzen und stimme in diesem Punkt mit salafistischen Überzeugungen überein, die eine metaphorische Auslegung des Korans ablehnen. Zum andern aber lehne ein großer Teil jener Mittelklasse den politischen Islam ab und entwickle eine dynamische Auseinandersetzung mit moralischen Autoritäten. Viele Angehörige dieser Schicht widersetzten sich dem islamistischen Habitus – Männer unter anderem durch die Rasur des Bartes, Frauen bspw. durch das Tragen bunter Schleier. Doch sei der Sufismus nicht völlig aus dem Leben verschwunden: Wie in Europa beobachtbar, gebe es in muslimischen Gesellschaften eine Tendenz zu einer pick-and-mix-Spiritualität, in der auch die Werke von Sufis eine Rolle spielen. Von kostspieligen, hierarchisierten Ritualen grenze man sich jedoch ab, so Loimeier.
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