Am Südrand des Kirchberg sollen im Rahmen eines verdichteten Siedlungsplans zahlreiche Wohnungen entstehen, von denen ein Teil auch verbilligt und auf Zeit veräußert werden soll. Eine Chance für Wohnungssuchende, aber ein Problem für die Anrainer.
Wer fürchtet sich vor den EinwohnerInnen aus Weimershof? Als am vergangenen Montag der Kassenwart des „Syndicat d’Initiative d’intérêts locaux“ des kleinen Viertels, das in südlicher Richtung etwas unterhalb des Kirchbergplateaus liegt, die Bilanz für das Jahr 2015 präsentierte, hatte er einen Verlust zu vermelden: Statt zuvor 2.794,51 waren nur noch 2.591,11 Euro in den Kassen des Vereins. Die Beiträge der 45 zahlenden Mitglieder à fünf Euro pro Jahr hatten für die Finanzierung von immerhin zwei Vollversammlungen nicht ausgereicht. Und auch die 0,60 Euro Bankspesen deuteten nicht auf eine rege Aktivität in dem idyllischen Viertel hin, dessen Straßen fast ausschließlich nach Blumen benannt sind.
Aber es besteht Hoffnung, dass sich zumindest die Finanzlage des „SILW“ demnächst verbessern wird: Der Saal der alten Primärschule in der rue des Marguerites war gerammelt voll, als anschließend SILW-Präsident Pierre Blaise mit den jüngsten Entwicklungen in Sachen „Projet d’urbanisation du front sud de l’avenue J. F. Kennedy“ bekannt machte. Er gab dabei seine Erläuterungen auf Französisch ab, weil das Thema nicht nur die alteingesessenen Stack-Lëtzbuerger interessierte.
Nicht ohne ironische Zwischentöne berichtete er von einer verlorenen Schlacht: Im Oktober 2015 hatten immerhin 228 EinwohnerInnen des Viertels gegen einen „Plan d’amégagement particulier“ (PAP) auf Kirchberg Einspruch eingelegt, nachdem zu Anfang des Monats eine Versammlung beim Bauträger, dem „Fonds d’urbanisation du Kirchberg“ (FUK), im Beisein der Stadbürgermeisterin abgehalten worden war, bei der sie den entsprechenden Teilgenehmigungsplan hatten einsehen können.
Dennoch legte der Schöffenrat am 21. März dieses Jahres den PAP dem Gemeinderat zur Abstimmung vor. Mit 13 Ja-Stimmen bei 8 Enthaltungen und 4 Gegenstimmen wurde der Plan mit leichten Änderungen angenommen: Um den Einwänden der Weimershofer entgegenzukommen, wurden die höchsten Gebäude im Plan um jeweils eine Etage „gekappt“. Die bebaubare Fläche wurde von 42.365 auf 40.400 m2 reduziert. Statt 325 Wohnungen sind jetzt nur noch 309 auf dem ausgewiesenen Areal vorgesehen.
Verdichtung nach 50 Jahren
In einem detaillierten Antwortschreiben ging die Bürgermeisterin dann im April auf einige der Einwände ein. Viele der wichtigeren ließ sie allerdings – mit dem Argument, sie beträfen gar nicht die vom PAP betroffenen Flächen der „Zone A1“ – unbeantwortet.
Inzwischen sind sich die Verantwortlichen des SILW darüber im Klaren, dass sie das Problem am falschen Ende angefasst haben: Das Gesamtprojekt am südlichen „Boulevard Kennedy“ des FUK umfasst drei Zonen: A1, A2 und B. Aber nur die Zone A1 war bislang für die Bebauung spruchreif, da dieses Areal dem FUK gehört und laut dem aktuellen Bestimmungen überhaupt bebaubar ist. Die südlich angrenzende Zone A2 ist im Besitz mehrerer Privateigentümer. Ähnliches gilt für die sehr viel größere Zone B, die sich nordöstlich anschließt. Laut aktuell geltendem Flächennutzungsplan der Stadt ist die Zone B außerdem als „ensemble à restructurer“ ausgewiesen. Das heißt, es gibt bislang keine definitive Festlegung, welche Art der Bebauung hier in Zukunft erfolgen soll.
Als Anfang dieses Jahrzehnts erste Überlegungen angestellt wurden, wie die Südseite des Boulevard Kennedy urbanisiert werden könnte, geschah dies zu einem Moment, wo die Bebauung des Kirchberg insgesamt einer kritischen Analyse unterzogen wurde. Deren Fazit: Mit dem endlos scheinenden Plateau war weder nachhaltig noch wirtschaftlich verfahren worden. Statt in die Höhe hatten sich viele Bauwerke in die Breite entwickelt. Das Konzept eines „autogerechten“ Viertels, das zu einer Zeit geplant worden war, als Modellstädte wie Brasilia als das nec plus ultra moderner Verkehrsführung galten, war allerdings schon vorher in Frage gestellt worden und hatte zum Rückbau der Kirchberger Autobahn in einen „Boulevard urbain“ geführt – genau jener Achse also, an deren Südseite jetzt großzügig in die Höhe gebaut werden soll.
Damals wurde auch eine „Verdichtung“ des Europaviertels beschlossen: Im vorderen, zur Stadtmitte orientierten Teil des Kirchbergs entstanden infolgedessen weitere Türme. Die wenigen dort noch freien Areale sollen nun ebenfalls dicht und hoch bebaut werden.
Das mit der nachträglichen Verdichtung klappt allerdings nur dort, wo die zu bebauenden Flächen sich in öffentlicher Hand befinden. Große Teile des Kirchberg sind aber schon veräußert und bebaut. „Sogar der FUK sitzt in einem nur dreistöckigen Gebäude“, erklärt SLIW-Präsident Blaise. Ironischerweise liegt dieses Gebäude am Nordrand desselben Boulevard Kennedy, der den Weimershofern jetzt Sorgen bereitet.
Im Jahre 2011 wurde für den Südrand ein Wettbewerb mit der Vorgabe einer dichteren Bebauung ausgeschrieben. Allerdings war keiner der eingereichten Vorschläge ganz zufriedenstellend, so dass am Ende nur zwei zweite Preise vergeben wurden. An der Auswertung beteiligt war auch der damalige Präsident des SILW. Ein Umstand, den die Bürgermeisterin in ihren Antwortschreiben an die 228 GegnerInnen der jetzt genehmigten Teilbebauung nicht unerwähnt lässt. Auch der Direktor des FUK hat in der Vergangenheit mehrfach Einsprüche gegen das Kennedy-Projekt mit dem Verweis auf den hohen Grad der Bürgerbeteiligung zurückgewiesen.
Die war insofern erfolgreich, als das Projekt nach seiner Vergabe an das holländische Planungsbüro „Urbis“ eine Überarbeitung unter Beteiligung der Anrainer unterzogen wurde. Der verbreiteten Sorge über das zu erwartende Verkehrsaufkommen trug man Rechnung, indem man die Verkehrsführung so umgestaltete, dass die rue des Muguets nicht mehr zu einer Haupt-Zubringerachse des neuen Quartiers werden konnte. Einige Gebäude wurden verkleinert, die Parzellen den derzeitigen Besitzverhältnissen angepasst usw.
Pierre Blaise gesteht ein, dass man damals beim Mitmachen wohl etwas zu gutgläubig gewesen sei. Es seien vor allem Einzelprobleme besprochen worden, den Blick für das große Ganze hätten er und seine Mitstreiter damals (noch) nicht gehabt. 2013 war auch das Gefühl einer besonderen Dringlichkeit nicht vorhanden, da ja der Flächennutzungsplan der Stadt erst überarbeitet werden musste.
Salami-Taktik
Was den SILW-Verantwortlichen erst im Rückblick so recht bewusst wurde: Es wurden ihnen vor allem Bilder und Modelle eines harmonischen Ganzen präsentiert. Genaue Höhenangaben zu dem, was da nordöstlich über den Häusern der Weimershofer errichtet werden sollte, gab es nicht. Erst die Ausschreibung im Rahmen des PAP für die Zone A1 rüttelte das Komitee wach und veranlasste es zu einer etwas intensiveren Beschäftigung mit dem Gesamtvorhaben.
Den Verdacht, dass es sich hier um Salami-Taktik handelt, äußerte auf der Versammlung am Montag nicht nur der LSAP-Gemeinderat Marc Angel. Mitte Juni wird die Gemeinde Luxemburg nach langjährigen Vorbereitungen ihren neuen Flächennutzungsplan der Öffentlichkeit vorstellen. Einen Monat lang können dann die BürgerInnen, unterstützt von speziell ausgebildeten MitarbeiterInnen der Gemeinde, detailliert Kenntnis nehmen von dem, was für die nächsten Jahre und Jahrzehnte geplant ist. Spezielle Versammlungen sind in einzelnen Stadteilen vorgesehen – wobei die Weimershofer am 30. Juni im Rahmen der Versammlung im Neudorf über ihr Viertel informiert werden sollen.
Als vor fast drei Jahrzehnten mit dem Joly-Plan ein letztes Mal die Bebauungspolitik der Hauptstadt im großen Stil umgekrempelt wurde, fand dies unter breiter öffentlicher Beteiligung statt. Diesmal hat es ebenfalls Versammlungen in den einzelnen Vierteln gegeben, und es gab Phasen, in denen die BürgerInnen sich mit ihren Ideen einbringen konnten. Es fällt aber auf, dass seit den letzten Beratungen im Jahre 2014 geraume Zeit verstrichen ist und dass nun nur noch das knappe, gesetzlich vorgeschriebene Fenster von einem Monat zur Verfügung stehen soll, um die Meinungen der BürgerInnen einzuholen.
Die meisten Klagen der Weimershofer – etwa zum Abführen des Regenwassers bei einem so großen Projekt oder zu den Besitzverhältnissen in der Zone A2 und der durch sie verursachten Nicht-Realisierbarkeit des vorgesehenen Parks – wurden von der Gemeindeführung zurückgewiesen, weil sie nicht direkt die vom PAP betroffene Zone A1 beträfen. Doch weshalb wird der PAP angenommen, obwohl über die Nutzung des restlichen Areals erst in einigen Monaten definitiv entschieden wird? Es würde nicht wundern, wenn etwaige Einsprüche gegen eine derart intensive Bebauung der Zone B, wie sie dann im neuen, übergeordneten Flächennutzungsplan ausgewiesen sein muss, später mit dem Argument zurückgewiesen werden, dass die Zone A1 ja bereits genehmigt worden sei und das Ganze, also A1, A2 und B, sinnvoll nur auf einheitliche Weise behandelt werden könne.
Die Vollversammlung des SILW hat beschlossen, dass man sich im Juni kollektiv den Bebauungsplan erklären lässt und dann gegebenenfalls Punkt für Punkt Einspruch erhebt. Allerdings nicht mehr mit einem gemeinsamen, von einem Anwalt verfassten Brief, sondern jeder für sich. So soll jeder, wie im Gesetz vorgeschrieben, gehört werden und eine Antwort auf seine Anfragen bekommen.
Einen Zwischenerfolg kann die Initiative bereits verbuchen: Die Bürgermeisterin wird eine Delegation des SILW am 9. Juni empfangen.. Vielleicht kann man dann ja die genauen Pläne zu den Vorhaben am Südrand des Boulevard J. F. Kennedy schon eine Woche früher einsehen – und sich diesmal auch über alle Bauhöhen informieren!